Ab dem kommenden Wintersemester studieren angehende Apotheker in Österreich nach dem Bachelor-Master-System. Damit haben Hochschulen Pandoras Büchse geöffnet: Private Unis springen auf – und Bachelors könnten die neuen „Apotheker light“ werden.
In Österreich ist ein Pharmaziestudium an den Hochschulen in Wien, Graz und Innsbruck möglich – momentan mit Diplom-Abschluss. Das soll sich bald ändern: Ab dem Wintersemester 2015/2016 passen alle drei Unis ihre Lehrveranstaltung an. „Mit der Einführung des Bachelorstudiums Pharmazeutische Wissenschaften ist ein weiterer wichtiger Schritt hin zu einer flächendeckenden Umstellung auf das Bologna-System gelungen, das akademische Abschlüsse europaweit vergleichbar machen soll“, erklärt Ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Polaschek, Vizerektor für Studium und Lehre an der Uni Graz.
Zu den Details: Das Bachelorstudium vermittelt wenig überraschend Grundlagen der pharmazeutischen Wissenschaften inklusive angrenzender Disziplinen wie Biologie, Biochemie, Biotechnologie, Molekularbiologie, Chemie, Hygiene oder Physik. Eine Kommission hat das Curriculum stark überarbeitet, verglichen mit alten Lehrplänen. „Die Studierenden erwerben theoretisches und praktisches Wissen über die Entwicklung, Herstellung und Qualitätskontrolle von Arzneistoffen und Medikamenten“, so Ao. Univ.-Prof. Dr. Martin Schmid, Vorsitzender der Curriculakommission für das neue Studium an der Uni Graz. Seine Hochschule bietet nach wie vor 384 Studienplätze für das Bachelorstudium „Pharmazeutische Wissenschaften“ an, kann pro Jahr aber nur 80 Laborplätze zur Verfügung stellen – ein generelles Defizit, das Ausbildungszeiten jenseits der Alpen künstlich nach oben treibt. Momentan beträgt die durchschnittliche Studiendauer in Graz elf Semester, in Innsbruck 12,4 und in Wien sogar 13,7 Semester.
Nicht der einzige Schwachpunkt: Martin Schmid zufolge ermöglicht die Ausbildung „den Berufseinstieg beispielsweise in analytischen und diagnostischen Laboratorien oder in der pharmazeutischen Industrie“. Ob sich seine Prognosen bewahrheiten werden, ist offen. Kritiker befürchten jedoch, einen neuen Berufsstand für öffentliche Apotheken zu schaffen. Dort arbeiten zurzeit nur Approbierte und PKA. PTA kennt das System im Nachbarland nicht. Umso größer ist das Interesse vieler Inhaber, einen „Apotheker light“ mit niedrigerer Besoldung, aber pharmazeutischem Berufsprofil zu schaffen. Für die Tätigkeit in öffentlichen Apotheken ist derzeit sowohl ein Masterabschluss als auch ein Aspirantenjahr (ein praktisches Jahr) erforderlich. Regierungsvertreter müssten für Bachelors nur die pharmazeutische Fachkräfteverordnung anpassen. Tätigkeiten außerhalb von Apotheken, etwa in großen Drogeriemärkten, wären ebenfalls denkbar – als neuer Distributionsweg für Arzneimittel. Grund genug für die Österreichische Apothekerkammer, sich klar gegen Bachelors auszusprechen. Hochschulvertreter sehen die Problematik nicht; schließlich haben sie schon etliche Studiengänge unterstellt. Nur ist es mit der vom Bologna-Prozess geforderten Mobilität in der Pharmazie so eine Sache – zu spezifisch sind die jeweiligen Inhalte. Studierende können wenigstens zwischen Wien, Graz und Innsbruck leichter wechseln.
Die österreichische Pharmazie steht aber noch vor ganz anderen Umbrüchen. Laut „Apotheke in Zahlen“ verlassen mehr und mehr Absolventen Hochschulen der Alpenrepublik. Waren es im Studienjahr 2009/2010 noch 226, stieg die Zahl in 2013/2014 auf 278 an. Damit nicht genug: Ab Herbst bietet die Sigmund Freud Privat Universität Wien einen neuen Bachelor für Heilberufler an. Bis zum ersten Abschluss nach drei Jahren durchlaufen 80 angehende Humanmediziner, 50 Pharmazeuten und 50 Zahnmediziner die Ausbildung gemeinsam. Danach schließt sich ein fachspezifisches, dreijähriges Masterstudium an. Die Kosten belaufen sich auf 11.000 Euro pro Semester; allein das Aufnahmeverfahren schlägt mit 650 Euro zu Buche. Umfangreiche Tests mit hohen Durchfallquoten wie an öffentlichen Universitäten soll es während des Studiums nicht geben – dafür aber kleine Prüfungen. Kein Einzelfall: Bei der Jahrestagung der Interessengemeinschaft österreichischer Heilmittelhersteller und Depositeure präsentierte Dr. Michael Nake von der Paracelsus Medizinische Privatuniversität (PMU) Salzburg ein weiteres Projekt. Zusammen mit dem Österreichischen Apothekerverband plant die PMU ebenfalls ein privates Pharmaziestudium. Pro Jahr will Nake 50 Personen ausbilden. Wunschtermin wäre 2016, falls die Agentur für Qualitätssicherung und Akkreditierung Austria ein positives Votum ausspricht. Noch wurde keine Entscheidung veröffentlicht.
Während Verbandsfunktionäre zuversichtlich sind und von einer "Ergänzung staatlicher Angebote" sprechen, sehen Kritiker den Weg zur Zwei-Klassen-Ausbildung kommen: gut strukturierte, straffe, wenn auch teure Studiengänge an privaten Unis im Vergleich zu langen Wartezeiten an öffentlichen Hochschulen. Ob Österreich in Summe 450 oder mehr Apotheker pro Jahr tatsächlich unterbringen kann, ist eine andere Frage.