Wie eine Geburt wirklich ist? Okay, ich lasse hier mal alle rosaroten und in Watte gepackten Umschreibungen aus. Achtung: Nichts für schwache Nerven.
Neulich beriet ich eine Patientin zum Thema Geburt. Zwar bin ich keine Gynäkologin, aber nun hatte ich ja das Glück, zweimal live bei meiner „Niederkunft“ dabei sein zu dürfen und verfüge außerdem über hausärztlichen Sachverstand. Da dachte ich, ich könnte ja mal darüber schreiben.
Allerdings möchte ich eine Warnung vorausschicken: Wer traumatische Erlebnisse hinsichtlich einer Geburt oder unerfüllten Kinderwunsch hat, könnte von dem Text getriggert werden. Dann wäre es besser, an dieser Stelle nicht weiterzulesen. Das Thema Kaiserschnitt habe ich hier nicht abgehandelt.
Eine Geburt ist ja ein Ereignis von nicht abzusehender Tragweite.
Ehrlich. Es kann das Schönste sein, was dir je passiert ist. Du hältst dieses zerknautsche Bündel Leben in der Hand und wirst hormonell von Liebe geflutet, während der oder die Ärztin dich untenrum wieder zusammenflickt. Was du aber vor lauter Geigen am Himmel nicht spürst. Auch wenn eine mögliche PDA nachgelassen hat.
Eine Geburt kann dich aber auch traumatisiert zurücklassen. Wenn es dem Kind nicht gut geht oder etwas Schlimmes passiert ist. Wenn du „entbunden wurdest“ und nicht „entbunden hast“. Wenn du dich wie eine Kuh beim Schlachter fühltest. Und dazwischen gibt es ganz viele Facetten, Überschneidungen und Unwägbarkeiten.
Wenn ich mich an meine Schwangerschaften zurückerinnere, war es ähnlich: zwischen himmelhochjauchzend und zu Tode betrübt. Auf der einen Seite war es das Schönste, was mir je passiert ist, und die Ergebnisse meiner horizontalen Gewebevermehrung das Beste, was ich je geschaffen habe.
Auf der anderen Seite fühlte ich mich wie ein Nilpferd mit einem eigenen Gravitationsfeld, jedenfalls gegen Ende der Schwangerschaft. Zu Beginn der Schwangerschaft war ich eher wie eine Elfe auf Tranquilizern, die verrückt nach Quark mit Obst und Lebkuchen war.
Nun gehe ich davon aus, dass ich nicht unbedingt erläutern muss, wie man schwanger wird. Also rein technisch gesehen.
Was viele Übende aber nicht wissen: Eine Frau kann nur an einem einzigen Tag in ihrem Zyklus schwanger werden. Eine Eizelle ist nur 24 Stunden lang befruchtungsfähig, nachdem sie aus ihrem kuscheligen Eierstock gehüpft und auf Reise gegangen ist. Wenn in dieser Zeit keine Spermien auf dem Weg zu der Angebeteten sind, nistet sich die Eizelle auch nicht in der Gebärmutterschleimhaut ein und endet mit der nächsten Periodenblutung im Klo oder in diversen Damenhygieneartikeln. Ein kurzes Dasein mit einem dramatischen Ende.
Ähnlich verhält es sich mit den Spermien: treffen sie nicht auf eine Eizelle, sterben sie einfach ab.
Allerdings muss man bedenken, dass Spermien im weiblichen Körper 5–7 Tage lang überleben können. Werden sie also einige Tage vor dem Eisprung abgeschossen, können sie in aller Seelenruhe auf die Eizelle warten, um sich dann im erbitterten Kampf auf sie zu stürzen.
Sobald die Eizelle befruchtet ist, nistet sie sich in der Gebärmutter ein und beginnt den Zellteilungsprozess, bis am Ende hoffentlich ein süßes, knuddeliges, immer schreiendes Baby entsteht.
Das aber erstmal rauskommen muss. Man bringe also heißes Wasser und frische Handtücher – danach schreit man doch in Filmen und Serien hoch dramatisch, sobald die spontan einsetzende Hausgeburt beginnt. Wobei mir nie klar war, was das heiße Wasser bringen soll. Den mütterlichen Kindsausgang verbrühen? Wahlweise auch das Kind, wenn es dort rausschaut? Das ganze Blut wegwischen, weil es so unschön aussieht?
Ja, eine Geburt ist eine matschige und blutige Angelegenheit.
Ob nun zuerst die Fruchtblase platzt und die Umgebung schwallartig mit deinem Inneren sprenkelt, oder ob sie im Laufe der Geburt reißt und alles sanft aus dir heraussickert, wie ein idyllisches Bergbächlein: Was raus muss, muss raus. Fruchtwasser, Kind und Plazenta.
Die Schwangerschaft dauert 266 Tage, wobei nur vier Prozent der Kinder am errechneten Termin geboren werden. Und sie endet, wenn der Fötus den Mutterleib verlässt. So steht es in manchen Definitionen und das klingt so schön harmlos: „Mutter, ich bin dann mal weg!“. Und dann ist das Kindlein geboren, rosa und in Watte gepackt und alle strahlen vor Glückseligkeit.
Die stundenlangen Schmerzen vorher, das Gefühl, einen LKW durch seine Lenden zu pressen, das Schreien („Kreißen“), das Brechen vor Schmerzen, das Anschreien des Partners, weil er es wagte, einem gut zuzureden oder sogar zu küssen – das alles wird vernachlässigt.
Eröffnungsphase
Dabei geht es meist eher sanft los. Alle paar Minuten wird der Bauch hart, die eine oder andere Übungswehe war ja in den letzten Wochen schon vorhanden, und die Schmerzen sind mit einigen Verrenkungen über der Sofalehne und einem kreisenden Becken gut auszuhalten.
Im unsäglichen Geburtsvorbereitungskurs hat man ja schließlich auch gelernt, zu atmen (wie habe ich vorher nur überlebt) und mit stimmigen O’s und A’s den Geburtskanal zu weiten. Haha. Wenn man da schon gewusst hätte, wie sehr der sich ohne das eigene Zutun weitet, hätte man sich das alberne Vertonen von Vokalen erspart.
Aber gut, man ist ja stets bemüht, und wartet nun also tönend und atmend, dass die Wehen stärker werden.
In der Zeit greift man sich irgendwann die seit sechs Wochen gepackte und mitten im Flur stehende Kliniktasche und watschelt mit der Eleganz einer dreißigjährigen Weihnachtsgans in Richtung Auto, wo der gewiefte Partner den Autositz mit wasserabweisenden Folien ausgelegt hat, nur für den Fall …
Im Krankenhaus angekommen, wird man ins Wehenzimmer oder nochmal auf die Station aufgenommen, weil die Wehen erst seit zwei Stunden einigermaßen regelmäßig kommen. Was man als grenzenlose Frechheit empfindet, dass man nicht postwendend in den Kreißsaal geleitet wird, weil man schließlich schon kurz vor der Niederkunft steht und sich endlich jemand kümmern soll, verdammt. Jaja, tätschelt die erfahrene Hebamme und lächelt.
Etwa sechs Stunden später hat sich immer noch nicht viel getan, und der Muttermund steht vielleicht bei drei Zentimetern. Damit befindet man sich sowas von nicht auf der Zielgeraden, denn zehn Zentimeter sollten es schon werden. Der Oberarzt sagt: „Das ist doch schon ganz gut“, und man möchte ihm dafür ganz gut die Augen auskratzen.
Diese Eröffnungsphase dauert viele Stunden und sorgt durch die regelmäßigen Kontraktionen des Uterus dafür, dass der untere Teil der Gebärmutter über den vorangehenden Kindsteil - meist den Kopf - gezogen wird. Diese „Retraktion“ dehnt den unteren Teil des Uterus und öffnet den Muttermund. Wenn die Mutter entspannt ist, geht es schneller mit der Eröffnung. Ich lasse das mal so stehen und lache herzlich.
Übergangsphase
Das letzte Drittel der Eröffnungsphase wird auch Übergangsphase genannt und ist der Part der Geburt, der am meisten schmerzt. In dieser Zeit möchten Frauen gerne aufstehen, ihre Sachen packen und nach Hause gehen. „Ich bin fertig, ich gehe“, ist wohl ein typischer Satz, der häufig ausgesprochen wird.
Ich habe geheult, was schließlich auch eine sehr erwachsene Reaktion ist.
Die Wehen in der Übergangsphase kommen deutlich häufiger und haben eine nochmals stärkere Schmerzintensität, weil der Kopf durch das mütterliche Becken tritt und dabei eine 90°-Wende hinlegt. Dabei fühlt es sich an, als würde das Becken gesprengt werden. Was vielleicht eine Erleichterung wäre. Bumm. Endlich Platz da unten.
Austreibungsphase
Schließlich, wenn der Muttermund vollständig geöffnet ist, beginnt die Austreibungsphase, und so unhöflich, wie es sich anhört, so fühlt man sich auch. Von „Holt das Kind endlich da raus!“ bis hin zu „Ich lasse mich scheiden, Du bist schuld an dem ganzen Mist hier!“ ist alles an Beschimpfungen dabei. Von „Sie“ und „Du“ und den ganzen Höflichkeitsfloskeln dem medizinischen Personal gegenüber mal abgesehen, die in dem Moment in irgendeiner Hirnwindung verloren gingen.
Wenn der kindliche Kopf so tief steht, dass er auf den mütterlichen Darm drückt, wird reflektorisch Pressdrang ausgelöst und die Mutter unterstützt mit ihrer Bauchmuskulatur die uterinen Kontraktionen. Die in unseren Gefilden übliche Rückenlage einer Gebärenden ist dabei eher kontraproduktiv.
Der kindliche Kopf geht in die Überstreckung und wird geboren, danach tritt normalerweise eine Wehenpause ein. Man liegt also da mit einem Kopf, der aus einem herausschaut – ein seltsames Gefühl, gepaart mit Erleichterung.
Erst mit der nächsten Wehe dreht sich der kindliche Körper wieder um 90°, damit die Schulter geboren werden kann. Wenn der Kopf aber erstmal draußen ist, fühlt sich der Rest nur noch an, als würde ein nasser Fisch rausrutschen, der deine Eingeweide mitreißt. Egal, raus mit dem Kind. Ich habe fertig.
Nachgeburtsphase
Ja, und dann ist es da, mitsamt aller Glücksgefühle. Es ist egal, ob eine Fußballmannschaft an Ärzten, Ärztinnen und Studierenden vor dir steht und mitten ins Geschehen blickt. Es ist auch egal, dass man noch eben schnell mit Schwung die Plazenta ausspuckt hat und der Raum aussieht, wie beim Schlachtermeister deines Vertrauens. Das Nähen tut nun auch nicht weh, während das Kind auf einem liegt und verwirrt in diese neue Welt hinaus blinzelt.
Willkommen, kleiner Mensch.
Schmerzen? Ich hatte doch keine Schmerzen. Quasi ein Spaziergang war das.
Danke, liebe Hormone.
Bildquelle: Vidal Balielo Jr., Unsplash