Das Medikament Duogynon wurde bis in die 1970er Jahre als hormoneller Schwangerschaftstest eingesetzt. Es steht im Verdacht, embryonale Missbildungen verursacht zu haben. Unter Experten ist das umstritten. Eine aktuelle Studie bietet neuen Anlass zur Diskussion.
Ein hormoneller Schwangerschaftstest, der in Deutschland bis 1973 eingesetzt wurde, steht seit langem in Verdacht, embryonale Fehlbildungen auszulösen. Das Medikament war unter dem Handelsnamen Duogynon® erhältlich. Es enthielt das Gestagen Norethisteronacetat und das synthetische Östrogen Ethinylestradiol. Wenn keine Schwangerschaft vorliegt, löst die kurzzeitige Gabe dieses Medikaments innerhalb von vier bis sechs Tagen eine Regelblutung aus. Bis 1980 war das Medikament unter dem Namen Cumorit® zur Behandlung von Menstruationsstörungen erhältlich. Während Betroffene von einem kausalen Zusammengang zwischen Duogynon® und embryonalen Missbildungen überzeugt sind, ist dies unter Experten umstritten. Das Medikament ist zwar nicht mehr erhältlich, beide Wirkstoffe sind aber bis heute niedrig dosiert in oralen Kontrazeptiva enthalten. Eine aktuelle Studie liefert neue Hinweise auf eine mögliche teratogene Wirkung von Duogynon®. Das Team um den Entwicklungsbiologen Neil Vargesson von der Universität Aberdeen, Großbritannien, untersuchte den Einfluss von Norethisteronacetat und Ethinylestradiol auf die embryonale Entwicklung von Zebrabärblingen. In der pharmakologischen Forschung werden diese Fische häufig aufgrund ihrer schnellen Entwicklung und ihrer optischen Transparenz als Modellorganismus herangezogen. Das ermöglicht die Beobachtung embryonaler Entwicklungsschritte in vivo, die den menschlichen ähnlich sind.
In ihren Experimenten wurden die Fischembryos den Hormonen Norethisteronacetat (NA) sowie Ethinylestradiol (EE) ausgesetzt – in unterschiedlichen Konzentrationen für sechs bis 72 Stunden. Das Alter der Embryos lag dabei zwischen sechs Stunden nach Fertilisation (hours post fertilisation, hpf) und 72 Stunden. Im Vergleich zu den Kontrollexemplaren entwickelten Fische insbesondere in sehr frühen Entwicklungsstadien (6 hpf) offensichtliche morphologische Defekte, wenn sie mindestens vier Stunden lang NA (12,5 μg/ml) und EE (25 ng/ml) ausgesetzt waren. Die Konzentrationen entsprachen in etwa der Blutplasmakonzentration von NA/EE bei Frauen, die bei der Einnahme von 1 mg Duogynon® erreicht wurden. Die morphologischen Defekte der jungen Embryos (6 hpf) umfassten schwer verformte Schwänze, eine verkrümmte Wirbelsäule, ein verformtes Perikard sowie Schäden am Dottersack und verkleinerte Augen. Zudem war die embryonale Angiogenese und die Entwicklung des Nervensystems beeinträchtigt. Ältere Embryonen (48 und 72 hpf) wiesen hingegen deutlich weniger starke Deformationen auf, wenn sie dem Wirkstoffmix ausgesetzt waren.
Die Arbeit von Vargesson zeigt, dass die Exposition der Duogynon®-Wirkstoffe bei jungen Zebrabärblingembryos zu offensichtlichen Missbildungen führen. Das Team benutzte dabei NA/EE-Konzentrationen, die in etwa der Blutplasmakonzentration entsprachen, die bei der Einnahme von 1 mg Duogynon® erreicht wurden. Die übliche Dosis einer Tablette Duogynon® lag allerdings bei 10 mg. Laut Autoren könne man also davon ausgehen, dass zirkulierendes NA/EE im Blut der Frauen, die das Medikament benutzten, eine sehr viel höhere Konzentration aufwies. Eine entsprechend höhere Dosis für eine bessere Vergleichbarkeit hatte bei den Fischemryonen jedoch eine letale Wirkung. Ungeachtet dessen ist unklar, ob menschliche Embryonen mit diesen Dosen tatsächlich in Berührung gekommen sind. In den Experimenten wurden die Fischembryonen dem Wirkstoffmix direkt ausgesetzt. Nicht so bei menschlichen Embryonen: Die Metabolisierung der Wirkstoffe durch die Leber der Mutter könnte dazu beigetragen haben, dass die Konzentration im Embryo wesentlich geringer ausgefallen ist. Die bisherige Studienlage über einen kausalen Zusammenhang von Duogynon® und embryonalen Missbildungen ist nicht eindeutig. Es existieren einige Studien, die, vor allem bei bei Säugetieren, keinen Zusammenhang beweisen konnten. Andere Studien – so auch die Arbeit von Vargesson – stufen die Wirkstoffe von Duogynon® als potentiell teratogen ein. Zwar lassen sich die Ergebnisse ihrer Studie nicht direkt auf den Menschen übertragen, laut Autoren scheint eine teratogene Wirkung von Duogynon® dennoch möglich. Sie weisen darauf hin, dass weitere Arbeiten an Säugetier-Embryonen erforderlich seien, um auf den Erkenntnissen aufzubauen und festzustellen, ob die Effekte bei Säugetieren ähnlich stark sind. Mehrfach wurden in der Vergangenheit Vergleiche zum Beruhigungsmittel Contergan gezogen. Einige vermeintlich Betroffene von Duogynon®-Missbildungen verlangten ebenfalls Schadensersatz vom Hersteller. Ein Ermittlungsverfahren in den 1980er Jahren gegen die Schering AG, ein Vorgängerunternehmen der Bayer Pharma AG, wurde eingestellt, da eine teratogene Wirkung von Duogynon® wissenschaftlich nicht eindeutig belegt werden konnte. Im Jahr 2012 erlangte das Medikament erneut mediales Aufsehen, als ein Mann mit Blasenekstrophie Bayer auf Schadenseratz verklagte. Die Klage wurde aufgrund von Verjährung abgelehnt. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) untersuchte Fallberichte von Betroffenen und kam im Jahr 2012 zu dem Ergebnis, dass kein Kausalzusammenhang zwischen der Einnahme von Duogynon® in der Frühschwangerschaft und Fehlbildungen besteht. Den vermeintlichen Zusammenhang, wie in den Fallberichten dargestellt, führen die Wissenschaftler auf statistische Verzerrungen zurück: Unter anderem seien die gesammelten jahrzentealten Daten über angeborene Fehlbildungen unzurreichend, nicht in allen Fällen sei gesichert, ob die Mutter im ersten Trimenon Duogynon® tatsächlich eingenommen hat und es fehlen Daten zum Alter, Gesundheitszustand und Medikamenten-, Alkohol- und Tabakgebrauch der Mutter. Da die Spontaninzidenz von angeborenen Fehlbildungen bei etwa 2 bis 4 Prozent liegt, müsse nicht zwangsläufig das Medikament für die Fehlbildungen verantwortlich sein. Quelle:
The Primodos components Norethisterone acetate and Ethinyl estradiol induce developmental abnormalities in zebrafish embryos. Samantha Brown et al., Nature Scientific Reports, doi: 10.1038/s41598-018-21318-9; 2017