Viele Menschen sind verunsichert, was die Etablierung eines mRNA-basierten Impfstoffs gegen SARS-CoV-2 angeht. Sind diese Sorgen berechtigt? Ein Überblick.
Die mRNA-Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer könnten schon bald die Zulassung erhalten. Dann steht einer Impfkampagne in Deutschland gegen SARS-CoV-2 nichts mehr im Wege.
Doch verständlicherweise ruft die neue Technologie Verunsicherung hervor, immerhin sind bislang keine RNA-basierten Impfstoffe zugelassen. Auch die Tatsache, dass ein Vakzin innerhalb eines Jahres entwickelt und zugelassen werden könnte, sorgt für Unbehagen – normalerweise dauert das Jahre. Hier wollen wir wichtigen Fragen über mRNA-Impfstoffe auf den Grund gehen.
Um die möglichen Gefahren und Potentiale von RNA-Impfstoffen zu verstehen, müssen wir wissen, wie sie funktionieren. Dazu werfen wir einen Blick in die Grundlagen der Zellbiologie: Die meiste genetische Information einer Zelle liegt als DNA im Zellkern ab. Doch die Übersetzung dieser Information in Proteine, die Proteinbiosynthese, findet woanders statt – nämlich außerhalb des Zellkerns an den Ribosomen. Mithilfe der Boten-RNA (messenger RNA, kurz mRNA) kommt die Bauanleitung für Proteine dorthin.
Dazu wird die doppelsträngige DNA zunächst noch im Zellkern in einzelsträngige prä-mRNA übersetzt. Das ist der Prozess der Transkription. Anschließend folgen dort noch verschiedene Modifikationen, um die mRNA fit für ihren Einsatz außerhalb des Zellkerns zu machen. Dazu zählt zum Beispiel das Capping des einen Endes des mRNA-Strangs. Diese Kappe schützt die mRNA vor enzymatischem Abbau im Zytosol.
Die fertige mRNA wird dann aus dem Zellkern hinaus in das Zytosol geschleust und bindet anschließend an die Ribosomen. Hier findet die Translation statt, also die Übersetzung der genetischen Information in die Abfolge von Aminosäuren. So entstehen Proteine aus der Vorlage des genetischen Codes.
Impfstoffe, die auf mRNA basieren, nutzen diese körpereigene Maschinerie aus. Die Impstoffe enthalten statt viraler Antigene, also virale Proteine oder Fragmente, nur die Bauanleitung dafür. Im Fall der COVID-19-Impfstoffe steckt in der mRNA die Information über das Spike-Protein, das auf der Oberfläche von SARS-CoV-2 sitzt.
Da „nackte“ mRNA sehr instabil ist, wird sie für den Zweck einer Impfung mit bestimmten Lipiden umhüllt. Dadurch entstehen Lipid-Nanopartikel (LNP), die zudem die Aufnahme der mRNA in die Zelle ermöglichen. Wegen ihrer physiologischen Lipid-Bestandteile gehen von LNPs laut Studien keine Gefahr für den menschlichen Körper aus.
Nach Verabreichung des Impfstoffs verschmilzt die Lipidhülle mit der Zellmembran und gibt die mRNA frei. Dabei ergibt sich allerdings ein Problem: Menschliche Zellen können die mRNA als fremd erkennen und die angeborene unspezifische Immunantwort induzieren (RNA-Sensor). Das führt zum schnellen Abbau der mRNA, was das Ablesen der mRNA an den Ribosomen verkürzt oder gar verhindert.
Impfstoff-Hersteller umgehen dieses Problem unter anderem mithilfe modifizierter Nukleoside, die sie in die mRNA einbauen. Nukleoside sind die Bausteine aus denen mRNA besteht. Immunstimulierende Nukleoside wie Uridin werden dann durch nicht-immunstimulierende Nukleoside wie das natürlich vorkommende Pseudouridin ersetzt.
Die Immunogenität dieser sogenannten Nukleosid-modifizierten mRNA scheint tatsächlich schwächer zu sein. Damit kann der Abbau der mRNA verlangsamt und die Translation, also das Übersetzen in Proteine, verlängert werden.
Die Impfstoffe von Biontech/Pfizer (BNT162b2) und Moderna (mRNA-1273) bestehen aus so einer Nukleosid-modifizierten mRNA, die für eine mutierte Form des Spike-Proteins kodiert. Bei dieser Form des Spike-Proteins sollen zwei Prolin-Mutationen in der Aminosäuresequenz sicherstellen, dass das Protein in der Präfusionskonformation fixiert bleibt. Das erhöht das Potential, neutralisierende Antikörper hervorzurufen. Zudem ist die mRNA jeweils in ein Lipid-Nanopartikel eingefasst.
Sobald die mRNA an den Ribosomen haftet, beginnt die Produktion des entsprechenden Antigens. Die Antigene stimulieren dann die adaptive Immunantwort, die einerseits zur Bildung von Antikörpern führt und anderseits T-Zellen aktiviert. Weil RNA-Impfstoffe bereits in niedrigen Dosen wirken, kann in der Regel auf Wirkverstärker (Adjuvantien) verzichtet werden.
Der Prozess der Translation läuft nicht ewig ab. Nach einigen Stunden bis wenigen Tagen ist Schluss mit der Antigen-Produktion. Die mRNA wird abgebaut und die einzelnen Bauteile vom Körper recycelt.
Dass die Immunantwort gut funktioniert, zeigen die laufenden Phase-3-Studien. Die Wirksamkeit der Impfstoffe von Moderna und Biontech/Pfizer liegt laut vorliegender Daten bei über 90 Prozent.
Die mRNA des Impfstoffs gelangt nicht in alle Zellen des Körpers, sondern nur in diejenigen im Bereich der Einstichstelle. Die mRNA gelangt auch nicht in die Nähe der DNA, denn diese befindet sich im Zellkern. Doch selbst wenn sich beide treffen würden, dann könnte die RNA nicht ohne Weiteres in die DNA eingebaut werden. Sie unterscheiden sich chemisch zu stark voneinander.
Theoretisch gäbe es aber dennoch eine Möglichkeit, die mRNA ins Genom zu integrieren: Mithilfe des Enzyms Reverse Transkriptase, das einzelsträngige RNA in doppelsträngige DNA umschreiben kann. Dieses Enzym besitzen einige wenige Viren wie das HI-Virus oder HBV.
Jemand, der zufällig mit einem dieser Viren infiziert ist, könnte dieses Enzym also in einigen Körperzellen aufweisen. Somit bestünde die Möglichkeit, die mRNA des Impfstoffes in DNA umzuwandeln und ins Genom zu integrieren. Dieser Prozess würde aber nur in einzelnen Zellen ablaufen und nicht im gesamten menschlichen Genom.
Wissenschaftler bezweifeln allerdings, dass das ein echtes Risiko darstellt. Tugce Aktas, Gruppenleiterin am Max-Planck-Institut für molekulare Genetik, erklärt, dass es zwar die Möglichkeit gebe, dass eine genetische Information der RNA in die DNA gelange. Die Wahrscheinlichkeit für diesen Vorgang – reverse Transkription genannt – gehe hier jedoch quasi gegen Null.
Das Paul-Ehrlich-Institut sagt dazu: „Selbst wenn aber die Impfstoff-RNA in das Genom integriert würde (was wirklich kaum vorstellbar ist), dann wäre das Ergebnis, dass das SPIKE-Protein von der Zelle hergestellt und vom Immunsystem erkannt würde und dann die betroffene Zelle abgetötet würde.“ Mit anderen Worten: Die wahrscheinlichste Wirkung des extrem unwahrscheinlichen Falls wäre also nicht, wie oft befürchtet, eine Autoimmunkrankheit, sondern die erwünschte Impfwirkung.
Auch sollte das Risiko einer Tumorbildung nicht erhöht sein. Denn im Prinzip könnte auch jede andere körpereigene mRNA durch Reverse Transkription in das Genom eingebaut werden, wodurch es zu Mutationen in Zellen kommen kann. Die Impfung an sich verstärkt dieses bei jedem Menschen gegebene Risiko also nicht.
Autoimmunerkrankungen entstehen vermutlich durch die ungünstige Kombination genetischer Prädispositionen und verschiedener Umweltfaktoren. Infektionen, also auch solche mit dem Coronavirus, zählen zu diesen Faktoren. Da Impfungen dem Körper eine Infektion vorgaukeln, können auch diese dazu gerechnet werden.
Es gibt verschiedene Mechanismen zur Stimulierung einer Autoimmunerkrankung durch Pathogene, die derzeit diskutiert werden. Zum einen ist das die molekulare Mimikry. Sie beschreibt die Ähnlichkeit von Krankheitserreger und Mensch auf der Protein-Ebene, genauer in der Abfolge von Aminosäuren, die als Antigen vom Immunsystem erkannt werden.
Bei bestimmten genetisch veranlagten Personen könnte es vorkommen, dass das Immunsystem nicht nur das Spike-Protein als fremd erkennt, sondern auch strukturell ähnliche körpereigene Aminosäuresequenzen.
Andere Mechanismen sind das sogenannte Epitop-Spreading und die Bystander-Aktivierung. Epitop-Spreading ist die allmähliche Ausweitung einer spezifischen Abwehrreaktion über das erste erkannte Epitop eines fremden Antigens hinaus. Bei einer Bystander-Aktivierung liefert die Bekämpfung einer akuten Infektion Signale, die zufällig in der Nähe befindliche autoreaktive T-Zellen aktivieren.
Bislang konnte nicht beobachtet werden, dass vermehrt Autoimmunerkrankungen nach COVID-19-Impfungen auftreten.
Über mögliche Langzeitschäden von COVID-19-Impfungen, speziell mRNA-Impfungen, weiß man allerdings auch noch zu wenig. Dafür gibt es noch zu wenige Daten. Fakt ist, dass RNA-basierte Impfungen zwar noch nicht zugelassen sind, es aber auch schon vor der Pandemie klinische Studien dazu gab, allen voran Impfungen gegen Krebs. Bislang konnten dabei keine schwerwiegenden langfristigen Nebenwirkungen festgestellt werden.
Normalerweise benötigt die Entwicklung eines neuen Impfstoffes mehrere Jahre. Labors beginnen mit der Konstruktion verschiedener Impfstoff-Varianten, optimieren sie und überprüfen zunächst mittels Simulationen am Computer mögliche Wirkungen und Nebenwirkungen.
Allein dieser Prozess kann schon ein paar Jahre dauern, auch weil die Finanzierung für das weitere Vorgehen durch Industriepartner sichergestellt werden muss. Anschließend folgen präklinische Studien in Tiermodellen. Erweist sich der Impfstoff darin als sicher, kann er in klinischen Studien getestet werden. Bis zur endgültigen Zulassung können so 10 Jahre oder mehr vergehen.
Bei SARS-CoV-2 ist das allerdings anders. Viel konnte man sich schon von SARS und MERS abschauen, hier wurden sogar schon Impfstoffe entwickelt, die sich in klinischen Studien befanden. Man wusste zum Beispiel auch schon, dass sich das Spike-Protein als Antigen eignet und wie man es designt. Und viele Corona-Impfstoffe in der Entwicklung basieren auf schon bekannten Impf-Methoden. Selbst im Fall der mRNA-Impfstoffe musste diese Technologie nicht neu erfunden werden.
Schneller geht es mit den klinischen Studien auch, weil von vornherein mehr Probanden eingeschlossen wurden. Normalerweise umfasst eine Phase-3-Studie rund 3.000 Teilnehmer. Bei den Impfstoff-Studien von Biontech/Pfizer und Moderna kommen aber mehrere zehntausend Probanden zusammen. So lassen sich natürlich auch schneller Daten sammeln.
Und ein weiterer wichtiger Faktor, der den Prozess beschleunigt, ist: Geld. Finanzielle Mittel spielen bei SARS-CoV-2 keine Rolle. Nur wenige Impfstoffe schaffen es überhaupt in eine Phase-3-Studie, weil sie extrem teuer und die Ansprüche extrem hoch sind. Unternehmen gehen also ein hohes finanzielles Risiko ein, wenn sie einen Impfstoff in einer Phase-3-Studie testen wollen. Das ist bei Corona-Impfstoffen kein Problem, weil Regierungen weltweit viel Geld in Impfstoff-Projekte stecken.
Schließlich stecken wir inmitten einer Pandemie und brauchen so schnell wie möglich einen Impfstoff. Doch schaut man sich die amerikanische Zulassungsbehörde FDA an, wird klar, dass sie sehr darauf bedacht ist, ihre Integrität zu wahren. Trotz Druck von US-Präsident Trump blieb die Behörde standhaft und verschärfte sogar die eigenen Kriterien für die Zulassung.
Von einem laxeren Umgang bei der Zulassung kann also keine Rede sein. Die Hersteller müssen die gleichen Tests durchführen und Ergebnisse präsentieren wie bei anderen Impfstoffen, nur geht es bei SARS-CoV-2 aus den oben genannten Gründen viel schneller.
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