Eine neue SARS-CoV-2-Variante macht Wissenschaftler nervös: Sie wurde in Nerzen entdeckt und nun auch bei Menschen nachgewiesen. Könnten die Tiere den Kampf gegen die Pandemie erschweren?
In Dänemark haben sich laut dem dortigen Gesundheitsinstitut SSI seit Juni mindestens 214 Menschen mit einer neuen Variante des Virus SARS-CoV-2 infiziert. Das Virus war offenbar zunächst durch Mitarbeiter in Nerzfarmen eingeschleppt worden, mutierte in den Nerzen und sprang anschließend wieder auf den Menschen zurück.
Bei der Mutation soll es sich um die sogenannte „Cluster-5-Mutation“ handeln. Der Direktor des Gesundheitsinstituts, Kåre Mølbak, zeigt sich äußerst besorgt. Ein Szenario sei denkbar, „bei dem wir eine Pandemie bekommen, die in Dänemark ihren Ausgang nimmt“.
Es scheint nicht verwunderlich, dass die Nerzfarm-Ereignisse den Wissenschaftler nervös machen. Immerhin führte ein ähnliches Spillover-Event in China zum Ausbruch der Corona-Pandemie.
Könnte sich womöglich ein „Ping-Pong-Effekt“ zwischen Mensch und Tier einstellen und die Eindämmung der Pandemie verhindern?
Schon seit einigen Monaten wird die Rolle der Nerze beim Infektionsgeschehen genau beobachtet. Im Juni bestätigte die niederländische Regierung erstmals, dass sich zwei Mitarbeiter auf Nerzfarmen direkt bei den Tieren mit SARS-CoV-2 angesteckt hätten.
In einer Studie über die Ausbrüche auf den niederländischen Farmen stellten die Wissenschaftler eine hohe Diversität der SARS-CoV-2-Sequenzen in den Tieren fest. Das deutet laut der Forscher auf eine schnelle Evolution des Virus in der Nerzpopulation hin, die schon einige Wochen vor Entdeckung ihren Anfang genommen haben muss.
Das kann ein Hinweis darauf sein, dass sich das Virus im Nerz möglicherweise effizienter vermehrt oder Mutationen erworben hat, die das Virus virulenter machen, schreiben sie in ihrem Bericht. So konnte die spezifische D14G-Mutation des Spike-Proteins in einigen Proben nachgewiesen werden. Diese scheint zumindest in vitro die Virulenz zu erhöhen.
Prof. Friedemann Weber, Direktor des Instituts für Virologie an der Justus-Liebig-Universität Gießen, erklärt, warum die Nerze in der Pandemie zum Problem werden können. Generell seien Nerze und verwandte Arten sehr empfänglich für SARS-CoV-2. Hinzu kommt, dass ihre Käfighaltung die Evolution der Viren im Schnelldurchgang begünstige. Und das passiert so:
„Bei der Käfighaltung ist es für das Virus einfach, auf nichtinfizierte Tiere überzuspringen“, sagt Weber. Eine rasche und massive Virusausbreitung fördere so auch die Verbreitung neuer Virusmutanten, die eventuell infektiöser oder virulenter als das Ausgangsvirus sind, erklärt der Virologe weiter.
„Der Sprung von SARS-CoV-2 vom Menschen zu einer Tierpopulation (wie z.B. Nerze) und zurück würde eine Zunahme der Mutationsrate nahelegen, da sich das Virus jeweils an seinen Wirt anpasst. Ob es dadurch aber tatsächlich gefährlicher wird, ist völlig unklar“, fügt Dr. Andreas Bergthaler hinzu. Er ist Leiter des Projektes Mutationsdynamik von SARS-CoV-2 in Österreich.
Auf den Nerzfarmen in Dänemark hat es nun wohl eine neue Virusmutante geschafft, den Menschen zu infizieren. Für eine baldige Eindämmung der Pandemie sind das keine guten Aussichten.
Problematisch daran ist, dass sich das Virus offenbar eigenständig in Tierpopulationen verbreiten kann. Tiere wie der Nerz bieten dem Virus damit einen dauerhaften Zufluchtsort von dem aus sich das Virus neu ausbreiten kann. Besonders beunruhigend wäre es laut einer Veröffentlichung, wenn sich SARS-CoV-2 unter Wildtieren wie den Mustelidae, zu denen Marder, Nerze und Siebenschläfer gehören, ausbreitet. Diese Tiergruppe ist bekanntlich besonders empfänglich für eine SARS-CoV-2-Infektion und kann auch in Kontakt zum Menschen kommen.
Über mögliche Tierreservoirs, in denen SARS-CoV-2 repliziert und dann auch wieder zu einer Übertragung auf den Menschen führen könnte, wisse man laut Dr. Bergthaler allerdings noch zu wenig. „Impfung von wildlebenden Tierspezies (inkl. Fledermäusen) erscheint mir aus verschiedensten logistischen und wissenschaftlichen Gründen als keine realistische Strategie“, erklärt er.
Übertragungen zwischen Mensch und Tier können das Entstehen neuer, eventuell virulenterer Virusmutanten fördern, sagt Prof. Weber. „Das macht es noch schwieriger, das Virus durch Impfkampagnen in der humanen Population unter Kontrolle zu halten“, erklärt er weiter. Auch wenn es natürlich schwierig sei, müsse man möglicherweise auch Tiere impfen, um die Pandemie eindämmen zu können.
Haustiere scheinen beim Infektionsgeschehen und weiteren Verlauf der Pandemie eher eine untergeordnete Rolle zu spielen. Theoretisch könnten zwar auch Katzen dem Virus als Reservoir dienen und den Menschen infizieren, doch Dr. Bergthaler erklärt einschränkend: „Für Haustiere wie Hund und Katze, bei denen vereinzelt SARS-CoV-2-Infektionen festgestellt wurden, gab es bis dato keine Hinweise, dass es zur Übertragung zurück auf den Mensch gekommen wäre.“ So lautet auch die offizielle Einschätzung der WHO: Zwar können Menschen Katzen infizieren und diese sich auch untereinander. Der umgekehrte Weg wurde bislang aber noch nicht beobachtet.
Hinzu kommt, dass Katzen wohl auch eher selten zu Tausenden auf Farmen gehalten werden, was die Verbreitung neuer Virusmutanten begünstigt. Von Nutztieren wie Schweinen und Geflügel scheint ebenfalls keine Gefahr auszugehen. Eine signifikante Virusreplikation ist bei diesen Tieren nicht nachweisbar.
Was der dänischen Regierung indes Sorgen bereitet, ist die neu entdeckte Mutation des Spike-Proteins – die sogenannte Cluster-5-Mutation. Die Regierung befürchtet, dass ein Impfstoff bei dieser Variante nicht mehr wirken könnte.
Prof. Ian Jones, Virologe von der University of Reading, erklärt das Problem wie folgt: „Überraschend ist es nicht, dass das Virus beim Sprung in eine neue Tierart mutiert. Immerhin muss es sich an seinen neuen Wirt anpassen, um mithilfe der Nerz-Rezeptoren in die Zellen eindringen zu können. Und so wird das Spike-Protein modifiziert, damit dies effizient geschehen kann.“
Die Gefahr bestehe nun darin, dass das mutierte Virus jeder Impfstoffreaktion ausweichen könnte, die auf die ursprüngliche nicht mutierte Version des Spike-Proteins und nicht auf die an Nerze angepasste Version ausgelegt gewesen wäre.
Viele Experten sind allerdings skeptisch, was das Risiko eines Impfstoff-Versagens angeht, insbesondere, weil noch gar keine öffentliche Daten über diese besondere Virus-Variante zur Verfügung stehen.
Marion Koopmans, Virologin am Erasmus Medical Center in Rotterdam hat an der niederländischen Nerz-Studie mitgewirkt und erklärt gegenüber STAT-News: „Ich würde nicht davon ausgehen, dass eine einzige Mutation so einen großen Effekt hat.“
Auch Prof. Weber macht sich dahingehend keine Sorgen: „Eventuell mindert eine der Mutationen die Bindung an neutralisierende Antikörper. Bei den momentan am weitesten fortgeschrittenen Impfstoffen ist es aber kaum vorstellbar, dass sie dadurch wirkungslos werden. Die meisten erzeugen auch eine T-Zell-Immunität.“ Selbst wenn einige neutralisierende Antikörper schwächer binden, so können sie immer noch die Virusvermehrung verlangsamen, was zu einer milderen Symptomatik führt, erklärt er weiter.
„Nach meinem Wissensstand kann ich diese Sorge nicht nachvollziehen“, sagt auch Dr. Bergthaler. „Darüber hinaus scheint es unwahrscheinlich, dass eine einzige Mutation zukünftige Impfstoffe unwirksam macht.“
Die Vorsichtsmaßnahme der dänischen Regierung, alle Nerze im Land töten zu lassen, scheint dennoch keinesfalls übertrieben. Schließlich lässt sich nur so verhindern, dass eine möglicherweise gefährlichere SARS-COV-2-Variante auf den Menschen überspringt.
In einem kürzlich an die Zeitschrift Science gerichteten Brief schreiben drei Wissenschaftler aus Dänemark, China und Malaysia: „Es ist dringend notwendig, die Nerzproduktion zu überwachen, einzuschränken und – wo möglich – zu verbieten“.
Bildquelle: Jo-Anne McArthur, unsplash