Der Verkauf von Schwangerschaftsvitaminen ist 2020 rasant angestiegen. Das klingt ganz nach Baby-Boom in Zeiten der Pandemie. Oder sollen die Präparate als Corona-Schutz dienen?
Laut Zahlen der Marktforschungsunternehmen Insight Health und DatamedIQ wurden von Januar bis Ende Oktober 2020 1,42 Millionen Packungen an Schwangerschaftsvitaminen in Vor-Ort-Apotheken und von Versendern verkauft. Das bedeutet ein Plus von 6 Prozent bezogen auf das Vorjahr. Ist das bereits der erste Vorbote für den erwarteten Corona-Lockdown Baby-Boom? Oder nehmen jetzt etwa auch Nichtschwangere diese Vitamine ein?
Beim Thema Nahrungsergänzungsmittel scheiden sich die Geister wie selten bei einem Thema. Die Befürworter legen Wert auf die Feststellung, ein Großteil der Bevölkerung sei unterversorgt und deshalb potenziell in seiner Gesundheit gefährdet. Doch es gibt auch viele Stimmen, die das Gegenteil behaupten, und vor den Gefahren einer Überversorgung warnen.
Egal welcher Gruppe man hier angehört, ein breiter Konsens zeigt sich bei der Versorgung von Schwangeren und Stillenden. Hier ist ein Mehrbedarf offensichtlich, da das Baby zusätzliche Nährstoffe benötigt. Ein Mangel in der Versorgung kann die Gesundheit der Mutter und ihres Kindes negativ beeinflussen. Ein systematisches Review des Cochrane Pregnancy and Childbirth's Trials-Registers aus der Schweiz, das 21 Studien mit 142.496 Frauen einschloss, zeigte auf, dass Schwangere, die eine Nahrungsergänzung mit multiplen Mikronährstoffen einnahmen, seltener zu kleine Babys zur Welt brachten, weniger Babys bekamen, die kleiner waren als normal für ihr Gestationsalter und es weniger Geburten in der 37. SSW gab.
Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt schwangeren Frauen eine Supplementierung von Folsäure, Jod und – falls nicht regelmäßig Meeresfische konsumiert werden – auch Docosahexaensäure (DHA). Bereits bei der Supplementierung von Vitamin D und Eisen gibt es aber schon wieder Streit; hier wird empfohlen, zuerst einen Bluttest durchzuführen um einen möglichen Mangel festzustellen. Die Nationale Verzehrsstudie II hat dagegen ein deutliches Defizit bei der Aufnahme von Vitamin D festgestellt. Demnach unterschritten 100 % der Männer und Frauen die Empfehlung für die Vitamin-D-Zufuhr. Das sind die Gründe, warum Schwangeren und Stillenden in der Apotheke zur Einnahme entsprechender Vitaminpräparate geraten wird.
Ob es aufgrund des Lockdowns im Frühjahr mehr Schwangerschaften als im Vorjahr gibt, dazu möchte sich noch kein Verantwortlicher öffentlich klar äußern. Es gibt offenbar noch keine verlässlichen Daten, da aufgrund der anhaltenden Pandemie Vorsorgeuntersuchungen wie die Feindiagnostik und die Organ-Ultraschalluntersuchung in den Kliniken nicht in dem Maße wahrgenommen werden, wie in den Jahren davor. Die Angst, sich dabei mit dem Coronavirus zu infizieren, ist groß.
Der vermehrte Absatz von Schwangerschaftsvitaminen lässt sich allerdings nicht wegdiskutieren. Mancherorts wird darüber diskutiert, ob vielleicht vermehrt Nichtschwangere sie einnehmen, um sich vor einem schweren Coronaverlauf zu schützen. Ich habe eine solche Frage in meinem Apothekenalltag noch nicht erlebt, habe diesbezüglich aber einmal in meinem erweiterten Bekanntenkreis herumgefragt – manchmal gibt es ja gewisse Trends, die nicht überall spürbar sind.
Das Ergebnis: Es kam tatsächlich vereinzelt der Wunsch nach einem solchen Vitaminpräparat von nichtschwangeren Frauen und in einem Fall sogar von einem Mann vor. Hier steht offenbar die Vermutung im Vordergrund, dass die Nahrungsergänzungsmittel aus der Apotheke, die für Schwangere und Stillende entwickelt werden, eine ganz besonders gute Qualität aufweisen und weder schädliche Zusatzstoffe enthalten, noch so überdosiert sind, dass sie Schaden anrichten. Aber das waren tatsächlich alles nur vereinzelte Nachfragen und können den Gesamtanstieg des Absatzes um 6 Prozent nicht erklären.
Kann man also vom vermehrten Verkauf von Schwangerschaftsvitaminen in den Apotheken vor Ort und im Versand tatsächlich darauf schließen, dass der Lockdown uns einen Baby-Boom beschert hat? Ich denke nicht. Selbst wenn Michael Hensoldt, Geschäftsführer von Insight Health, sich zu der Aussage hinreißen lässt, Schwangerschaftsvitamine seien keine Kategorie, bei denen die Nachfrage induziert werden könne, sehe ich das in der Praxis anders.
Ganz allgemein sind viele Menschen während dieser Krise eher bereit, Nahrungsergänzungsmittel zu sich zu nehmen als früher. Die Berichterstattung in den Laienmedien ging eindeutig in die Richtung, dass optimal mit Vitaminen und Mineralstoffen versorgte Menschen – dabei wird der Schwerpunkt meist auf Vitamin D gelegt – besser durch eine Coronainfektion kommen, als Menschen, die hier ein Defizit haben.
Viele aktuell Schwangere, die sich in Nichtkrisenzeiten auf ihr ausgewogenes Essverhalten verlassen haben, werden durch diese allgemeine Verunsicherung vorsichtiger. Ich denke, ein Teil dieser Personengruppe, die früher nicht zu industriell hergestellten Vitaminpräparaten gegriffen hätte, tut das in diesen Zeiten nun doch. Ebenso wie deutlich mehr Kunden in der Apotheke Vitamin C und Zink-Kombinationspräparate kaufen. Der Marktführer in diesem Bereich ist seit Wochen schon nicht mehr über unsere Großhändler bestellbar und ausverkauft.
Ob es am Ende also wirklich signifikant mehr Coronababys geben wird, wissen wir also immer noch nicht. Den Anstieg der Halter von Coronahunden werden sie aber vermutlich nicht knacken, dafür müssten die Zahlen zu diesem Zeitpunkt schon mehr hergeben.
Bildquelle: Mārtiņš Zemlickis, unsplash