Die D614G-Variante von SARS-CoV-2 hat sich rasend schnell ausgebreitet. Lange wusste man nicht, welche Funktion diese Mutation hat oder ob sie gefährlich ist. Das können Wissenschaftler jetzt beantworten.
Weltweit behalten Wissenschaftler die Mutationen von SARS-CoV-2 im Auge. Das ist wichtig, denn Mutationen können Einfluss auf die Pathogenität und möglicherweise auch auf die Schutzwirkung von Impfstoffen haben. Eine besonders prominente Corona-Mutante, über die schon kontrovers berichtet wurde, ist D614G. Die Abkürzung steht für die Mutation in der Aminosäuresequenz des Spike-Proteins: An Position 614 wurde ein D (Asparaginsäure) durch ein G (Glycin) ersetzt.
Im April hat ein Team um den Virologen David Montefiori als erstes die spezifische Mutation beschrieben. Sie tauchte seit Februar immer wieder in Proben von infizierten Personen aus Europa auf. Bald war sie dort zur dominierenden SARS-CoV-2-Linie geworden und hatte sich auch in den USA, Kanada und Australien durchgesetzt. Inzwischen hat sie die ursprüngliche SARS-CoV-2-Variante weltweit verdrängt.
Weil die Forscher in ihrem PrePrint die Mutation und das Wort „besorgniserregend“ in einem Satz erwähnten, war für viele Medien klar: Es muss sich um eine gefährliche Mutation handeln. Das konnte bislang glücklicherweise nicht bestätigt werden. Die Wortwahl bedauern die Virologen rückblickend.
Dennoch: Irgendeinen Vorteil muss diese Mutation dem Virus bieten, vermuteten die Wissenschaftler schon bei der Entdeckung, sonst hätte es sich nicht so erfolgreich ausbreiten können – schließlich greifen auch bei Viren die Mechanismen der natürlichen Selektion. Andererseits könnten auch sogenannte Gründereffekte für den Erfolg der D614G-Mutation verantwortlich sein. Wie man weiß, kann eine kleine Anzahl von Individuen für eine große Zahl von Infektion verantwortlich sein. Die D614G-Variante könnte also rein zufällig zu Beginn der Pandmie etwas häufiger von solchen Personen verbreitet worden sein.
Doch inzwischen mehren sich die Hinweise, dass sich D614G tatsächlich als vorteilhaft erweist. Schon im ersten Paper spekulieren die Autoren, dass D614G-Mutation eine „übertragbarere Form von SARS-CoV-2“ sein könnte. Anhand von Pseudoviren konnten verschiedene Teams schon recht früh zeigen, dass Viren mit dieser Mutation Zellen leichter infizieren konnten. Bei Pseudoviren handelt es sich um synthetisch veränderte Virenstämme, die – im Fall von SARS-CoV-2 – das Spike-Protein inklusive Mutation tragen.
Das Spike-Protein von SARS-CoV-2 dient dem Virus als Eintrittspforte in die Zelle, indem es an den ACE2-Rezeptor andockt. Es besteht aus drei kleineren Peptiden, die in offener oder geschlossener Konformation vorliegen können. Je mehr Peptide offen sind, desto leichter kann das Spike-Protein andocken.
Die D614G-Mutation scheint die Peptidverbindungen zu lockern, was eine offene Konformation begünstigt und damit eine Infektion wahrscheinlicher machen könnte.
Jetzt konnte ein Team um Yixuan J. Hou von der University of North Carolina in Chapel Hill, USA, einen authentischeren Blick auf die Mutation werfen. Sie benutzten keine Pseudoviren sondern konstruierten selbst SARS-CoV-2-Stränge mit und ohne D614G-Mutation und verglichen die funktionellen Auswirkungen miteinander. Ihre Studie ist jetzt in Science erschienen.
Dabei zeigte sich, dass die D614G-Variante humane Epithelzellen der Atemwege deutlich effizienter und schneller infizierte als der Wildtyp. „Die D614G-Variante schlägt den ursprünglichen Stamm um das 10-Fache“, erklärt Seniorautor Prof. Ralph Baric in einer Pressemitteilung.
Auf eine erhöhte Pathogenität könne man aufgrund von Tierexperimenten aber nicht schließen. Einfluss auf die Bindung von Antikörpern habe die Mutation ebenfalls nicht. Bei Neutralisationsversuchen mit Antikörpern zeigte sich kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Varianten. Die in der Entwicklung befindlichen Impfstoffe werden also gegen diese Variante wirksam sein.
Baric erklärt, warum es dennoch wichtig ist, Mutationen des Virus im Auge zu behalten. „Um die öffentliche Gesundheit maximal zu schützen, müssen wir den Mutationen nachgehen und aufklären, wie sie sich auf den Krankheitsverlauf, die Übertragbarkeit, Wirtsspektrum und Ansprechen auf die Vakzin-induzierte Immunität auswirken.“
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