Neben Ibuprofen, Paracetamol und Sartanen stehen auch Protonenpumpenhemmer im Verdacht, einen schweren Verlauf von COVID-19 zu provozieren. Aber nicht nur deshalb sind PPI problematisch. Ein Pharmakologe hat sich die Studienlage genauer angeschaut.
Was die Kortikoide für den Dermatologen, sind Protonenpumpenhemmer (PPI) für den Internisten. PPI sind ja schon länger in Verruf geraten. Das hat Gründe: Sie mindern unter anderem die Säureproduktion um bis zu 100 Prozent. Bei Erkrankungen wie Refluxösophagitis ist das sicherlich sinnvoll, aber bei herkömmlicher Hyperazidität sind diese Pharmaka häufig überdimensioniert.
Außerdem können Mikronährstoffe wie Calcium, Magnesium und Vitamin B12 nicht mehr ausreichend resorbiert werden. Die Folgen können Mangelzustände sein. Neuere Studien scheinen die Magenmittel jetzt aber zu rehabilitieren.
Es existieren nicht viele Möglichkeiten, den Magen vor Salzsäure zu schützen. Antazida neutralisieren Magensäure, Schichtgitterantazida neutralisieren auch Gallensäuren. H2-Antagonisten blocken die Säure um bis zu 80 Prozent.
Steigerung der Osteoporose-Rate und der Sterblichkeit? Viele Studien sind alarmierend und warnen vor dem unkritischen Einsatz von PPI. Bei diesen Arbeiten handelt es sich jedoch überwiegend um retrospektive Auswertungen oder Kohortenstudien. Diese beschreiben zwar eine Assoziation mit den beschriebenen Erkrankungen, belegen aber keinen Kausalzusammenhang.
Die Autoren Moayyedi et al. untersuchten die Sicherheit von PPI in einer randomisierten Studie. Sie analysierten auch einen Vergleich zwischen Rivaroxaban und ASS in der Langzeitanwendung bei Patienten mit peripherer arterieller Verschlusskrankheit.
Unabhängig von der gerinnungshemmenden Medikation wurden die insgesamt knapp 17.600 Patienten im Verhältnis 1:1 auf Pantoprazol 40 mg einmal täglich oder Placebo randomisiert. Es wurde untersucht, wie sich die Dauermedikation des PPI auf das Risiko für gastrointestinale Blutungen auswirkt. Dieses ist sowohl unter NOAKs als auch unter ASS erhöht.
Über den Beobachtungszeitraum von etwa 3 Jahren erfassten die Forscher alle sechs Monate Daten zur Inzidenz von Lungenentzündungen, Infektionen mit Clostridium difficile, Frakturen, Magenatrophie, Niereninsuffizienz, Diabetes, chronischer obstruktiver Lungenerkrankung (COPD), Demenz, kardiovaskulären Erkrankungen, Krebs, Hospitalisierungen und der Gesamtsterblichkeit. In all diesen Kategorien gab es zwischen der Pantoprazol- und der Placebogruppe keinen statistisch signifikanten Unterschied.
Eine Ausnahme bildeten Darminfektionen, die nicht durch C. difficile verursacht wurden. Diese kamen unter dem PPI bei 1,4 Prozent der Patienten vor und unter Placebo nur bei 1,0 Prozent. C.-difficile-Infektionen waren unter Pantoprazol doppelt so häufig wie unter Placebo. Da es insgesamt lediglich 13 Fälle gab, war dieser Unterschied jedoch nicht signifikant.
In Ermangelung anderer therapeutischer Strategien werden PPI auch beim Reizmagen-Syndrom eingesetzt. Für diese Indikation fehlt jedoch die wissenschaftliche Evidenz.
Die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) kritisiert, dass Patienten mit gesicherter Indikation für eine säurehemmende Therapie durch die Veröffentlichung unnötig verunsichert werden.
Andererseits gibt es aber auch neue Risikosignale, die zu einer neuen Nutzen-Risiko-Abwägung der PPI führen sollten.
Die Einnahme von PPI könnte außerdem mit einem erhöhten Allergierisiko einhergehen. Forscher um Dr. Jordakieva von der Universität Wien haben Daten der Krankenversicherungen ausgewertet. Es wurden Verordnungen von über 8,2 Millionen Patienten analyiert, was nahezu der gesamten österreichischen Bevölkerung entspricht.
Die Wahrscheinlichkeit, ein Antiallergikum zu benötigen, war bei Patienten mit einer PPI-Medikation doppelt so hoch wie bei anderen Patienten. Woran das liegen könnte: Nahrungsproteine können vermutlich im Magen nicht ausreichend gespalten werden. Es ist auch möglich, das PPI Signalwege aktivieren, die Allergien begünstigen.
Nicht nur das Allergierisiko kann ansteigen, auch die Niere kann vermutlich unter PPI leiden. In einer Postmarketing-Studie von Makunts et al. wurde die Wirkung von PPI auf die Nierenfunktion, Nierensteine und den Elektrolytstatus untersucht.
Die Studie verglich die Daten von Patienten, die PPI eingenommen hatten, mit denen, die eine H2-Blocker-Medikation bekamen. PPI-Anwender litten 28,4-mal häufiger unter chronischen Nierenerkrankungen als Patienten, die mit H2-Blocker behandelt worden waren. Akute Nierenschäden traten 4,2-mal so oft bei PPI-Verwendern auf. Schwere Nierenerkrankungen mit Dialyse waren 35,5-mal und unspezifische Nierenfunktionsstörungen 8-mal häufiger. PPI-Anwender wiesen 2,8-mal so häufig Nierensteine auf wie Anwender von H2-Blockern.Hypomagnesiämie trat in der PPI-Gruppe 78,5-fach, Hypokalzämie 26-fach, Hypokaliämie 6,3-fach und Hyponatriämie 2,2-fach häufiger auf.
Am schlechtesten schnitt Omeprazol ab. Patienten, die omeprazolhaltige PPI einnahmen, zeigten das höchste Risiko für Elektrolytstörungen. Unabhängig davon ist das Interaktionsrisiko für diese betagten PPI vergleichsweise hoch.
In der Studie wurden jedoch nur Patienten gemeldet, die ernsthafte gesundheitliche Probleme angaben. Dies könnte die Werte verzerren. Die Studie beruht außerdem auf einer Analyse von Pharmakovigilanzdaten. Diese werden freiwillig erhoben und spiegeln nicht die tatsächliche Zahl unerwünschter Arzneimittelwirkungen wider. Dennoch belegt die Studie die Korrelation zwischen PPI und Komorbiditäten.
Ibuprofen, Paracetamol, Sartane – viele Pharmaka sind in Verdacht geraten, das Risiko, an COVID-19 zu erkranken, zu steigern. Nun stehen auch PPI im Fokus. Eine US-amerikanische Studie ergab, dass Patienten sich deutlich häufiger mit SARS-CoV-2 infizierten, wenn sie PPI eingenommen hatten.
Patienten, die PPI zweimal täglich eingenommen hatten, waren nach der im American Journal of Gastroenterology veröffentlichten Studie fast vier Mal häufiger mit dem Coronavirus infiziert. Da das Coronavirus auch Darmzellen infizieren kann, erscheint es den Autoren plausibel, dass die Einnahme der PPI das Risiko für eine Virusinfektion erhöht.
Von den 53.130 Teilnehmern hatten 3.386 (6,4 Prozent) angegeben, dass sie positiv auf SARS-CoV-2 getestet wurden. In dieser Gruppe hatten 71,9 Prozent angegeben, auch PPI eingenommen zu haben. Unter den Teilnehmern ohne COVID-19 waren es nur 28,0 Prozent.
Für Patienten, die ihre PPI zweimal täglich einnahmen, war das Risiko deutlich höher. Obwohl die Halbwertzeit der PPI teilweise sehr kurz ist, sagt das nichts über die Wirkdauer aus. Es ist sinnvoll, PPI in einer Einmaldosis morgens auf nüchternen Magen zu nehmen. Für H2-Blocker wurde kein erhöhtes Infektionsrisiko ermittelt.
Hinsichtlich der Schädlichkeit der PPI bleiben insgesamt viele Fragen offen. Die Studien liefern zwar neue Ansatzpunkte und es ist wichtig, darüber zu berichten und die Fortführung der Studien im Auge zu behalten, aber konkrete Handlungsempfehlungen ergeben sich noch nicht. Dosis, Häufigkeit der Einnahme, Therapiedauer, Vorerkrankungen und die Zielgruppe spielen vermutlich eine Rolle.
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