Für Ärzte ist es schwierig, bei Cortison-Präparaten die Compliance ihrer Patienten zu erreichen. Die Liste der Nebenwirkungen erscheint endlos und klingt bedrohlich. Das sorgt für Verunsicherung. Was ist beim Verordnen zu beachten und wann überwiegt der Nutzen den Schaden?
Die oberste Priorität bei Glukokortikoiden hat das Finden der geringstmöglichen Dosis. „Jedes Milligramm an Glukokortikoiden, das hilft, eine Krankheit zu kontrollieren, ist ein gutes Milligramm. Jedes Milligramm, das man jedoch sparen kann, ohne die Krankheitskontrolle zu verlieren, ist sogar ein noch besseres“, sagt Prof. Frank Buttgereit. Er ist leitender Oberarzt und Stellvertretender Klinikdirektor an der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Rheumatologie und Klinische Immunologie der Charité Berlin. Cortison, ein Steroid aus der Gruppe der Glukokortikoide, gilt als ein Meilenstein der Arzneimittelentwicklung. Es ist ein Alleskönner, der häufig ins Spiel kommt, wenn nichts anderes mehr zu helfen scheint. Entsprechend vielfältig sind die Darreichungsformen. Der Wirkstoff gelangt durch Nasensprays, Cremes, Augentropfen, Zäpfchen, Tabletten oder Spritzen in den Körper. Dennoch hat Cortison ein schlechtes Image, das aus der Anfangszeit des Medikaments stammt. Aufgrund seiner Fähigkeit, Rheumapatienten starke Linderung zu verschaffen, wurde Cortison nach der Markteinführung bald als Wundermittel für entzündliche Erkrankungen eingesetzt. Damals wurde das Arzneimittel in hohen Dosen durch Spritzen oder Tabletten verabreicht, Patienten großflächig eingesalbt und anschließend verbunden. Dies entfachte entsprechende systemische Wirkungen – und die gefürchteten Nebenwirkungen.
Um die Einnahme von Cortison zu optimieren, wurden Präparate mit einer höheren Wirkstärke entwickelt, beispielsweise ist die therapeutische Wirkung von Prednisolon viermal und die von Dexamethason 30 mal stärker als die von Cortisol (ein Hormon aus der Gruppe der Glucocorticoide, Cortison stellt im Körper die Vorstufe von Cortisol dar). Die Hoffnung auf geringere Nebenwirkungen der neuen Präparate wurde jedoch weitgehend enttäuscht, nur der Einfluss auf den Salz- und Wasserhaushalt wurde verringert. Deutliche Fortschritte wurden dagegen beim Dosierungsschema, dem Zeitpunkt und der Art der Anwendung sowie bei der Therapiekontrolle gemacht. So war es früher beispielsweise üblich, Cortison-Präparate in einen Muskel zu spritzen – heute ist das ein Kunstfehler, da dies zu langanhaltenden, nicht steuerbaren Konzentrationen des Präparates im Blut führen kann. Einheitliche internationale Definitionen für Dosierungen und Wirkdauer von Cortison-Präparaten gibt es bislang nicht, da größere evidenzbasierte Studien fehlen. So gilt heute für die Behandlung mit Glukokortikoiden das Motto: „Wähle die geringstmögliche Dosis und Therapiedauer“.
Was gibt es bei der Verordnung von Glukokortikoiden zu beachten? Eine echte Glukokortikoid-Allergie tritt als absolute Kontraindikation selten auf. Häufiger sind dagegen relative Kontraindikationen, die berücksichtigt werden müssen: Akute bakterielle, virale oder mykotische Infektionen, Tuberkulose, schwere Osteoporose, durch Glukokortikoide induzierte Psychosen, schwer einstellbare Glaukome, akute Magen- oder Darmgeschwüre sowie unzureichender Impfschutz. Die Pharmakokinetik kann bei Patienten mit starker Adipositas, chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen sowie Leber- oder Nierenerkrankungen individuell verändert sein. Die Bioverfügbarkeit von Glukokortikoiden kann sich dadurch sowohl erhöhen als auch erniedrigen und somit entweder zu einer geringeren Wirkung oder zu stärkeren Nebenwirkungen führen. Auch Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten müssen beachtet werden, besonders die gleichzeitige Einnahme von Modulatoren des Cytochrom-P450-Systems (CYP450). Jede Verringerung der Glukokortikoid-Dosis muss langsam und mit Vorsicht erfolgen, da es durch die Gabe von außen zu einer Hemmung der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse kommen kann. Ein plötzliches Absetzen kann dann lebensbedrohliche Folgen haben, worüber Patienten aufgeklärt werden müssen. Ein Notfallausweis, in dem eine dauerhafte Cortisontherapie vermerkt ist, gibt Rettungsdiensten wertvolle Hinweise.
Einen ausführlichen Überblick über die Nebenwirkungen von Glukokortikoiden geben Avrom Caplan und Kollegen in ihrem vierteiligen Beitrag „Prevention and management of glucocorticoid-induced side effects: A comprehensive review“. Während einer Langzeit-Therapie mit Glukokortikoiden kommt es auch bei niedrigen Dosen vor allem in der Anfangsphase zu einer Abnahme der Knochenmineraldichte. Das Risiko von Frakturen vor allem der Wirbelsäule und des Oberschenkelknochens erhöht sich innerhalb der ersten drei Monate um 75 % und nimmt nach ca. einem Jahr wieder ab. Ältere Personen, Frauen in der Menopause und Patienten mit familiärer Historie für Frakturen sind besonders gefährdet. Anders als bei der stetigen Verabreichung scheint sich eine kumulative Dosis von weniger als einem Gramm Prednison (bzw. Äquivalent) pro Jahr aus Stoßtherapien nicht negativ auszuwirken. Prof. Dr. Stefan Rehart, Chefarzt am Agaplesion Markus Krankenhaus in Frankfurt am Main, empfiehlt, Rheumapatienten bereits mit der Diagnose auch über Osteoporose aufzuklären. Er sagt: „Wir brauchen den Schutz des Knochens von Anfang an.“ Die Einnahme von Calcium und Vitamin D, Aufenthalt im Freien und Sport wirken der Abnahme der Knochenmineraldichte entgegen. Außerdem wird ein Verzicht auf Rauchen und Alkohol empfohlen. Für Personen, die wahrscheinlich länger als drei Monate mit Glukokortikoiden behandelt werden, ist vor Therapiebeginn eine Knochendichtemessung sinnvoll. Bei Patienten mit einem hohen Risiko für Osteoporose oder Osteopenie sollte zudem eine Prävention mit Bisphosphonaten erwogen und die Knochendichte regelmäßig gemessen werden. Unter Langzeittherapie mit höheren Dosen kann eine Osteonekrose auftreten. Schmerzen in Hüften, Knie oder Schulter mit oder ohne Bewegungseinschränkung sollten deshalb ggf. durch ein MRT abgeklärt werden.
Buttgereit stellt fest, dass für die Patienten die kosmetischen Symptome des Cushing-Syndroms sehr belastend sein können. Obwohl sie vergleichsweise ungefährlich sind, müssen diese Ängste bzw. Bewertungen der Patienten ernst genommen werden. Einer Studie zum Auftreten von Nebenwirkungen bei oraler Langzeit-Cortisontherapie (> 5 mg Prednisolon pro Tag über mehr als einen Monat) zufolge leiden 64 % aller Patienten an mindestens einer und 41 % an zwei oder mehr Nebenwirkungen. In dieser Untersuchung war die Gewichtszunahme mit 45 % die am häufigsten beobachtete unerwünschte Arzneimittelwirkung. Dieser Effekt geht mit Absetzen der Präparate zurück, dennoch ist die Beratung und Aufforderung zu einem gesunden Lebensstil für alle Patienten unter Glukokortikoid-Therapie sinnvoll, um der Gewichtszunahme, Bluthochdruck, Hyperlipidämie und kardiovaskulären Komplikationen entgegen zu wirken. Häufiger als zu einem erhöhten Nüchternblutzucker führen Glukokortikoide postprandial zu einer Hyperglykämie. Besonders bei älteren Personen und Menschen mit hohem BMI können sie einen Diabetes induzieren oder eine bestehende Erkrankung verschlechtern, ein gutes Glukosemonitoring ist dann vorteilhaft.
Glukokortikoide allein verursachen keine gastrointestinalen Nebenwirkungen. In Kombination mit anderen Medikamenten kann es jedoch zu Magengeschwüren oder gastrointestinalen Blutungen kommen. Hier sind besonders die nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) zu nennen. Lässt sich eine Kombination nicht vermeiden, sollte die Verordnung von Protonenpumpenhemmern erwogen werden, ebenso wie bei schweren Rauchern, Alkoholikern oder Personen mit bereits vorhandenem Ulcus.
Glukokortikoide beeinträchtigen beide Zweige der Immunabwehr. Dadurch besteht generell ein höheres Risiko für Infekte durch Viren, Bakterien und Pilze. Vor Beginn einer Langzeittherapie mit Glukokortikoiden sollte der Impfstatus der Patienten überprüft und nach Möglichkeit ein vollständiger Schutz hergestellt werden. Lebendimpfstoffe können noch 2–4 Wochen vor Beginn der Immunsuppression eingesetzt werden. Während einer Therapie mit Glukokortikoiden sind sie jedoch kontraindiziert, und auch der Kontakt zu Personen, die mit Lebendimpfstoffen geimpft wurden, sollte vermieden werden. Bei der Verwendung von inaktivierten Impfstoffen muss bedacht werden, dass Patienten unter Cortisontherapie möglicherweise keine ausreichende Immunantwort entwickeln.
Abhängig von der Dosis und Dauer der Cortisontherapie gibt es ein erhöhtes Risiko für Glaukome und Katarakte. Vorab- und regelmäßige Folgeuntersuchungen sind deshalb evtl. sinnvoll. Auch eine Muskelschwäche vor allem der proximalen unteren und oberen Gliedmaßen kann durch Glukokortikoide hervorgerufen werden. Dabei erfolgt die Diagnose ausschließlich klinisch, da Laborwerte und Elektromyographie meist unauffällig sind. Unter vorsichtiger Dosisreduzierung gehen die Beschwerden in der Regel zurück. Binnen Tagen oder Wochen nach Beginn einer Glukokortikoid-Therapie können dosisabhängig psychiatrische Effekte auftreten, beispielsweise Stimmungsschwankungen, Angstgefühle, Depressionen, Panikattacken, Psychosen, Gedächtnisprobleme oder Selbstverletzungen bis hin zur Suizidgefährdung. Deshalb sollten alle Patienten bereits in der Anamnese auf ihre neuropsychiatrische Geschichte hin befragt werden. Hilfreich ist auch die Einbeziehung von Bezugspersonen und Familienmitgliedern. Bei Schlafstörungen sollte die Dosis nach Möglichkeit reduziert und nur morgens eingenommen werden. Wenn schwerwiegende Symptome auftreten, sind ein intensives Monitoring durch einen Spezialisten und eine Reduzierung der Tagesdosis erforderlich.
Glukokortikoide werden in der Pädiatrie oft für die Behandlung von Heuschnupfen, Asthma oder Neurodermitis eingesetzt. Da sie den Knochenaufbau hemmen und die Sekretion und Wirkung von Wachstumshormonen verändern, kann es zu Osteopenie und Wachstumshemmungen kommen. In der Regel wird das Wachstum aber nur um ca. einen Zentimeter gehemmt, sodass die diesbezüglich oft starken Bedenken der Eltern keinen Verzicht auf eine Therapie rechtfertigen. Bei Kindern kann ohne das Vorliegen typischer Risikofaktoren ein steroidinduzierter Diabetes auftreten, hier ist bereits bei ersten Anzeichen eine erhöhte Aufmerksamkeit erforderlich. Auch das Ausschleichen aus einer Cortisontherapie muss bei Kindern besonders vorsichtig erfolgen, da sie bei supraphysiologischen Dosen häufig schon binnen zwei Wochen eine Nebenniereninsuffizienz entwickeln.
Bei Asthma, chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen und vielen Hauterkrankungen ist die lokale Therapie mit Dosieraerosolen, Zäpfchen oder Salben eine geeignete Anwendungsform. Einige Präparate wie Budesonid werden direkt an Ort und Stelle abgebaut, sodass kaum Nebenwirkungen zu befürchten sind. Bei einer systemischen Langzeittherapie mit dem Glukokortikoid Prednison überwiegt bei bis zu 7,5 mg pro Tag meist der Nutzen die Risiken. Im mittleren Dosisbereich entscheidet die individuelle Situation des Patienten, ab einer bestimmten Menge kommt es jedoch vermehrt zu Nebenwirkungen, die verhindert oder behandelt werden müssen.