„Ich glaube, mein Hund ist dement. Kann das sein?“ Als Tierärztin höre ich diese Frage oft in meiner Praxis. So äußert sich die Canine Kognitive Dysfunktion.
Hunde, die nicht mehr wissen, wo die Tür zum Garten ist, ihre Besitzer nicht mehr erkennen oder vergessen, wo ihr Futternapf steht – als Tierärztin mit der Zusatzbezeichnung Verhaltenstherapie erlebe ich häufig Verwunderung, dass Hunde ebenso wie Menschen im Alter dement werden können.
Dabei sind die Parallelen zwischen menschlichem und hündischem Gehirn sowohl im Allgemeinen als auch konkret bei dieser Erkrankung groß. Dies geht so weit, dass die Canine Kognitive Dysfunktion, wie die Demenz beim Hund auch genannt wird, in Studien als Modell für die frühe Form der Alzheimer Erkrankung des Menschen herangezogen wird.
In den letzten Jahrzehnten hat sich die gesundheitliche Versorgung unserer Haustiere stetig verbessert. Auch hier ist eine Parallele zum Menschen zu ziehen: Eine ausgewogene Ernährung, eine immer spezialisiertere medizinische Versorgung und ein gesünderer Lebenswandel führen zu einem deutlichen Anstieg der Lebenserwartung. Damit einher geht aber auch ein Anstieg gewisser Erkrankungen, die eher bei älteren Lebewesen auftreten – die Demenz ist ein typisches Beispiel. Es wird vermutet, dass etwa ein Fünftel aller Hundesenioren betroffen ist.
Ursache der Demenz sind bei Mensch und Hund altersbedingte Abbauprozesse. Insbesondere die Einlagerung von β-Amyloid-Plaques wird untersucht, aber auch Veränderungen der Neurotransmitter wie Dopamin werden diskutiert. In der Gesamtheit führt dies zu den typischen Symptomen der Demenz.
Oft sind die Symptome zu Beginn eher unauffällig und treten vorübergehend auf, im Verlauf der Erkrankung werden sie dann jedoch deutlich erkennbar und treten täglich in unterschiedlicher Ausprägung auf.
Unterteilt werden die Krankheitszeichen in sechs Leitsymptomkomplexe: Desorientiertheit, veränderte Aktivität, veränderte Interaktionen, veränderte emotionale Reaktionen, veränderter Schlaf-Wach-Rhythmus und Unsauberkeit.
Beschreiben Besitzer die Symptome ihres Haustieres, steht häufig die räumliche Desorientiertheit im Vordergrund. Hunde stehen an der falschen Seite der Tür, finden Napf, Körbchen oder Nachhauseweg nicht mehr. Bei weiterem Voranschreiten können sie in deutlich zu kleinen Durchgängen stecken bleiben, an einfachsten Hindernissen scheitern oder aber Schwierigkeiten haben, aus einer Ecke des Raums herauszufinden. Oft brauchen betroffene Hunde nach dem Erwachen aus dem Schlaf eine ganze Weile, um sich zu orientieren. Eine Beeinträchtigung des Gedächtnisses kann unter anderem vermutet werden, wenn neue Gegenstände oder Personen innerhalb kurzer Zeitabstände wiederholt erkundet werden.
Im Rahmen der Aktivität ist eine Verschiebung weg von gerichteter hin zu ungerichteter Aktivität zu beobachten. Hunde zeigen wenig Interesse an ihrer Umgebung und weniger Reaktionen auf Umweltreize. Zielloses Auf- und Abwandern wird häufig von Besitzern geschildert, ebenso wie ein abwesend wirkendes Stehen und Umherschauen im Raum. Nächtliches Bellen und Jaulen sowie das Zurückfallen in Welpen-typische orale Exploration können den Alltag für Mensch und Hund erschweren.
Belastend für die Besitzer sind aber auch die Änderungen hinsichtlich der Interaktionen und emotionalen Reaktionen. Erkrankte Hunde ziehen sich meist zurück und zeigen weniger Interesse an Zuwendung und Aufmerksamkeit sowie Spielzeug. Im fortgeschrittenen Stadium erkennen sie ihre Bezugspersonen teilweise nicht mehr. Auch eine deutlich ausgeprägte Ängstlichkeit bis hin zu Panikattacken oder das Auftreten von Aggressionsverhalten kann Hundehalter verunsichern.
Ebenso nervenzehrend ist der veränderte Schlaf-Wach-Rhythmus, der zu vermehrtem Schlaf am Tag, jedoch zu vermindertem Schlaf in der Nacht führt. Oft wandern Hunde ruhelos auf und ab, winseln oder hecheln, sodass viele Besitzer über Wochen selbst unter Schlafmangel leiden.
Da neben der oben beschriebenen räumlichen Desorientiertheit eine Störung der Schließmuskelfunktion nicht selten zum unvermittelten Kot- oder Urinabsatz des ehemals stubenreinen Hundes führt, kann diese Unsauberkeit die Beziehung zwischen Mensch und Hund weiter belasten.
Ein ausführlicher Vorbericht liefert also bereits zahlreiche Hinweise. Um die Erkrankung möglichst früh diagnostizieren zu können, hat sich der Einsatz einer Checkliste, die typische Symptome enthält, bewährt. Diese Liste kann von Tierärzten routinemäßig an Besitzer älterer Hunde herausgegeben werden und hilft nicht nur, Halter bezüglich früher Symptome zu sensibilisieren, sondern auch den zeitlichen Verlauf zu dokumentieren.
Um andere Ursachen für die genannten Symptome auszuschließen, ist eine sorgfältige klinische Untersuchung, gegebenenfalls unter Hinzuziehen weiterer Untersuchungsverfahren notwendig. Besonders häufige Differenzialdiagnosen sind Schmerzen des Bewegungsapparats oder der Zähne, Herzerkrankungen sowie Taubheit und Blindheit. Selbstverständlich schließt das Auftreten einer dieser Erkrankungen eine Demenzerkrankung nicht aus.
Es sollte beachtet werden, dass eine Demenzerkrankung beim Hund wie beim Menschen das Umfeld vor große Herausforderungen stellen kann, sodass ein besonderes Einfühlungsvermögen gefragt ist.
Bisher ist leider weder in der Veterinär- noch in der Humanmedizin eine Heilung der Erkrankung möglich. Ziel der Therapie ist es daher, das Voranschreiten der Erkrankung zu verlangsamen.
Je nach Hund setzt sich die Behandlung aus unterschiedlichen Bausteinen zusammen.
Mit an die Fähigkeiten des Hundes angepassten Intelligenzspielzeugen, Clickertraining oder dem Erkunden neuer Spazierwege können Besitzer mit wenig Aufwand für mentale Stimulation sorgen.
Die Wirksamkeit unterschiedlicher Futtermittel und Nahrungsergänzungsmittel wird in Studien aktuell kontrovers diskutiert. Allen gemeinsam ist, dass Inhaltsstoffe wie Antioxidantien, Radikalfänger, Omega-3-Fettsäuren, Coenzym Q10, Ginkgo u.a. das Gehirn vor altersbedingten Abbauprozessen schützen sollen. Je früher der Einsatz erfolgt, desto größer ist das Potenzial, prophylaktisch einschreiten zu können.
Medikamentös können Hunde mit Selegilin, einem Monoaminooxidase-Hemmer, unterstützt werden. Dieser erhöht die Konzentration der Neurotransmitter Dopamin, Serotonin, Noradrenalin und Adrenalin. Es wird angenommen, dass der Wirkstoff zudem durch neuroprotektive Effekte und eine reduzierte Bildung freier Radikale im Gehirn zu einer Verbesserung der Symptome führt.
Der Einsatz von Propentofyllin kann bei einigen Patienten sinnvoll sein, um die Blutversorgung des Gehirns zu verbessern.
Trotz allem ist in der Regel eine Anpassung des Lebensumfeldes notwendig. So sollten Besitzer unter anderem mit einem Überangebot an Wassernäpfen und Liegeplätzen dafür sorgen, dass ihre Hunde mit hoher Wahrscheinlichkeit entsprechend fündig werden. Treppen, Gartenteiche und andere Hindernisse müssen unter Umständen gesichert werden und Hunde auf dem Spaziergang an einer langen Leine geführt werden. Ein fester Tagesablauf gibt zusätzlich Sicherheit.
Während es bisher nicht möglich ist, der Erkrankung sicher vorzubeugen, ist es dennoch vorteilhaft, den Hund auch im fortgeschrittenen Alter geistig auszulasten, auf eine angepasste Ernährung zu achten sowie regelmäßig Check-Ups in der Tierarztpraxis wahrzunehmen. Es gilt: Je früher die Krankheit erkannt wird, desto eher kann das Voranschreiten therapeutisch verlangsamt werden.
Die im Text erwähnte Checkliste der Autorin könnt ihr hier finden.
Bildquelle: Harrison Kugler, unsplash