Das Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken tut genau das nicht, was es so vollmundig ankündigt. Denn aus meiner Sicht kommen wir mal wieder zu kurz.
Nach langer Wartezeit hat das Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken (VOASG) am 29. Oktober 2020 endlich den Bundestag passiert. Nun muss der Bundesrat zustimmen, damit das Gesetz noch im Dezember in Kraft treten kann. Es stellt sich nun die Frage: Ist dieses Gesetz tatsächlich dazu geeignet, die Vor-Ort-Apotheke zu stärken, oder ist alles nur Augenwischerei?
Die wichtigsten Vorteile sieht das Bundesgesundheitsministerium in folgenden Punkten:
Doch stimmt das auch? Gänzlich unumstritten, dass diese Punkte die Apotheke vor Ort stärken, ist es nämlich nicht.
Die Rabatte für die verschreibungspflichtigen Medikamente von gesetzlich versicherten Personen fallen weg. Erreicht wird das über Ergänzungen in § 129 SGB V, die dafür sorgen sollen, dass alle Apotheken, die nach Maßgabe des Rahmenvertrags versorgen, an die Arzneimittelpreisverordnung gebunden sind. Das bedeutet im Gegenzug, dass die Preisbindung für die Medikamente der Privatversicherten künftig aufgeweicht wird – was die Versicherungen wenig freut.
Sie befürchten, dass die Nichtgeltung der Arzneimittelpreisverordnung für sie insgesamt zu einem höheren Preisniveau führen wird. Die Hoffnung der Apotheker ist dabei, dass weniger gesetzlich Versicherte ihre Medikamente im Ausland bestellen, wenn sie dafür keine Rabatte mehr erhalten. Doch werden sich die ausländischen Versender auch an diese gesetzlichen Vorgaben halten?
Verschiedene Parteien halten die Gleichpreisigkeit im Sozialgesetzbuch V für einen „durchschaubaren Trick, der allein dazu diene, die EuGH-Rechtsprechung zu umgehen“, wie Christine Aschenberg-Dugnus, gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, erklärte. Eine Klage gegen diese Regelung vor dem EuGH durch DocMorris und die EAMSP steht im Grunde bereits fest. Wenn diese eine aufschiebende Wirkung haben wird, dann gibt es vorerst weiterhin Rabatte. Und eine Klärung vor Gericht kann unter Umständen sehr lange dauern.
Und selbst wenn diese Rabatte tatsächlich nicht mehr gegeben werden – DocMorris verzichtet immerhin bereits selbst bei Plattform-Bestellungen von E-Rezepten darauf – bleibt doch die Frage: Hilft das tatsächlich der Apotheke vor Ort, oder verdient DocMorris dann einfach mehr Geld pro Medikament?
Viele feiern die Möglichkeit, über neue pharmazeutische Dienstleistungen Gelder in die Kassen fließen zu lassen. Doch welche Leistungen zu welchen Konditionen angeboten werden können, ist noch unklar. Auch ist der dafür in Aussicht gestellte Betrag immer weiter zusammengeschmolzen. Von den ursprünglich angepeilten 300 Millionen Euro pro Jahr ist nur noch die Hälfte übriggeblieben.
Zusätzliche Dienstleistungen bedeuten auch einen zusätzlichen Arbeits- und Personalaufwand, die ebenfalls bezahlt werden müssen. Bei 150 Millionen Euro für etwa 19.000 Apotheken wären das circa 7.800 Euro pro Apotheke und Jahr. Das wird keine einzige Vor-Ort-Apotheke vor der Schließung bewahren. Zudem werden auch die Verhandlungen mit den Kassen, für welche Leistungen die Gelder gezahlt werden sollen, mit Sicherheit sehr schwierig werden.
Von den 5 Euro, die während den Anfängen der Pandemie für den Botendienst gezahlt wurden, blieben nun 2,50 Euro übrig, die die Apotheke vor Ort erhalten soll. Das ist erstens weiterhin defizitär, wie sogar die ABDA zu bedenken gibt, die das VOASG ansonsten sehr begrüßt, und zweitens werden sich auch die Versender bemühen, eine Portopauschale in gleicher Höhe für sich geltend zu machen. Keine große Hilfe also.
Erfreulich ist allenfalls der hinzugekommene Zusatz zur Temperaturkontrolle, der nun auch für die EU-Versender gilt. Arzneimittel müssen immer so verpackt, transportiert und ausgeliefert werden, dass ihre Qualität und Wirksamkeit erhalten bleiben. Die Temperaturanforderungen müssen während des Transports bis zur Abgabe an den Empfänger eingehalten, und die Einhaltung valide nachgewiesen werden. Bedauerlich ist es, dass diese Abgabe weiterhin auch an Dritte oder den Briefkasten möglich ist und das ausländische Versender im Grunde nicht überwacht und damit auch sanktioniert werden können.
Alles in allem wäre das Bühler'sche RX-Versandverbot, das auch der Bundesrat befürwortet hatte, sicherlich hilfreicher für die Vor-Ort-Apotheke gewesen. Bei einem kürzlichen Auftritt der CDU-Spitzenkandidaten trugen alle drei von DocMorris gesponsorte Mund-Nasen-Masken.
„Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“, bemerkt der Abgeordnete Harald Weinberg von der Linksfraktion dazu und erinnert auch an Parteiveranstaltungen, die von DocMorris finanziert wurden. Er bezeichnet das VOASG als „Mogelpackung“, die die Apotheken vor Ort gerade nicht stärke. Ich bin geneigt, mich seiner Ansicht anzuschließen.
Bildquelle: Jessica Rockowitz, unsplash