Sind Patienten besonders gefährdet für eine Corona-Infektion oder einen schweren COVID-19-Verlauf, wenn sie regelmäßig ACE-Hemmer einnehmen? Diese Frage beschäftigt die Medizin schon länger. Experten entwarnen jetzt.
Patienten mit Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankungen werden häufig mit blutdrucksenkenden Medikamenten behandelt, die in das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System (RAAS) eingreifen, etwa mit Hemmern des Angiotensin-Converting-Enzyms 1 (ACE-Hemmer) und Angiotensin II-Rezeptor-Blockern (ARB). Das Angiotensin-Converting-Enzym 2 (ACE2) ist ein Isoenzym von ACE1 und wie dieses wichtiger Bestandteil des RAAS – und es dient einigen Coronaviren, darunter auch SARS-CoV-2, als Haupteintrittspunkt in die Wirtszelle. Sind Patienten, die regelmäßig Medikamente einnehmen, die auf das RAAS-System einwirken, daher besonders gefährdet, sich mit SARS-CoV-2 zu infizieren, oder laufen sie Gefahr von schwereren Verläufen?
Eine große Zahl klinischer Studien befasst sich mit genau dieser Frage. Wissenschaftler der V. Medizinischen Klinik der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) haben nun systematisch die Ergebnisse vieler dieser Einzelstudien in einer Meta-Analyse untersucht und die Ergebnisse in einem systematischen Review zusammengefasst. Sie kommen zu folgendem Schluss: Die Daten geben keinerlei Hinweis darauf, dass RAAS-blockierende Medikamente das Infektionsrisiko für Coronaviren erhöhen. Es gibt daher keinen Grund, ACE-Hemmer oder ARBs in der klinischen Praxis abzusetzen.
Das RAAS ist ein endokrines Hormon-System, das den Flüssigkeits- und Elektrolythaushalt des Körpers reguliert und damit auch entscheidend auf den Blutdruck einwirkt. ACE-Hemmer und ARBs wirken auf unterschiedliche Weise auf das RAAS. Beide Wirkstoffgruppen werden häufig als Medikamente der ersten Wahl bei Bluthochdruck eingesetzt, wie auch zur Behandlung von Herz- und Niereninsuffizienz.
Tierexperimente zeigten, dass ACE-Hemmer und ARBs die Expression des ACE2 in der Lunge erhöhen können. Coronaviren wiederum sind in der Lage, mit ihren Spike-Proteinen an den Rezeptor ACE2 zu binden und mit diesem zu fusionieren, und gelangen auf diesem Wege in die Wirtszelle. SARS-CoV-2, der Erreger der Atemwegserkrankung COVID-19, scheint dabei eine deutlich höhere Affinität zu ACE2 zu besitzen als das SARS-Coronavirus 1.
Die Besonderheit der vorliegenden Meta-Analyse ist einerseits der Umfang der Studie: Die Gruppe um Prof. Berthold Hocher, Leiter der Arbeitsgruppe für experimentelle und translationale Nephrologie, und Prof. Bernhard Krämer, Direktor der V. Medizinischen Klinik, erfasste systematisch alle bis dato in internationalen Journalen publizierten Studien, die die Auswirkungen von RAAS-blockierenden Medikamenten (ACE-Hemmer, ARBs) auf das Risiko, an einer Lungenentzündung zu erkranken und daran zu versterben, untersuchen – soweit sie den Qualitäts-Standards entsprachen.
Die zweite Besonderheit ist, dass die Effekte von RAAS-blockierenden Medikamenten auf das Infektionsrisiko und die Gesamtsterblichkeit einerseits bei COVID-19-Patienten und parallel dazu bei Patienten mit einer Pneumonie, die nicht mit einer SARS-CoV-2-Infektion in Verbindung steht, untersucht wurden. Dies ermöglicht den direkten Vergleich des Wirkungsprofils von ACE-Hemmern und Angiotensin II-Rezeptor-Blockern auf COVID-19-Patienten und Nicht-COVID-19-Patienten.
In den COVID-19-Studien analysierten die Forscher das Risiko, sich mit SARS-Cov-2 zu infizieren, das Risiko schwerer negativer klinischer Ergebnisse – Notwendigkeit der Aufnahme auf eine Intensivstation, invasive und nicht-invasive Beatmung sowie Tod – und das Risiko der Gesamtsterblichkeit bei COVID-19-Patienten, die entweder mit ACE-Hemmern oder ARBs behandelt wurden. Die Analyse sämtlicher Studien brachte zutage, dass sowohl ACE-Hemmer als auch Angiotensin-II-Rezeptor-Blocker das Erkrankungs- und Sterblichkeitsrisiko weder in Bezug auf COVID-19 noch auf eine Lungenentzündung anderen Ursprungs erhöhen.
Vielmehr scheinen Patienten, die ACE-Hemmer einnehmen, im Vergleich zu Patienten ohne Medikamenteneinnahme dieser Wirkstoffklasse, ein um 13 Prozent verringertes Risiko für eine SARS-CoV-2-Infektion zu haben (11 Studien; insgesamt 8,4 Mio. Patienten), sowie ein um 26 Prozent reduziertes Risiko für eine Lungenentzündung anderen Ursprungs (25 Studien; insgesamt 330.780 Patienten).
Im Vergleich dazu hat die Einnahme von Angiotensin-II-Rezeptor-Blockern offenbar keinen Effekt auf das Infektionsrisiko, weder für SARS-CoV-2 (10 Studien; insgesamt 8,4 Mio. Patienten) noch für eine nicht durch SARS-CoV-2 hervorgerufene Pneumonie (10 Studien; insgesamt 275.621 Patienten).
Auch in Bezug auf die Gesamtsterblichkeit spricht nichts gegen eine Medikamenteneinnahme: Die Blockade des RAAS – entweder durch ACE-Hemmer oder durch ARBs (beide Substanzklassen wurden hinsichtlich dieses Endpunktes zusammen ausgewertet, da die bisherigen Studien zur Gesamtsterblichkeit keine Differenzierung von ACE-Hemmern bzw. ARBs erlauben) – reduzierte die Gesamtmortalität von COVID-19-Patienten um 24 Prozent (34 Studien; insgesamt 67.644 Patienten). Die mit einer Lungenentzündung anderen Ursprungs verbundenen Todesfälle waren unter Einnahme von ACE-Hemmern um 27 Prozent reduziert. Todesfälle unter Einnahme von ARBs wurden in dieser Gruppe in nur einer Studie untersucht, waren aber auch dort reduziert.
„Die Ergebnisse unserer Studie deuten darauf hin, dass die blutdrucksenkenden Medikamente das Risiko, an einer Lungenentzündung zu erkranken, nicht erhöhen. Sie scheinen vielmehr einen gewissen Vorteil für den Patienten haben: Sie reduzieren das Infektionsrisiko und das Risiko schwerer Verläufe“, fasst Hocher zusammen. Dies gelte sowohl für Infektionen mit SARS-CoV-2 als auch durch andere Erreger verursachte Infektionen. „Allerdings stützen sich unsere Ergebnisse vor allem auf Beobachtungsstudien. Um eine solche Aussage sicher treffen zu können, müssten die Effekte in Placebo-kontrollierten Interventionsstudien überprüft werden.“ Das insgesamt bessere Abschneiden der ACE-Hemmer im Vergleich zu Angiotensin-II-Rezeptor-Blockern führt er darauf zurück, dass ACE-Hemmer über das Bradykinin-System eine gewisse schützende Wirkung vor Pneumonien entfalten.
„Interessant ist auch, dass sich der mögliche Benefit einer RAAS-Blockade in COVID-19-Patienten und Nicht-COVID-19-Patienten nicht grundsätzlich unterscheidet“, ergänzt Krämer. Die Autoren des systematischen Reviews raten daher davon ab, diese Medikamente der ersten Wahl abzusetzen.
Dieser Text beruht auf einer Pressemitteilung der Universitätsmedizin Mannheim.
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