Krankenkassen entscheiden nicht unbedingt zum Wohle ihrer Mitglieder. Bis dato stand Versicherten deshalb die Unabhängige Patientenberatung Deutschland (UPD) zur Seite. Jetzt versuchen GKVen, sich den Informationsdienst unter ihre Nägel zu reißen.
Was zahlt meine Krankenkasse – und wie sollte ich reagieren, falls sie Leistungen verweigert? Entsprechende Fragen gehören bei der Unabhängigen Patientenberatung Deutschland (UPD) zum Tagesgeschäft. Von rund 80.000 Beratungen pro Jahr waren Ansprüche gegen Kostenträger fast 28.000 Mal ein Thema, Tendenz steigend. Besonders häufig ging es um Krankengeld-Zahlungen und medizinische Rehabilitationen. An zweiter Stelle standen Patientenrechte – mit etwa 15.000 Gesprächen. Weitere 10.000 Gespräche drehten sich um das Thema Kosten und Abrechnung. Der Knackpunkt: UPD-Experten beraten im Auftrag des Gesetzgebers kostenfrei, neutral und unabhängig. Wie lange noch, ist eine andere Frage.
Zum Hintergrund: Die UPD wurde ab 1. Januar 2000 als Modellvorhaben gemäß Paragraph 65b des Fünften Buches Sozialgesetzbuch betrieben und ging ab 1. Januar 2011 in die Regelversorgung über – durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG). Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Finanzstruktur und der Qualität in der gesetzlichen Krankenversicherung wird die Förderung auf neun Millionen Euro erhöht. Ab Januar 2016 erhalten Beratungsstellen höhere Budgets, um „insbesondere die telefonische Erreichbarkeit der UPD zu verbessern“, heißt es vom Bundesministerium für Gesundheit. Laut IGES-Institut mussten Bürger im Schnitt 2,5 Mal wählen, um Berater an die Strippe zu bekommen. Ansonsten bescheinigten Versorgungsforscher der UPD eine hohe Qualität. Vergaberechtliche Kriterien sind trotz der guten Noten einzuhalten.
Im letzten Oktober hatten die Bundesregierung und der GKV-Spitzenverband entsprechende Leistungen turnusmäßig für den Zeitraum ab 2016 neu ausgeschrieben. Das Volumen: insgesamt 63 Millionen Euro, verteilt auf sieben Jahre. Unter den Verlieren ist die Unabhängige Patientenberatung Deutschland gemeinnützige GmbH mit dem Sozialverband VdK Deutschland, dem Verbraucherzentrale Bundesverband und dem Verbund unabhängige Patientenberatung als Träger. Wie Koalitionsvertreter jetzt bestätigt haben, geht der Zuschlag an Sanvartis. Der Dienstleister aus Duisburg betreibt auch Callcenter für Krankenkassen. Politiker wittern nicht ohne Grund Interessenkonflikte.
„Wenn das gleiche Callcenter jetzt Patienten zum Beispiel in Konflikten mit Krankenkassen unterstützen soll, sind Interessenkonflikte vorprogrammiert: Sanvartis wird die Beschwerden an seiner eigenen Arbeit für die Krankenkassen entgegennehmen“, sagt Maria Klein-Schmeink, Gesundheitsexpertin bei den Grünen. Und Kathrin Vogler von der Linken ergänzt, damit werde der Bock zum Gärtner gemacht. Es wäre fatal, wenn die Vergabe der ab 2016 auf neun Millionen Euro pro Jahr erhöhten Fördermittel an eine Callcenter-Firma (oder deren Tochterfirma) erfolge, die „in großem Maße für Krankenkassen und Pharmakonzerne tätig ist“. Auch die Apothekerschaft läuft Sturm. „Die hinter dieser Entscheidung stehende Marktgläubigkeit ist unfassbar. Das Kalkül von GKV-Spitzenverband und Patientenbeauftragtem Laumann könnte kurzsichtiger nicht sein“, erklären Florian Schulze und Viktoria Mühlbauer vom Vereins demokratischer Pharmazeutinnen und Pharmazeuten (VdPP). Bundesärztekammer-Präsident Professor Dr. Frank Ulrich Montgomery: „Die gesetzlichen Krankenkassen versuchen, sich die Beratungsstelle unter den Nagel zu reißen.“ In dem ganzen Schlamassel spielt Karl-Josef Laumann (CDU) eine unrühmliche Rolle. „Bei der Unabhängigkeit der Patientenberatung dürfen unter keinen Umständen Abstriche gemacht werden“, tönt der Patientenvertreter der Bundesregierung. „Daher habe ich meine Zustimmung jederzeit davon abhängig gemacht, dass Neutralität und Unabhängigkeit sowie ein hohes Maß an Qualität, Regionalität und Bürgernähe gewährleistet sind.“ Seinen Worten schenken Oppositionsvertreter wenig Glauben. Maria Klein-Schmeink: „Es ist zynisch, dass ausgerechnet der Patientenbeauftragte Karl-Josef Laumann diese wichtige Institution zur Verankerung von Patienten- und Versichertenrechten im Gesundheitswesen zu Grabe trägt.“ Was tun?
In Berufspolitik und Opposition formiert sich Widerstand. Der Knackpunkt: Karl-Josef Laumann arbeitet gleichzeitig als Staatssekretär im Bundesministerium für Gesundheit. Da ein neuer Anbieter von Beratungsleistungen nur mit Zustimmung des Patientenbeauftragten erfolgen kann, ist der Einfluss der Bundesregierung groß. Frank Ulrich Montgomery fordert deshalb Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) auf, sich einzuschalten. Kathrin Vogler wiederum hat zusammen mit Parteigenossen eine kleine Anfrage an die Bundesregierung formuliert. Und Patienten haben die Möglichkeit, sich an einer Petition zu beteiligen. Wie jetzt bekannt wurde, hat die UPD vor der Vergabekammer des Bundes Widerspruch gegen den angekündigten Zuschlag eingelegt. Mit einem Bescheid rechnen Insider frühestens Mitte August.