MEINUNG | Derzeit höre ich sogar unter Kollegen im Krankenhaus immer mehr kritische Stimmen, wenn es um die Corona-Impfung geht. Langsam reißt mir der Geduldsfaden.
Im Film Armageddon rast ein Meteorit auf die Erde zu. Die Katastrophe scheint unabwendbar, man arbeitet dennoch fieberhaft an einer Lösungsstrategie. Der Vergleich hinkt an der einen oder anderen Stelle, aber ich erkenne gewisse Parallelen zur Impfdiskussion. Während ich im März noch dachte, dass sich alle auf die Impfung stürzen werden, haben die irren Verschwörungsmythen Teile der Bevölkerung so verunsichert, dass sogar über eine Impfpflicht nachgedacht werden muss, falls sich zu wenige freiwillig impfen lassen. Manche sehen sich schon als Märtyrer, es mangelt nicht an pathetischen und absurd anmaßenden Vergleichen.
Naiv wie ich war, dachte ich, dass jeder sich freiwillig impfen lassen wird, sobald es möglich ist. Stattdessen erlebe ich sogar unter den Kollegen im Krankenhaus zunehmend kritische Stimmen. Da wird über Genmanipulation doziert, auf mögliche langfristige Nebenwirkungen verwiesen und überhaupt könne das ja nicht sein, dass ein Impfstoff auf einmal so schnell entwickelt wurde, wo es sonst Jahre dauert (btw: Doch, das geht, wenn man so wie jetzt unendlich viel Geld und Ressourcen zur Verfügung hat). Kurzum – man könne diesem Impfstoff nicht trauen und wolle sich lieber erstmal nicht impfen lassen.
Was diese Menschen eigentlich sagen wollen, ist doch: ICH lasse mich erstmal nicht impfen, hoffe aber darauf, dass es möglichst viele andere tun. Nur so lässt sich eine solche Einstellung erklären. Niemand, wirklich niemand, kann ernsthaft der Meinung sein, dass der jetzige Zustand noch weitere drei bis fünf Jahre auszuhalten wäre.
Und würde das die Einstellung zum Impfstoff wirklich ändern? Wenn wir noch drei Jahre warten würden, um dann sagen zu können, es gibt sehr selten bis keine relevanten Nebenwirkungen? Der aktuelle Lockdown light, die lahmende Wirtschaft, Insolvenzen, steigende Arbeitslosigkeit, übervolle Krankenhäuser immer am Rande des Zusammenbruchs und der Aufschub von zwingend notwendigen Operationen bei Krebspatienten sind nur einige der Dinge, die wir nicht noch drei oder fünf Jahre aushalten können.
Wir haben die einmalige Chance, uns mit einem in Rekordzeit entwickelten Medikament aus der Zange der Pandemie selbst befreien zu können. Neben Abstand halten, Maske tragen und sozialer Distanzierung gibt es nun endlich die Möglichkeit, selber aktiv etwas gegen die Pandemie zu tun. Man lässt sich impfen, damit das Virus nicht weiter verbreitet werden kann. Auch ich werde mich selbstverständlich impfen lassen und es ist eigentlich traurig, dass ich mich dafür rechtfertigen muss.
Pseudointellektuelle YouTuber und sogenannte Querdenker haben für sich die Deutungshoheit über den Sinn und Nutzen einer Impfung gepachtet. Sie sind stolz darauf, gegen eine Impfung zu hetzen und weil die Komplexität der Welt ihren Verstand übersteigt und ihnen die naturwissenschaftlichen Grundlagen zum Verständnis der Wirkweise einer Impfung fehlen, suchen sie nach einfachen Lösungen und finden diese, indem sie hinter allem und jedem eine große Verschwörung wähnen. Statt eigene Defizite anzuerkennen und auf Experten und deren Empfehlungen zu hören, halten sie sich in ihrem selbstgebauten Konstrukt aus wirren Theorien und einer allgemeinen Skepsis für überlegen und uns, die wir uns impfen lassen, für dumm.
Diese Menschen schaffen es, Impfverweigerer als die Erleuchteten darzustellen und die Selbstlosigkeit einer Impfung zum Schutz des Anderen als Einfältigkeit, zumindest aber unüberlegte Obrigkeitshörigkeit, milde zu belächeln.
Die grundsätzliche Frage, ob man sich impfen lassen sollte, stellt sich für mich nicht. Außer einer medizinisch begründbaren absoluten Kontraindikation gibt es keinen Grund, sich nicht impfen zu lassen.
Übrigens: Wer beispielsweise mal mit Eltern von Kindern redet, die aufgrund schwerer systemischer Erkrankungen selbst nicht geimpft werden können, versteht, welch ein Privileg es ist, geimpft zu werden. Wer hingegen mit seinem aus medizinischen Gründen (s. o.) ungeimpften Kind immer darauf angewiesen ist, dass andere sich impfen lassen, kann verstehen, wie sehr diese sich eine Impfung wünschen würden, um nicht mehr Angst vor einer Infektion zu haben.
Unabhängig davon darf man aber darüber diskutieren, welchen Impfstoff man verwenden sollte. (Hierzu empfehle ich diesen Übersichtsartikel.) Es macht einen erheblichen Unterschied, ob ein Totimpfstoff, Lebendimpfstoff, Vektorimpfstoff oder mRNA-Impfstoff verimpft wird.
Es ist noch zu früh für eine abschließende Beurteilung hinsichtlich der Empfehlung für oder gegen einen bestimmten Impfstoff. Wenn es soweit sein wird, vertraue ich auf die geballte Kompetenz von Experten des RKI, die zu gegebener Zeit und nach sorgfältiger Güterabwägung eine belastbare Empfehlung aussprechen werden.
Ich empfehle mal, sich durch die Teammitglieder der Kommissionen des RKI zu klicken (hier z. B. die KRINKO). Es ist beeindruckend, wie viel Leidenschaft, Zeit und Fleiß Menschen in ihren wissenschaftlichen Werdegang investiert haben, um dort hin zu kommen, wo sie jetzt sind. Sie investieren den Großteil ihrer Lebenszeit für uns und um uns bestmöglich zu beraten.
Wenn eine Expertenkommission aus EpidemiologInnen, InfektiologInnen und IntensivmedizinerInnen zu einer Entscheidung für oder gegen eine medizinische Maßnahme kommen, dann vertraue ich auf dieses Team.
Weitere Highlights des Jahres gibt es hier:
Bildquelle: Eduardo Mallmann/Unsplash