Der Kunde ist eigentlich zu jung für das Schlafmittel, das auf seinem Rezept steht. „Zolpidem für meine Oma, die wohnt 200 Kilometer weit weg und kann nicht mehr fahren.“ Seine Erklärung ist vor allem eines: verdächtig.
Das Thema Rezeptfälschungen in der Apotheke wird niemals alt, denn immer wieder kommt man in Situationen, bei denen einem bei der Abgabe ein wenig mulmig wird. Doch wie erkenne ich ein gefälschtes Rezept? Wie gehe ich bei einem Verdacht vor? Und mache ich mich eigentlich strafbar, wenn ich einen mutmaßlichen Rezeptfälscher bei der Polizei melde? Verstoße ich dann gegen die Verschwiegenheitspflicht? Es kursieren viele Halbwahrheiten und Gerüchte zu diesem Thema, daher habe ich darüber mit einer Juristin gesprochen, die mir bei der Wahrheitsfindung helfen konnte.
Es gibt zwei Sorten von gefälschten Rezepten. Einmal die gefälschten Kassenrezepte, auf denen Hochpreiser verordnet werden, und einmal die gefälschten Privatrezepte, auf denen Medikamente wie Betäubungsmittel, Beruhigungsmittel (Alprazolam, Bromazepam, Diazepam, Zolpidem und Zopiclon) oder starke Schmerzmittel (Codein, Tilidin, Tramadol) stehen, die einen Rausch versprechen. Auch Psychopharmaka und Antidepressiva wie Amitriptylin, Citalopram, Fluoxetin, oder Haloperidol gehören genau wie bestimmte Dopingmittel aus der Bodybuilder-Szene (Anastrozol, Clomifen, Clenbuterol, Exemestan, Somatropin, Tamoxifen oder Testosteron) zu den beliebtesten Medikamenten, wenn es um Rezeptfälschungen geht.
Beide Arten der Fälschung sind brandgefährlich, denn einmal geht es um die wirtschaftliche Situation der Apotheke und einmal darum, dass man ungewollt zum Dealer wird und dadurch die Gesundheit eines Menschen negativ beeinflusst.
Sollte in der Apotheke eine eigentlich erkennbare Rezeptfälschung aufgrund nur flüchtigen Betrachtens des Dokumentes nicht erkannt werden, gibt es keinen Vergütungsanspruch durch die Krankenkasse für die daraufhin gelieferten Medikamente. Auch die Versicherungen der Apotheken tragen das Risiko einer Rezeptfälschung übrigens nur in den seltensten Fällen.
Diese „Patienten“ kommen meist zu Uhr- und Tageszeiten in die Apotheke, zu denen der verordnende Arzt nicht mehr praktiziert. Besonders beliebt sind hier die Wochenenden, die Mittwochnachmittage oder der Notdienst ab 20 Uhr. Dann ist der Arzt, der auf dem Stempel steht, nicht mehr für kritische Rückfragen verfügbar und die Fälscher hoffen, auf diese Weise unerkannt bleiben zu können. Weitere Verdachtsmomente sind:
Aufhorchen sollte man auch, wenn die angegebene Wohnadresse des Kunden weit von der Arztpraxis und des Apothekenstandortes entfernt ist, oder extrem teure Medikamente von unbekannten Kunden per Handy vorbestellt werden.
Dass ein solches gefälschtes Rezept durchaus dazu in der Lage ist, die Apotheke wirtschaftlich erheblich zu schädigen, zeigen einige Fälle der Vergangenheit. Bei Medikamenten im Wert von mehreren tausend Euro ist es schwer, den Verlust einfach so als Erfahrungswert abzuhaken.
Im Gegensatz zu den eher selten vorkommenden Fälschungen für hochpreisige Medikamente hat sicherlich fast jeder mit ein paar Jahren Berufserlaubnis bereits eine Fälschung für Medikamente mit einer berauschenden oder dämpfenden Wirkung in den Händen gehalten. Diese sind meist deutlich dilettantischer hergestellt und so gut wie immer sind sie auf einem Privatrezept ausgestellt, auch wenn es die Möglichkeit einer Kostenübernahme durch die GKV gegeben hätte.
In den Fällen, die ich persönlich miterlebt habe, war auch das Verhalten der Rezeptbetrüger auffällig. Jedes Mal wurde das Rezept nicht einfach wortlos übergeben wie es meistens üblich ist, es wurden weitschweifige Erklärungen mitgeliefert, warum irgendetwas auf dem Rezept nicht stimmig sein könnte. Beispielsweise vor Jahren, als ein junger Mann ein Rezept für Zolpidem einlösen wollte und mir in langen Worten erklärte, warum er das Rezept angeblich für seine Oma abholt, die 200 Kilometer weit weg wohnt, warum sie die Zolpidem überhaupt benötigt und wieso es auf einem privaten Rezept steht.
Die Dame, die mir ein Diazepam-Rezept übergab, wurde sofort aggressiv, als ich ihr sagte, dass wir das Medikament nicht am Lager hätten und erst bestellen müssten. Sie riss es mir aus den Händen und fauchte mich an, dass sie genau wisse, dass ich nur die Polizei anrufen wolle, bevor sie verschwand.
In Paragraph 17 Absatz 8 der ApBetrO ist es festgeschrieben, dass das pharmazeutische Personal einem erkennbaren Arzneimittelmissbrauch in geeigneter Weise entgegentreten muss und bei begründetem Verdacht auf Missbrauch die Abgabe zu verweigern hat. Und dann? Lässt man den Fälscher einfach weiterziehen und sein Glück bei der nächsten Apotheke versuchen?
Was erst einmal absurd klingt, ist tatsächlich zu bedenken: Die apothekerliche Schweigepflicht steht einer Anzeige bei der Polizei – zumindest theoretisch – tatsächlich im Wege. Auch die Landesapothekerkammern machen ihre Mitglieder darauf aufmerksam, dass sie sich möglicherweise auf gefährliches Terrain wagen, sollten sie einen versuchten Rezeptbetrug zur Anzeige bringen.
Der Paragraph 203 Absatz 1 Nr. 1 StGB besagt, dass sich strafbar macht, wer „unbefugt ein fremdes Geheimnis, namentlich ein zum persönlichen Lebensbereich gehörendes Geheimnis oder ein Betriebs- oder Geschäftsgeheimnis, offenbart, das ihm als 1. […] Apotheker […] anvertraut worden oder sonst bekanntgeworden ist.“ Diese Schweigepflicht umfasst auch die im Zusammenhang mit einer Straftat bekannt gewordenen Kenntnisse und kann bei einer Verletzung derselben mit einer Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft werden. Die Rezeptfälschung selbst gilt laut Paragraph 267 StGB als Urkundenfälschung, die mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe und in besonders schweren Fällen mit einer Haftstrafe von bis zu zehn Jahren geahndet werden kann.
Ich habe in diesem Zusammenhang mit einer Juristin gesprochen und sie um eine Einschätzung der Sachlage gebeten. Sie sieht im Falle eine Anzeige eher weniger Probleme, denn bei einer solchen Urkundenfälschung handelt es sich in der Regel ja nicht um einen Einzelfall. Ihrer Erfahrung nach kommt in einer Arztpraxis meist nicht nur ein Rezept in die falschen Hände, sondern es verschwinden in der Regel ganze Rezeptblöcke. Daher geht es eigentlich um eine Abwägung widerstreitender Interessen. Wiegt nun das Schweigeinteresse des Täters mehr, der nicht verurteilt werden möchte, oder überwiegt das Interesse der Öffentlichkeit an der Aufklärung der Straftat? In jedem Fall müsste der Kläger gegen den Apotheker der Fälscher selbst sein, der sich über die Offenbarung der eigenen Straftat beschwert. Die Juristin hält diese Konstruktion eher für lebensfern – wenn auch nicht für völlig ausgeschlossen. Ein entsprechend gelagerter Fall ist aber weder ihr selbst, noch ihren dazu befragten Kollegen bekannt.
Apothekenmitarbeiter dürfen laut Paragraph 34 StGB gegen ihre Schweigepflicht verstoßen, wenn ein rechtfertigender Notstand vorliegt, und „die Offenbarung zum Schutze eines höherrangigen Rechtsgutes erforderlich ist.“ Das Persönlichkeitsrecht des Kunden auf Geheimniswahrung kann dann zurücktreten, wenn eine Gefährdung für Leib, Leben und Gesundheit Dritter erwartet wird.
Ein Herausgeben dieser Berufsgeheimisse kann also durchaus differenziert beurteilt werden und jeder Apotheker sollte sich im Vorfeld überlegen, ob er solche Straftaten weitergibt, oder nicht. Eine gesetzliche Verpflichtung dazu gibt es tatsächlich nicht, wohl aber eine moralische. Wer hier – zurecht – eine Gefährdung von Leib und Leben sieht, der wird nicht umhin kommen, eine Anzeige bei der Polizei zu erstatten.
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