Sehen, hören, sprechen – wo Medizin alleine nichts mehr ausrichten kann, hilft moderne Technik. Heute unterstützen oder ergänzen zahlreiche Tools unsere Sinne. Ein gesellschaftlicher Trend kommt noch hinzu: Gesunde User helfen Menschen mit Einschränkung virtuell.
Genie und Superstar: Mit Naturwissenschaften gibt sich Ausnahmetalent Stephen Hawking schon lange nicht mehr zufrieden. Der 73-jährige Astrophysiker leidet seit 1963 an Amyotropher Lateralsklerose (ALS) und verlor nach einer Tracheotomie die Fähigkeit, zu kommunizieren. Mit Sprachcomputern wie DECtalk gab Hawking Interviews oder hielt Vorlesungen. Jetzt hat er Monty Pythons „Galaxy Song“ gecovert und allen Skeptikern gezeigt, was Technik leisten kann: Der Physiker steuert seinen elektronischen Helfer allein über Bewegungen der Augen. Kein Einzelfall – heute ersetzen oder ergänzen Ingenieure fehlende Sinnesfunktionen immer häufiger mit moderner Technik.
Bestes Beispiel: Kathy Bleitz leidet an Morbus Stargardt, einer Augenerkrankung, die schon in jungen Jahren zur Makuladegeneration führt. Der Visus verringert sich auf Werte von bis zu 0,1. Trotzdem konnte Bleitz ihr neugeborenes Kind sehen – dank eines innovativen Headsets von eSight. Für Conrad Lewis, Gründer des gleichnamigen Start-Ups aus Ohio, lässt sich schlechte oder nachlassende Sehkraft auf zu wenige Daten zurückführen. Die Lösung: Eine HD-Kamera nimmt auf, was sich im Blickfeld des Patienten befindet. Entsprechende Bits und Bytes gehen an einen schnellen Prozessor zur individuellen Bearbeitung und weiter an ein Display. Alle Komponenten befinden sich im futuristisch anmutenden Headset. Kathy Bleitz sieht im Display beispielsweise ein Bild mit künstlich verstärkten Kontrasten. Daneben sind Einstellungen für verschiedene Situationen möglich – vom gleißenden Tageslicht bis zur diffusen Beleuchtung bei Nacht. Yvonne Felix, die Schwester von Kathy Bleitz, leidet ebenfalls an Morbus Stargardt. Sie trägt eSight mittlerweile acht bis zehn Stunden pro Tag – und hat damit keine Probleme. Andere Geräte, die deutlich preisgünstiger sind, übertragen Bilder nicht in Echtzeit, was unser vestibuläres System irritiert. Betroffene leiden an Übelkeit und Schwindel – bekannt als Simulatorkrankheit. Dieses Defizit hat eSight erfolgreich durch schnelle Prozesse behoben, wenn auch zu einem vergleichsweise hohen Preis von 15.000 US-Dollar. Im nächsten Schritt will Lewis kostengünstigere und auch leichtere Brillen entwickeln, um noch mehr Patienten zu erreichen.
Die VerbaVoice GmbH aus München hat noch weitere Dienste im Portfolio. Sie bietet Online-Dolmetscher für Hörgeschädigte oder Gehörlose an. Das geht so: Der Referent vor Ort spricht in ein Mikrofon. VerbaVoice überträgt gesprochene Worte in Gebärdensprache und streamt ein Video an Smartphones von Usern. Bei größeren Events kann sich auch eine Live-Untertitelung lohnen. Das Unternehmen arbeitet an weitere Ideen. Künftig soll es dank SmartEyeglass noch einfacher werden, Gebärdensprache und Handlung im Blick zu behalten. Eine Kooperation mit Sony, dem Hersteller von Datenbrillen, ist unter Dach und Fach.
Längst sind noch nicht alle Potenziale ausgeschöpft, die moderne Technik bietet – Entwickler arbeiten weltweit an neuer Hardware oder Software. Bleiben zwei große Herausforderungen: Auch für Tools sollten Qualitätsstandards gemäß Medizinproduktegesetz gelten. Und Krankenkassen werden sich der Frage stellen müssen, welche Leistungen sie künftig übernehmen.