Schwangerschaftsabbrüche sind nicht nur für Laien ein schwieriges Thema – auch unter Ärzten gehen die Meinungen auseinander. Doch wenn sich nichts tut, droht in einigen Teilen Deutschlands bald ein Versorgungsnotstand.
Im Jahr 2019 wurden in Deutschland etwa 100.000 Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Die Zahlen sind zwar leicht rückläufig, trotzdem handelt es sich nach wie vor um einen der häufigsten Eingriffe in der Gynäkologie. Doch die Interruptio wird nur von wenigen Ärzten in Deutschland durchgeführt – und es werden immer weniger. So wenige, dass bald in manchen Teilen Deutschlands echte Versorgungslücken entstehen könnten. Für betroffene Frauen würde das die ohnehin oft schwierige und belastende Situation nur noch erschweren.
Wie die Süddeutsche Zeitung jetzt berichtet, sollen das Bundesgesundheitsministerium und die Bundesärztekammer (BÄK) ein Konzept erarbeitet haben, welches zur „Sicherung der Qualität der medizinischen Versorgung von Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen“ beitragen soll. Ein Grund für die zunehmend fehlende Bereitschaft der Ärzte, einen Abbruch durchzuführen, sei vor allem die „fehlende Akzeptanz“.
Die Lösung soll nun darin liegen, künftig Beratungsgespräche mit Patientinnen stärker in der Medizinerausbildung zu verankern. Die praktische Durchführung eines Abbruchs soll allerdings auch weiterhin kein Teil des Curriculums werden. Praktizierende Ärzte sollen aber mehr Möglichkeiten zur Fortbildung in diesem Gebiet erhalten. Konkret geplant ist bisher jedoch laut einer Ankündigung der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) und des Berufsverbands der Frauenärzte (BVF) nur, auf den stattfindenden Kongressen das Thema Schwangerschaftsabbruch aufzugreifen, und hierzu jeweils „einen Beitrag anzubieten“.
Eine weitere Maßnahme soll außerdem sein, eine Leitlinie zur sicheren Durchführung von Schwangerschaftsabbrüchen in deutscher Sprache zu veröffentlichen. „Eine Leitlinie, die die rechtlichen, methodischen und psychosozialen Punkte dieses Bereichs zusammenfasst, würde ich sehr begrüßen“, sagt Gynäkologin Dr. Petra Brandt im Gespräch mit den DocCheck News. „Zwar wirkt das Thema gesellschaftlich stark polarisierend, aber die Faktenlage wissenschaftlich aufzuarbeiten, halte ich für gut machbar und auch an der Zeit.“
Zur Zeit gibt es kaum evidenzbasierte und wissenschaftlich fundierte deutschsprachige Literatur für Ärzte und Studenten, die sich mit dem Thema Schwangerschaftsabbruch beschäftigen wollen. Solche Informationen frei zugänglich zu machen, ist auch ein Ziel des Vereins Doctors for Choice. Er bietet seit kurzem kostenlose Online-Fortbildungen mit CME-Zertifizierung an, in denen sich Ärzte und Studierende theoretisches und praktisches Wissen zur Interruptio aneignen können.
Dr. Alicia Baier ist Mitgründerin des Vereins und Ärztin in Weiterbildung im Bereich Gynäkologie und Allgemeinmedizin. Im Gespräch mit DocCheck erzählt sie, dass sie die Versorgungslücke vor allem im Zeitraum der nächsten 10–15 Jahre als problematisch ansieht. „Viele der Ärzte, die noch Schwangerschaftsabbrüche durchführen, sind kurz vor dem Ruhestand. Von den Ärzten, die aber danach die Versorgung aufrecht erhalten müssten, machen die wenigsten Abbrüche.“
Über die Gründe dafür kann die junge Ärztin nur spekulieren. „Ich erkläre mir das so, dass die vorherige Generation noch die politischen und gesellschaftlichen Debatten der 70er Jahre mitbekommen und sich einfach mehr mit diesem Thema auseinander gesetzt hat. Auch mit solchen wichtigen Themen wie Selbstbestimmung und Emanzipation“, so die junge Medizinerin. „Außerdem kennen sie eventuell noch Zeiten, in denen unsachgemäß durchgeführte Eingriffe dann nicht selten das Leben der Frauen gekostet haben und wissen deshalb, wie wichtig eine fachgerechte Durchführung in diesem Bereich ist.“ Hoffnung macht ihr aber, dass sie unter den jungen Ärzten wieder ein steigendes Interesse an diesem wichtigen Aspekt der Versorgung von Frauen sehe.
Dr. Christiane Groß, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbundes sieht das Ganze eher als Grundsatzdiskussion. „Ich glaube, es liegt an der persönlichen Einstellung eines jeden, daran, was er im Leben erfahren und gelernt hat, wie seine persönliche, ethische und religiöse Einstellung zu einem Abbruch ist. Die ethischen Fragen zu Leben und Tod gehören zu den grundsätzlichsten Dingen, mit denen sich Menschen auseinandersetzen müssen. Die Debatte dazu muss öffentlich geführt werden“.
Sie sieht in der öffentlich oft emotional geführten Diskussion auch einen der Gründe, warum nicht alle Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, auf der frei zugänglichen Liste der BÄK aufgeführt werden wollen. Selbsternannte „Lebensschützer“ machen diesen Medizinern das Leben schwer – und können ihnen sogar gefährlich werden. „Sie spielen sich nicht nur als Richter über Ärztinnen und Ärzte auf, sondern bedrohen diese oder agieren gezielt gegen sie und ihre Möglichkeit der Berufsausübung.“
Ermöglicht wird ihnen das nur, weil der Schwangerschaftsabbruch in Deutschland immer noch einen Straftatbestand darstellt. Besonders kritisch sehen viele Mediziner den Paragrafen 219a, der jegliche Werbung für den Abbruch einer Schwangerschaft verbietet, und somit Ärzte, die Frauen informieren wollen, kriminalisiert. Daran ändert der kürzlich neu hinzugefügte Absatz nur sehr wenig.
Auch der Präsident des Berufsverbandes für Frauenärzte, Christian Albring, sieht die Politik hier am Zug. „Die Bundesländer haben die moralische Pflicht, die Frauenärztinnen und -ärzte zu schützen, tun aber viel zu wenig, um nicht zu sagen gar nichts“, sagt er in einem Interview.
Wie also als Gynäkologe mit der Situation umgehen? Dr. Brandt erklärt die Bredouille, in der viele Ärzte bei diesem Thema stecken: „Schwangerschaftskonflikte sind in meinem Berufsalltag die größte Herausforderung. Hier geht es um tiefere Überzeugungen, Wertvorstellungen, Ethik. Es geht darum, wann beginnt Leben und wer kann darüber entscheiden. Es spielt auch der Gedanke eine Rolle, was ein glückliches, sinnvolles Leben ausmacht und was uns daran hindern könnte.“
In einem Artikel der Zeit beschreibt eine Ärztin den inneren Konflikt bei diesem Thema so: „Für mich persönlich ist das schwierig, denn ich finde: Jede Frau soll die Möglichkeit haben, eine Schwangerschaft zu beenden, wenn sie das will. Trotzdem bringe ich es einfach derzeit nicht über mich, diesen Eingriff selbst durchzuführen. Aber ich weiß: Wenn Frauen das Recht haben sollen, dann muss es auch Ärzte geben, die das machen. Ein Widerspruch, mit dem ich oft hadere.“
Die im Artikel zitierte Ärztin sollte im Rahmen ihrer Weiterbildung einem erfahrenen Facharzt bei einem Abbruch assistieren. Bis dahin hatte sie sich noch nicht viele Gedanken darüber gemacht, wie sie selbst zu diesem Thema steht. „Ich habe den Abbruch nicht mal selbst durchgeführt und habe dann trotzdem direkt gemerkt, dass ich das nicht kann. Den Fötus auf dem Ultraschallbild zu sehen, das Geräusch des Geräts zu hören und zu wissen, dass es etwas Lebendiges ist, was man da absaugt: Mir ging das zu nahe. Nach diesem einen Mal stand für mich fest, dass ich das aktuell nicht machen möchte“, erklärt sie.
Dr. Baier von Doctors for Choice sieht das Ganze etwas pragmatischer. „Das Thema wird oft stark emotional betrachtet. Wir sind aber Ärzte und müssen uns damit auch fachlich und gesundheitsorientiert auseinandersetzen. Ich bin der Meinung, wenn man sich das Fach Gynäkologie ausgesucht hat, dann sollte man von vornherein wissen, dass Schwangerschaftsabbrüche zu diesem Fach dazugehören. Wir werden ausgebildet, um unseren Patientinnen – ob gewollt oder ungewollt schwanger – zu helfen. Wenn eine ganze Berufsgruppe ihrer Aufgabe nicht in ausreichendem Maße nachkommt, dann finde ich das sehr problematisch. Es geht hier auch gar nicht nur um die praktische Durchführung, sondern um die gesamte Betreuung der Patientin davor und danach. Eine generelle Verweigerung, sich in diesem Bereich ausbilden zu lassen, ist nicht gut. Die Patientin sollte im Fokus stehen und wir sollten uns als erstes ihr verpflichtet sehen als behandelnde Ärzte.“
Für Dr. Groß ist es dagegen wichtig, dass auch Ärzte eine Wahl haben. „Kein Arzt sollte gezwungen werden können, aktiv an einer Abtreibung teilzunehmen oder sie vorzunehmen. Dieses Recht muss zum Schutz der Persönlichkeit von Ärztinnen und Ärzten ebenfalls erhalten bleiben.“
Einigkeit scheint einzig darin zu herrschen, dass besonders die Ärzteschaft, aber auch die gesamte Gesellschaft sich mit diesem wichtigen Thema immer wieder auseinandersetzten sollte und muss. Denn von vornherein ablehnend zu reagieren, sei es aus Angst vor Stigmatisierung oder rechtlichen Konsequenzen, aus fehlendem praktischen oder theoretischen Wissen oder einfach weil man sich noch keine Meinung gebildet hat, hilft niemandem.
Solange es keine absolut sicheren Verhütungsmittel gibt, solange Frauen am Ende immer wieder mit der Verantwortung für ein Kind alleine dastehen, so lange wird es auch Frauen geben, die sich gegen ein Kind entscheiden. Und diese Wahl auch haben sollten.
Weiterführende Quellen für Ärzte:
Der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch – (wie) geht das in meiner Praxis? (Seite 21–25) von Dr. med. Jana Maeffert und Dr. med. Christiane Tennhardt, Psychosomatik 1/2018.
Informationen zum Schwangerschaftsabbruch (Seite 75-79) von Kristina Hänel, Zeitschrift für Allgemeinmedizin, Deutscher Ärzteverlag 2/2019.
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