Die Multiple Sklerose ist ein facettenreiches Krankheitsbild, das nach umfassender Betreuung verlangt. Aber braucht es für angehende Neurologen direkt einen ganzen Masterstudiengang zum Thema? Zwei Experten wägen ab.
Contra: Dr. Andreas Lüschow, Charite Universitätsmedizin Berlin, seit 2018 freier journalistischer Mitarbeiter bei DocCheck, zuständig für den Kanal Nervenkitzel
Als ich von der DocCheck Redaktion zu meiner spontanen Meinung zu einem Masterstudium Multiple Sklerose gefragt wurde, war meine erste Reaktion eher ablehnend. Klar, angesichts immer differenzierter werdender Therapien ist wahrscheinlich selbst innerhalb derselben Facharztgruppe eine Subspezialisierung sinnvoll, so wie bei den Internisten bereits vollzogen. Aber braucht es deshalb gleich ein Masterstudium?
Meiner Meinung nach sollte an einer neurologischen Klinik, an der die volle Weiterbildungsermächtigung besteht, eine solide Grundausbildung in der Diagnostik und Therapie aller wesentlichen Krankheitsgruppen der Neurologie erfolgen – entzündlich, vaskulär, degenerativ, epileptisch, peripher usw. Diese sollte dann bei besonderem Interesse in einer Spezialambulanz vertieft werden. Man muss sich vor Augen führen, dass die Erkrankungen, die in der stationären Neurologie dominieren, allen voran die vaskulären Erkrankungen, in der ambulanten neurologischen Versorgung eher nachrangig sind, da Schlaganfallpatienten häufig allgemeinärztlich bzw. internistisch weiterversorgt werden.
Das sollte aber nicht dazu führen, dass die Neurologen, die ambulant tätig werden möchten – und das ist immer noch die Mehrzahl – nach einem 6-jährigen Medizinstudium und einer mehrjährigen Facharztausbildung noch ein Masterstudium draufsatteln müssen, um ihrem ambulanten Versorgungsauftrag gerecht werden zu können. So weit, so gut.
Nachdem ich mir so meine Gedanken gemacht hatte, habe ich mit meinem sehr geschätzten Kollegen Friedemann Paul gesprochen, der ein international ausgewiesener Spezialist auf dem Gebiet der MS ist und er hat mich zum Nachdenken darüber gebracht, ob früher wirklich alles besser war. Mögen unsere Ausführungen die Leser zu munteren Kommentaren anregen!
Pro: Prof. Friedemann Paul, Charite-Universitätsmedizin Berlin, Dozent im neu etablierten Studiengang an der Dresden International University
Der neue Masterstudiengang MS-Management an der TU Dresden richtet sich an zahlreiche Berufsgruppen und bietet eine modulare Weiterbildung zu allen relevanten Aspekten der Multiplen Sklerose – von Erkenntnissen aus der Grundlagenforschung über Diagnostik und Differentialdiagnostik, moderne Bildgebung bis hin zur Therapie inklusive Rehabilitation und klinische Forschung.
Die Frage, ob es eines solchen Studienganges bedarf und ob dieser Interesse bei den mit der Erkrankung konfrontierten Berufsgruppen findet, kann zweifelsfrei bejaht werden. MS ist eine in der Häufigkeit in den letzten Jahren deutlich zunehmende Erkrankung. Parallel dazu haben sich erfreulicherweise die Therapieoptionen deutlich erweitert – mit mittlerweile ca. 20 zugelassenen Immuntherapien und weiteren für die Folgejahre angekündigten.
Die hieraus resultierende komplexe Differenzialtherapie verlangt den Neurologen immer mehr Fachwissen und Erfahrung ab, was in der klassischen Facharztausbildung nicht mehr leistbar ist, zumal auch wegen „Ambulantisierung“ der Diagnostik und Therapie von MS dieses Krankheitsbild sowie die damit einhergehende Differentialdiagnostik (z. B. Richtung NMOSD, MOGAD) in der Weiterbildung zum Neurologen im stationären Setting kaum mehr vermittelt wird.
Ähnliche Wissenslücken ergeben sich bei anderen Berufsgruppen wie (Physio-) Therapeuten. Gleichzeitig gibt es die Entwicklung hin zur personalisierten oder individualisierten Medizin bei Notwendigkeit zum ressourcenschonenden Einsatz der meist hochpreisigen Immuntherapien.
All dies unterstreicht die Sinnhaftigkeit dieses neuen Studiengangs, was sich sicher in einer großen Zahl an Bewerbern widerspiegeln wird.
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