Das Immunsystem kann virale von körpereigener RNA unterscheiden, indem der Rezeptor RIG-I deren Kopfende überprüft. Fehlt dort die N1-2‘O-Methyl-Gruppe, wird eine Immunreaktion ausgelöst. Einige Viren können sich jedoch tarnen. Zukünftige Medikamente sollen diese Tarnung angreifen.
Laut einer aktuellen Studie trägt unsere eigene RNA an ihrem Kopfende eine molekulare Markierung, die sie bei einer Art „Passkontrolle“ in der Zelle vorzeigt. Dieser Mechanismus schützt uns vor Viren, verhindert aber die Alarmierung des Immunsystems durch körpereigene RNA. Allerdings gibt es Viren, die die Kontrolle durch eine raffinierte Passfälschung unterlaufen.
Wie schafft es das Immunsystem, die wenigen Kopien viraler RNA im Meer körpereigener RNA zu identifizieren? Die Erkennung viraler RNA im Zytoplasma erfolgt durch zwei RNA-Rezeptoren: RIG-I und MDA5. Während die Funktionsweise von MDA5 noch unklar ist, ist man bei RIG-I einige Schritte weiter: Wie bei einer Passkontrolle am Flughafen das Gesicht kontrolliert wird, überprüft RIG-I das Kopfende von RNAs. Denn dort sitzt eine Art Ausweis, an dem RIG-I körpereigene RNA erkennen kann. „Körpereigene RNA ist an ihrem Kopfende mit einer bestimmten chemischen Struktur markiert, der N1-2‘O-Methyl-Gruppe“, sagt Prof. Dr. Gunther Hartmann. „Bei dem Erbgut von Viren fehlt diese Markierung“, erklärt er.
Die Bedeutung dieser Markierung war bisher rätselhaft. „Wir konnten nun zeigen, dass sie die korrekte Bindung von RNA an RIG-I verhindert“, erläutert Dr. Martin Schlee. „Körpereigene RNA kann RIG-I also nicht aktivieren – anders als Viren-RNA: Diese dockt an RIG-I an und löst so eine Immunreaktion aus.“ Bei dieser Immunantwort werden einerseits antivirale Mechanismen in der Zelle aktiviert. Zudem werden Nachbarzellen alarmiert und Immunzellen rekrutiert, die schließlich wie nach einer Impfung die Bildung eines Immungedächtnisses initiieren. Doch wie verhindert die N1-2‘O-Methyl-Gruppe die Bindung an RIG-I? RIG-I trägt eine Struktur, die beim Bindungsvorgang mit der Methylgruppe kollidiert. „Diese Struktur ist in allen Wirbeltieren und sogar der evolutionsbiologisch alten Seeanemone vorhanden“, sagt Schlee.
Manchen Viren gelingt es jedoch, diesen Immunmechanismus zu unterlaufen. So fügt etwa das Gelbfieber-Virus die N1-2‘O-Methyl-Gruppe selbst in seine RNA ein und mogelt sich so durch die Passkontrolle. Die Forscher hoffen nun, diese Erkenntnis für die Entwicklung von neuen Medikamenten nutzen zu können, die diesen Tarnmechanismus angreifen. Originalpublikation: A Conserved Histidine in the RNA Sensor RIG-I Controls Immune Tolerance to N1-2‘O-Methylated Self RNA Ann Kristin Bruder et al.; Immunity, doi: 10.1016/j.immuni.2015.06.015; 2015