Ältere Patienten erhalten von Ärzten und Apothekern häufig Vitamin D. Es soll zur Prophylaxe von Osteoporose oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen dienen. Oft bleibt dieser Effekt allerdings aus. Wann ist es sinnvoll, Präparate zu empfehlen und in welchen Fällen sollte man abraten?
Bundesweit schlucken rund zwei Millionen Menschen Vitamin-D-Präparate, wie Recherchen des ARD-Magazins „Plusminus“ ergaben. Jährlich wird das synthetisch hergestellte Calciferol in Deutschland für über 70 Millionen Euro verkauft, schreibt die FAZ. Ob das Supplementieren mit Vitamin D sinnvoll ist, diese Frage stellen vor allem ältere Patienten ihrem Hausarzt. Ein Blick auf die aktuelle Studienlage hilft, Antworten zu finden. Hersteller befeuern den NEM-Hype natürlich. Beispielsweise schreibt Merck auf einer Kunden-Website: „Der Vitamin-D-Mangel ist in Deutschland weit verbreitet. Etwa 80 Prozent der Deutschen sind betroffen.“ Die wenigsten Verbraucher werden einen Blick auf Quellenmaterial werfen. Merck zitiert eine Arbeit mit lediglich 201 Frauen im gebärfähigen Alter. Daraus auf die gesamte Bevölkerung zu schließen, ist mutig. Das Robert Koch-Institut nennt deutlich niedrigere Werte. Basis waren Blutwerte von 4.030 Erwachsenen und 10.015 Kindern und Jugendlichen. Trotzdem schlucken viele Konsumenten Vitamin D plus Calcium, um einer Osteoporose vorzubeugen. Vitamin D-Mangel bei der Bevölkerung in Deutschland © RKI
Vitamin-D-Grundstruktur © NEUROtiker / Wikipedia, CC0 Daten einer umfangreichen Metaanalyse zeigen, dass Supplemente nicht den erwünschten Effekt bringen. Jia-Guo Zhao vom Tianjin Hospital in China hat zusammen mit Kollegen 33 randomisierte Studien mit mehr als 51.000 Teilnehmern ausgewertet. Alle Probanden waren über 50 und mussten sich selbst versorgen, sie lebten also nicht in Pflegeheimen. Soweit Messwerte vorlagen, bewegten sich die Spiegel oft im Normalbereich. In den von den Studienautoren erwähnten Leitlinien wurde die Gabe von Calcium- und Vitamin-D-Supplementen bei älteren Osteoporose-Patienten empfohlen, um Frakturen zu verhindern. Allerdings ergibt die Metaanalyse, dass es keine einheitlichen Aussagen in Hinsicht auf den Zusammenhang zwischen Calcium, Vitamin D, einer Kombination aus beidem und einem Frakturrisiko gibt. Hüftfrakturen wurden als primärer Endpunkt definiert. Auch bei Patienten mit Osteoporose fand Zhao keine einzige Studie, um den möglichen Benefit zu belegen. Die Leitlinie „Prophylaxe, Diagnostik und Therapie der Osteoporose“ sieht nur Assoziationen zwischen Frakturen und niedrigen Spiegeln an 25-Hydroxy-Vitamin D, sollten Werte im Serum unter 20 ng/ml (50 nmol/l) liegen. „Eine Calciumzufuhr von weniger als 500 mg täglich ist ebenfalls mit einer mäßigen Erhöhung der Frakturrate assoziiert“, heißt es weiter. Bei höheren Werten sei die Datenlage inkonsistent. Dennoch gibt es eine entscheidende Ausnahme, die aus den Analysen von Zhaos Team hervorgeht. „Bei Calcium- und Vitamin D-defizienten Personen in Alten- und Pflegeheimen führte eine Supplementierung mit 1.200 mg Calcium und 800 Einheiten Vitamin D3 täglich zu einer Reduktion nicht-vertebraler Frakturen und insbesondere von proximalen Femurfrakturen“, fassen die Leitlinienautoren zusammen. Sie geben bei dieser Gruppe mehrere Empfehlungen:
Supplementationen nach dem Gießkannenprinzip machen nicht nur bei Osteoporose keinen Sinn. Ähnlich enttäuschend ist die Datenlage bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Seit Jahren vermuten Forscher auf Basis von Beobachtungsstudien, dass niedrige Spiegel an Vitamin D mit erhöhten kardiovaskulären Risiken in Verbindung stehen. Bleibt als Frage, ob Supplemente die Situation wirklich verbessern. Robert Scragg von der University of Auckland sieht keinen großen Nutzen. Im Rahmen seiner Vitamin D Assessment (ViDA)-Studie hat er 5.108 Probanden randomisiert zwei Gruppen zugeordnet. Sie erhielten Vitamin D3 (n = 2.558) oder Placebos (n = 2.552). Als Verum kamen initial einmalig 200.000 IU zum Einsatz, gefolgt von 100. 000 IU pro Monat als Einzelgabe über 3,3 Jahre im Mittel. Primärer Endpunkt war die Zahl an kardiovaskulären Ereignissen mit oder ohne Todesfolge in beiden Gruppen (11,8 versus 11,5 Prozent). Der Unterschied erwies sich als nicht signifikant – nicht einmal in Subgruppen mit nachgewiesenem Vitamin-D-Mangel. Über biochemische Mechanismen sagt die Arbeit nichts aus. Insofern bleiben für weitere Forschungsprojekte mehrere Fragen zu klären:
Wenig später veröffentlichte Kay-Tee Khaw Auswertungen zum sekundären Endpunkt der ViDA-Studie. Sie arbeitet am Department of Public Health and Primary Care der Universität Cambridge. Khaw fand weder bei Knochenbrüchen (Verum 6 Prozent versus Placebo 5 Prozent) noch bei Stürzen (52 versus 53 Prozent) signifikante Unterschiede.
Apropos Stürze: Heike A. Bischoff-Ferrari vom Universitätsspital Zürich warnt vor höheren Sturzrisiken bei Senioren, die hohe Mengen an Vitamin D erhalten hatten. Ihre Kohorte umfasste 200 Männer und Frauen ab 70 Jahre mit Stürzen in der Vorgeschichte. Sie waren im Schnitt 78 Jahre alt, und 58 Prozent hatten Vitamin-D-Werte unter 20 ng / ml. Als primären Endpunkt definierte Bischoff-Ferrari die funktionale Verbesserung unterer Extremitäten und Serumwerte über 30 ng / ml. Nach zwölf Monaten erhöhten große Mengen des Supplements die Sturzinzidenzen signifikant (60.000 IE: 66,9 Prozent; 24.000 IE: 47,9 Prozent).
Anne Marie Uwitonze vom Kigali Health Institute in Ruanda begab sich zusammen mit US-amerikanischen Kollegen auf Spurensuche. In einer Literaturarbeit (DocCheck berichtete) bewertet sie den Magnesiumspiegel als entscheidende Größe. Das Ion spiele unter anderen als Cofaktor beim Vitamin D-Stoffwechsel eine entscheidende Rolle, schreibt die Forscherin. Ohne Magnesium hätten mehrere Enzyme keine ausreichende Aktivität. Die Erstautorin spekuliert, aufgrund veränderter Ernährungsgewohnheiten sei ein Mangel häufiger als früher. Es bleibt die Frage zu klären, ob ergänzende Supplementationen vielleicht doch zu stärkeren Effekten von Vitamin D auf das Skelettsystem führen könnten.