Zehn Patienten mit Sichelzellanämie oder Beta-Thalassämie wurden erfolgreich mit einer CRISPR/Cas9-Gentherapie behandelt. Sind sie jetzt gesund?
Gehören schwere, genetisch bedingte Anämien bald der Vergangenheit an? Die Fortschritte in diesem Bereich sind jedenfalls beeindruckend. Bei der virtuellen Jahrestagung der American Society of Hematology (ASH) gab es jetzt eine Weltpremiere: Dr. Haydar Frangoul vom Sarah Cannon Center for Blood Cancer in Nashville, USA, berichtete über zehn Patienten mit entweder Sichelzellanämie oder Beta-Thalassämie, die eine Gentherapie mit der CRISPR/Cas9-Methode erhalten haben. CRISPR/Cas9 erlaubt eine punktgenaue Veränderung einzelner Gene beliebiger Zielzellen.
Die zehn Patienten nehmen an den beiden klinischen Studie CLIMB-111 (Beta-Thalassämie) und CLIMB-121 (Sichelzellanämie) teil. Die noch laufenden Studien mit dem Gentherapieprodukt CTX001 werden von den Unternehmen Vertex und CRISPR Therapeutics durchgeführt. CRISPR Therapeutics ist ein Schweizer Unternehmen, das unter anderem von Emmanuelle Charpentier mitgegründet wurde. Die Französin leitet in Berlin das Max-Planck-Institut für Infektionsbiologie und hat in diesem Jahr zusammen mit Jennifer Doudna von der Universität Kalifornien in Berkeley den Nobelpreis für Chemie für die Entwicklung der CRISPR/Cas9-Methode erhalten.
Beta-Thalassämie und Sichelzellanämie beruhen auf Mutationen im Gen für die Beta-Untereinheit des Hämoglobins. Die Erkrankungen treten in unterschiedlichen Schweregraden auf. An den Studien nehmen ausschließlich schwer kranke Patienten teil.
Den Patienten werden nach Vorbehandlung hämatopoetische Stamm- und Vorläuferzellen (CD34+-Zellen) entnommen. Diese Zellen werden außerhalb des Körpers mit CRISPR/Cas9 gentherapeutisch behandelt und dann retransfundiert – nach vorheriger Chemotherapie mit Busulfan, die das patienteneigene Knochenmark eliminiert.
Die CTX001-Gentherapie richtet sich nicht direkt gegen die ursprünglichen Gendefekte, sondern nimmt einen Umweg. Adressiert wird das BCL11A-Gen. Die Genomeditierung führt dazu, dass die Patienten fetales Hämoglobin produzieren. Der menschliche Körper schaltet die Produktion dieser Form des Hämoglobins normalerweise während des ersten Lebensjahrs ab.
Fetales Hämoglobin hat bei beiden Formen der Anämie einen schützenden Effekt: Menschen mit Beta-Thalassämie- oder Sichelzellanämie-Gendefekt, die zusätzlich aufgrund einer anderen Genveränderung bis ins Erwachsenenalter fetales Hämoglobin produzieren, haben so gut wie nie Beschwerden. Das macht sich die CRSIPR/Cas9-Gentherapie zunutze.
Frangoul berichtete bei der ASH-Tagung über sieben Patienten mit Beta-Thalassämie und drei Patienten mit Sichelzellanämie, die erfolgreich behandelt wurden. Der Bericht über die beiden Patienten, bei denen die Behandlung am längsten zurückliegt, nämlich jeweils schon länger als ein Jahr, wurde parallel im New England Journal of Medicine veröffentlicht.
Bei beiden Patienten wurden mit der anfänglichen Gentherapie rund 80 Prozent der BCL11A-Gene „umgebaut“. Die erste Patientin war eine 19-jährige Frau mit schwerer Thalassämie und jetzt 21 Monaten Follow-up nach CTX001-Therapie. Die letzte Transfusion war 30 Tage nach Behandlung erforderlich, seither lebt sie ohne Transfusion mit einem Hb-Wert von etwa 13 g/dl. Die zweite Patientin war eine 33-jährige Frau mit Sichelzellanämie, die pro Jahr im Mittel sieben schwere vasookklusive Ereignisse hatte. Auch sie erreichte einen hohen Hb-Wert von um die 12 g/dl – 15 Monate nach Therapie ohne jegliche Transfusion. Seit Behandlung ist keine einzige vasookklusive Episode mehr aufgetreten.
Unerwünschte Wirkungen träten auf, so Fragoul bei der ASH-Konferenz. Sie seien aber beherrschbar. Die erste Patientin hatte im Laufe von 21 Monaten zwei schwere unerwünschte Ereignisse, eine Pneumonie und eine Okklusion der Lebervenen, beide innerhalb von 14 Tagen nach Therapie. Bei der zweiten Patientin traten drei SAE auf, eine Sepsis, eine Gallensteinepisode und einmal schwere abdominelle Schmerzen. Auch das fand alles in den ersten zwei Monaten nach Behandlung statt.
Insgesamt haben die US-Amerikaner mit ihren ersten, natürlich noch sehr vorläufigen Ergebnissen bei einigen Kommentatoren geradezu Enthusiasmus ausgelöst. Der Studienleiter selbst sprach von „nicht weniger als großartigen“ Daten, der Aktienkurs von CRISPR Therapeutics ging steil in die Höhe.
Der Einsatzvon CRISPR/Cas9 für humane Gentherapien machte Ende 2018 Negativschlagzeilen: Der chinesische Wissenschaftler He Jiankui berichtete, er habe menschliche Embryonen genetisch verändert, um sie gegen HIV resistent zu machen. Er erhielt dafür in China drei Jahre Gefängnisstrafe. Der Chinese hatte mit der CRISPR/Cas9 Gentherapie bei den Keimzellen angesetzt, im Rahmen einer künstlichen Befruchtung. Dabei können schwere Nebenwirkungen auftreten, und die Langzeitfolgen für die Kinder sind völlig unklar.
Die aktuellen amerikanischen Studien gehören dagegen in die Kategorie der adulten Gentherapien und zielen ausschließlich auf die blutbildenden Zellen ab. Dies gilt als ethisch wesentlich unproblematischer, zumal die betroffenen Patienten sehr schwer krank sind und ausdrücklich zustimmen. Die erste Gentherapie bei Anämiepatienten ist die CRISPR/Cas9-Behandlung ohnehin nicht.
Das Unternehmen Bluebird Bio hat bei ASH-Tagung ebenfalls positive Langzeitdaten zu einer weiteren Gentherapie bei Sichelzellanämie vorgestellt, die mit dem BCL11A-Gen arbeitet. Sie ist in Europa seit vergangenem Jahr zugelassen. Diese Behandlung nutzt Viren als „Genfähren“. Die mit CRISPR/Cas9 verbundene Hoffnung ist, dass auf das virale Verfahren auf Dauer verzichtet werden kann.
Die erwähnte Studie findet ihr im Text markiert oder hier.
Bildquelle: Miles Burke, unsplash