Einer kürzlich veröffentlichten Studie zufolge erhöhen Statine das Risiko, an Diabetes mellitus Typ 2 zu erkranken, um bis zu 46 %. Eine Ausweitung der Statintherapie, wie sie mehrere internationale Fachgesellschaften empfehlen, könnte somit ungeahnte Folgen haben.
In der im März in der Fachzeitschrift „Diabetologia“ veröffentlichten Studie untersuchten finnische Forscher um Professor Markku Laakso den Einfluss einer Statin-Behandlung auf das Risiko, an Typ-2-Diabetes zu erkranken. Dazu überwachten die Forscher eine Gruppe von 8.749 männlichen Nicht-Diabetikern aus der finnischen METSIM (metabolic syndrome in men) Kohorte. Als Typ-2-Diabetiker galten alle Personen, denen im Verlauf der Beobachtungszeit ein blutzuckersenkendes Medikament verordnet wurde, sowie diejenigen mit einem Nüchtern-Plasma-Glukosespiegel ≥ 7,0 mmol/l, einem 2-Stunden Plasma-Glukosespiegel ≥ 11,1 mmol/l in einem oralen Glukosetoleranztest (OGTT) oder einem HbA1c von ≥ 6,5 % (48 mmol/mol). 24,5 % der Studienteilnehmer wurden zu Beginn der Studie mit Statinen behandelt – etwa zwei Drittel davon nahmen Simvastatin. In der Gruppe der Statin-Behandelten entwickelten 11,2 % der Teilnehmer einen Typ-2-Diabetes, in der Kontrollgruppe waren es dagegen nur 5,8 % der Teilnehmer. Selbst nach Berücksichtigung von Störfaktoren wie Alter, BMI, körperlicher Aktivität, Raucher-Status, Alkoholgenuss und Familiengeschichte bezüglich Diabetes blieb die Assoziation zwischen Statin-Behandlung und Neuentwicklung eines Typ-2-Diabetes weiterhin bestehen (angepasste Hazard Ratio 1,46, 95 % Konfidenzintervall 1,22-1,74). Die Forscher stellten zudem fest, dass der diabetogene Effekt einer Behandlung mit Simvastatin und Atorvastatin dosisabhängig war und auf einer verminderten Insulinsensitivität und Insulinsekretion beruhte.
Laakso und seine Mitautoren scheuen sich nicht, mögliche Schwachpunkte ihrer Studie selbst zu benennen: Da die untersuchte Kohorte nur hellhäutige europäische Männer umfasst, sei es unklar, ob sich die Ergebnisse auf Frauen und andere ethnische Gruppen übertragen lassen. Zudem handele es sich bei den zur Bestimmung der Insulinsensitivität und –sekretion verwendeten Markern um validierte Ersatzindizes, die nicht so genau seien wie euglykämische Clamp-Technik oder ein intravenöser Glukosetoleranztest. Allerdings seien solche genaueren Tests in großen, populationsbasierten Studien mit tausenden von Teilnehmern gar nicht durchführbar, so die Autoren. In einem Science Media Center Statement äußerten sich namhafte Experten kritisch zu der Studie. Sie bemängelten vor allem die großen Unterschiede in der Zusammensetzung der Teilnehmergruppen und die Tatsache, dass die beeindruckend klingende Zahl von 46 % sich auf das relative Risiko anstatt auf das absolute Risiko bezieht. „Die Nutzer von Statinen hatten allgemein ein höheres Risiko für Herzerkrankungen und unterschieden sich auf vielfältige Weise, wahrscheinlich auch bezüglich mehrerer Faktoren, die nicht gemessen wurden“, erklärt der britische Pharmakoepidemiologe Prof. Stephen Evans. „Die Anpassungen, die aufgrund der Unterschiede zwischen Statin-Verwendern und Nicht-Verwendern durchgeführt wurden, sind zwangsläufig unvollständig, so dass der Effekt in der Realität wahrscheinlich geringer ist als die Autoren angeben.“ Tatsächlich hat es zum Thema Statine und Diabetes bereits zahlreiche Studien mit zum Teil widersprüchlichen Ergebnissen gegeben: Während eine Studie sogar eine Verringerung des Diabetes-Risikos um 30 % unter Pravastatin-Gabe feststellen konnte, ist dagegen für andere Statine eine Steigerung des Diabetes-Risikos um 10 bis 22 % gezeigt worden. Eine 2010 veröffentlichte Metaanalyse von 13 randomisierten, kontrollierten Studien kam zu dem Ergebnis, dass die Behandlung mit Statinen das Risiko für Typ-2-Diabetes lediglich um 9 % erhöht.
In ihrer Metaanalyse kommen die Autoren außerdem zu dem Schluss, dass das leicht erhöhte Diabetes-Risiko infolge einer Statintherapie sowohl absolut gesehen als auch im Vergleich zur verringerten Zahl an koronaren Ereignissen gering ist. Tatsächlich legen die Ergebnisse der Metaanalyse nahe, dass unter einer Statin-Behandlung für jeden zusätzlichen Fall von Diabetes fünf weitere kardiovaskuläre Ereignisse verhindert werden könnten. „Bei Medikamenten muss immer zwischen Vorteilen und Risiken abgewogen werden“, meint auch Professor Klaus Parhofer vom Universitätsklinikum München. Der Nutzen in Form einer Senkung der Herz-Kreislauf-Risikofaktoren überwiege demnach meist deutlich gegenüber einem leicht gestiegenen Diabetes-Risiko. Brisant könnte es allerdings werden, wenn die Anwendung von Statinen nicht nur auf Patienten mit einem moderaten bis hohen kardiovaskulären Risiko oder einer bestehenden kardiovaskulären Erkrankung beschränkt bleibt, sondern deutlich ausgeweitet wird: Das britische National Institute for Health and Care Excellence (NICE) empfiehlt beispielsweise in seiner 2014 veröffentlichten Guideline, auch gesunden Patienten mit einem geringen kardiovaskulären Risiko (10-Jahres-Risiko ≥ 10 %) grundsätzlich 20 mg Atorvastatin anzubieten. Ähnliches findet sich auch in den 2013 veröffentlichten Guidelines von ACC/AHA, wo gesunde Patienten im Alter von 40 bis 75 Jahren bereits mit einem 10-Jahres-Risiko ≥ 7,5 % zu der Gruppe gezählt werden, die von einer moderaten bis intensiven Statintherapie profitieren. Die Leitlinien der ESC zur kardiovaskulären Prävention, auf denen auch die Leitlinien der deutschen DGK basieren, legen ihren Empfehlungen den LDL-Cholesterinwert und das SCORE-System zur Berechnung des 10-Jahres-Risikos zugrunde. In der Gruppe mit niedrigem sowie moderatem Risiko und hohen LDL-Werten wird eine Statintherapie nur dann empfohlen, wenn trotz Lebensstilmodifikationen der LDL-Cholesterin-Spiegel unkontrolliert bleibt.
Einen neuen Ansatz verfolgt dagegen die Gruppe um Dr. Nathan Stitziel von der Washington University School of Medicine in St. Louis. In einer kürzlich in „The Lancet“ veröffentlichten Studie stellten Stitziel und sein Team ein Scoring-System vor, das auf dem genetischen Risiko des Patienten beruht. Mittels dieses Scores lassen sich Patienten in drei Gruppen mit niedrigem, mittlerem und hohem genetischen Risiko unterteilen. Es zeigte sich, dass die Patientengruppe mit dem höchsten genetischen Risiko am stärksten von einer Statintherapie profitierte, was sich auf die Number needed to treat (NNT) auswirkte: In der JUPITER-Studie zur Primärprävention mussten 66 Personen aus der Niedrig-Risikogruppe 10 Jahre lang behandelt werden, um ein koronares Ereignis zu verhindern, während es in der Gruppe mit dem höchsten Risikoscore nur 25 Personen waren. „In den gegenwärtigen klinischen Leitlinien basiert die Therapieindikation zum Teil auf dem 10-Jahres-Risiko für ein Ereignis“, erläutert Stitziel. „Es ist möglich, dass ein genetischer Score wie dieser dabei helfen kann, zukünftige Risikoabschätzungen zu verfeinern.“ Die Therapie auf diejenigen Patienten zu begrenzen, die den größten Nutzen aus der Therapie ziehen können, scheint ein guter Schritt zu sein, um einem pauschalen und sorglosen Umgang mit Statinen entgegenzuwirken.