Fake News verbreiten sich während der Corona-Pandemie rasant. Nicht nur Laien, sondern auch Ärzte und Wissenschaftler machen mit. Jüngstes Beispiel ist die Flyer-Aktion in Hamburg.
In dieser Woche fanden viele Hamburger ungebetene Post in ihren Briefkästen. Der dubiose Verband „Ärzte für Aufklärung“ warnt mit etlichen Flyern vor angeblichen Gefahren einer „Corona-Zwangsimpfung“. In dem Schreiben wird außerdem die Existenz der Corona-Pandemie mit irreführenden Argumenten in Frage gestellt und als „Fake-Pandemie“ bezeichet.
„Gestern aus dem Briefkasten gefischt, kann man dagegen etwas unternehmen?“, schrieb ein Nutzer auf Twitter nach seinem Fund:
Laut Impressum der Website ist Dr. Walter Weber, ein Onkologe aus Hamburg, für die Inhalte verantwortlich. Und der Verein, er soll angeblich 700 Mitglieder haben, fällt nicht zum ersten Mal negativ auf.
„Ärzte für Aufklärung“ hatten vor mehreren Monaten bereits versucht, die Maskenpflicht zu torpedieren, indem sie vermeintlichen Patienten großzügig Atteste ausstellten – ohne jede Untersuchung und ohne Kenntnis früherer Diagnosen.
In der aktuellen Postwurfsendung widmen sie sich einem anderen Thema. Sie warnen davor, dass die Regierung einen Impfzwang plane. Zitiert wird auch Prof. Dr. Stefan W. Hockertz. Er war bis 2004 Direktor des Instituts für Experimentelle und Klinische Pharmakologie und Toxikologie am Universitätskrankenhaus Eppendorf. Während der Pandemie erklärte er, SARS-CoV-2-Infektionen seien mit einer Virusgrippe vergleichbar. Insofern betrachtete Hockertz Maßnahmen der Regierung als unverhältnismäßig. Im dem aktuellen Flyer nennt er „80.000 Tote und 4 Millionen Impfschädigungen durch eine Corona-Zwangsimpfung in Deutschland“ – wie zu erwarten ohne Quellenangaben und wissenschaftlicher Erklärungen.
„Dann müssen wir damit rechnen, dass, wenn das Bundesministerium des Inneren sich entschließt, über die Notstandsgesetze zwangszuimpfen [...], wenn davon auch nur 0,1 Prozent an dieser Impfung versterben, und dies ist durchaus realistisch, selbst bei einem Impfstoff, der besser geprüft worden ist als nur drei Monate in der Präklinik, dann haben wir 80.000 Tote“, wird der ehemalige Institutsdirektor zitiert.
Denn die aussichtsreichsten Kandidaten seien mRNA-Impfstoffe, deren Auswirkungen man nicht abschätzen könne. „Bis heute weiß kein Forscher, ob Autoimmunerkrankungen oder gar Krebs entstehen.“ Das werde sich erst in fünf bis zehn Jahren herausstellen. „Daher ist es verantwortungslos und unverhältnismäßig, dass Frau Merkel und Herr Spahn die Bevölkerung dieses Landes diversen Risiken aussetzen.“
Laut Flyer handele es sich ohnehin um eine „Fake-Pandemie“. Zur Erklärung heißt es unter anderem, Krankheitsfälle seien nur aus Medienfällen bekannt, die Sterblichkeit sei unverändert und renommierte Wissenschaftler würden ignoriert oder gar öffentlich lächerlich gemacht. Wer die Experten sein sollen, bleibt offen.
Für SPD-Gesundheitsexperte Prof. Dr. Karl Lauterbach ist die Angelegenheit ein klarer Fall für die Ärztekammer, sollte es sich tatsächlich um identifizierbare approbierte Kollegen handeln. „So eine Propaganda ist relevant für die Frage, ob die Approbation Bestand hat ... “, twittert er.
Die frühere Verbreitung offensichtlicher Falschinformationen zu Impfungen in Afrika und Indien hatte für den Verein „Ärzte für Aufklärung“ keinerlei Konsequenz. Während der Corona-Krise tritt der Konflikt zwischen berufsrechtlichen Pflichten und dem Recht auf freie Meinungsäußerung deutlicher denn je zu Tage.
Auch der dubiose Verein „Mediziner und Wissenschaftler für Gesundheit, Freiheit und Demokratie, e.V.“ bezieht sich auf das Recht, sich frei äußern zu dürfen. Unter den Gründern sind laut tagesschau.de der Mikrobiologie-Professor Sucharit Bhakdi, der Hals-Nasen-Ohrenarzt Bodo Schiffmann und der Finanzwissenschaftler Stefan Homburg. Alle drei sind bekannte Kritiker staatlicher Maßnahmen. Auch sie arbeiten nicht nur online, sondern machen Veranstaltungen oder verteilen Pamphlete.
Der Schaden solcher Aktionen lässt sich schwer beziffern. Gerade durch Flyer erreichen selbsternannte „Skeptiker“ Menschen, die sich fernab seriöser Quellen bewegen. Sie werden nicht nach Publikationen fragen oder evidenzbasierte Quellen aufrufen.
Schlagen Patienten mit solchen Informationen in einer seriösen Praxis auf, ist das für Ärzte mit großem Aufwand verbunden. Solche Vereine arbeiten mit einem simplen Trick: Sie zitieren vermeintliche Experten, Ärzte und Wissenschaftler. Dazu kommen einfache, plakative Botschaften. Wer in der wissenschaftlichen Welt nicht zu Hause ist, moniert keine fehlenden Literaturstellen.
Medizinern bleibt nur, weit auszuholen und in groben Zügen zu erklären, wie etwa Impfstoffstudien ablaufen. Der zeitliche Aufwand ist für Ärzte zwar groß, aber auf Hilfe von Kammern oder Verbänden sollten sie nicht warten.
Bildquelle: Tapio Haaja, Unsplash