TEIL 1 | „Du musst aber keine Angst haben!“ So beruhigt man vielleicht Kinder, wenn sie Getränke aus dem Keller holen müssen, aber keine Krebspatienten.
Zugegeben, Angst ist ein etwas anderes Weihnachtsthema, aber was ist in diesem Jahr schon normal? Auf der anderen Seite liegt dieses Thema aber gerade jetzt sehr nah. Es ist beinahe egal, zu welcher Gruppe man gehört: alt, jung, krank oder gesund, du kannst dich nicht entziehen.
Kaum schaltest du den Fernseher an, geht es los. Fast auf jedem Kanal, in den verschiedenen Medienformaten, zu jeder Stunde, in Diskussionsrunden und Promitalks, wird über Corona und die Folgen gesprochen. Und immer spielt die Angst eine Rolle.
„Nachrichtendetoxen“ ist das Gebot der Stunde, reine Notwehr. Aber auch im privaten Umfeld kommt keine Unterhaltung ohne das C-Wort aus. Zwischendurch habe ich innerlich schon mal runtergezählt, um zu schauen, wie lange es gedauert hat, bis die Wörter Corona, Inzidenz, systemrelevant, R-Wert und Lockdown fielen oder irgendjemand diesen wunderbaren Satzeinstieg: „In diesen Zeiten … “ wählte.
Wer dazu noch zur sogenannten Risikogruppe gehört oder in den Hot-Spots arbeiten muss – weil systemrelevant – kann einem beklemmenden Gefühl nicht entfliehen. Die Vorstellung, es könnte einen erwischen oder schlimmer noch, man könnte unwissentlich Überträger sein und jemanden anstecken, läuft als „Angst im Hintergrund“ immer mit. Die Unsicherheit wächst und damit auch die Angst.
Anhänglich wie ein Schwarm Mücken
Krebspatienten – ursprünglich wurde dieser Beitrag für die sogenannte „Cancer Community“ konzipiert und recherchiert – wissen das, denn mit dem Moment der Krebsdiagnose sind sie da: die Ängste. Sie kommen wie aus dem Nichts angeflogen, ohne Vorwarnung und nehmen uns die Luft zum Atmen.
Sie krabbeln den Rücken hoch, kriechen in unseren Kopf hinein und machen es sich dort bequem. Sind sie erst einmal da, wird man sie schwer wieder los. Ängste haben die unangenehme Eigenschaft, sich auch noch in der „hintersten Ecke“ einzunisten. Sie sind anhänglich wie ein Schwarm Mücken bei einer Wanderung.
Sie kommen manchmal zeitverzögert
Ängste blockieren alles, verstellen und vernebeln den Blick auf wichtige Entscheidungen und nagen an deiner positiven Grundstimmung, deiner Motivation, deiner Lebensfreude. Angstbelastet zu sein, vermindert die Lebensqualität.
Eine wichtige Anmerkung: Das gilt selbstverständlich auch für eure Angehörigen, eure Lieblingsmenschen, die euch auf eurem Weg begleiten. Auch die sind von Ängsten geschüttelt.
Manchmal – besonders gemein – lassen sich die Ängste aber auch ein wenig Zeit und kommen dann hoch, wenn du denkst, du hast es geschafft, du hast die Therapie gut und vielleicht sogar (was ich dir von Herzen wünsche) erfolgreich hinter dich gebracht, alles scheint auf einem guten Weg zu sein. Und zack, da sind sie, die dunklen Gedanken. Als hätte jemand einen Kübel davon in deinen Kopf geschüttet. Du wirst von ihnen geradezu überrollt und hast Schlafprobleme, bist unruhig, niedergeschlagen und depressiv.
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Hintergrund des Blog-Beitrages: Den letzten Impuls zu diesem Beitrag gab mir das sehr eindeutige Ergebnis einer kleinen Umfrage unter Krebspatienten (67 Teilnehmer, Mehrfachantworten waren möglich) mit der Überschrift: „Was sind deine aktuellen Herausforderungen?“
Dabei kam heraus, dass „Der Umgang mit meinen Ängsten“ (mit insgesamt 46 Stimmen) klar auf dem ersten Platz landete, auf Platz zwei: „Die Verarbeitung meiner Diagnose“ (mit 21 Stimmen) und den dritten Platz teilten sich „Der Umgang mit den Nachwirkungen der Chemotherapie“ und „Die formellen Herausforderungen (Krankenkasse, Rentenversicherung, Versicherung etc.)“ (mit jeweils 11 Stimmen).
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Kann man etwas gegen seine Ängste tun?
Bevor wir darauf kommen und ich dir zeige, was du tun kannst, möchte ich der Angst einmal auf den Grund gehen. Warum gibt es eigentlich Angst und Ängste?
Wenn es dir nicht gut geht und du unter Ängsten leidest, wird es dich nicht trösten, dass Angst eine ganz wichtige Funktion in unserem Leben hat. „Gesunde Angst“ soll die Sinne dafür schärfen, sich nicht unvorsichtig oder übermütig einer gefährlichen Situation auszusetzen. Kein Mensch käme auf die Idee, sich in einen Tigerkäfig zu begeben. Warum? Angst!
Und einen dunklen Waldweg geht man auch nicht – zumindest als Frau – allein. Die Angst schützt uns hier. Aber: Weder darf Angst Gefahren und Risiken ausblenden noch Handeln blockieren.
Und schon sind wir drin im Thema „Krebs und Angst“ oder „Krankheit und Angst“, denn das kennt jede und jeder Erkrankte: Die Angst blockiert uns in den unterschiedlichsten Phasen der Krankheit.
Wie äußern sich Ängste?
Charakteristisch für die Angst ist, dass sie sich auf eine unbestimmte Situation bezieht.
Im medizinischen Sinn sind Gefühle psychophysiologische Prozesse, die auf der Basis von Körperwahrnehmungen entstehen, die im Zentralen Nervensystem (ZNS) interpretiert werden und in das Bewusstsein einfließen.
Symptome können unter anderem sein: Unruhe, Herzrasen, gesteigerte Atemsequenz, Schwitzen, Angespanntheit, Muskelverspannungen, Übelkeit, Zittern, aber auch Denk- und Wahrnehmungsstörungen, erhöhte Blasen- und Darmtätigkeit und Unsicherheit sowie Panik.
Wenn die Symptome der Angst ohne Grund oder durch einen inadäquaten Reiz auftreten, spricht man von einer Angststörung, die unbedingt behandelt werden sollte. Hab hier keine Scheu, das anzusprechen, onkologische Ärzte wissen sofort, um was es geht und werden dir helfen.
Auch im Erwachsenenalter sind wir noch geprägt von Sentenzen wie „Angst muss man nicht haben“ („Jungs weinen nicht“ gehört übrigens auch dazu), lass dich davon nicht abhalten, Rat zu suchen. Du musst es nicht aushalten!
Eng „verwandt“ mit Ängsten ist die Panik
„Keine Panik, bitte“ ist einer der dümmsten Sätze der Menschheitsgeschichte, denn einer Panik immanent ist ja, dass man sie nicht beeinflussen kann. Panikattacken sind Ausdruck der Angst und sind: „plötzliche und zeitlich begrenzt auftretende Alarmreaktion des Körpers mit Angst und unbewusster, unwillkürlicher Symptomatik, die jedoch ohne objektiv fassbaren Anlass auftreten“, so wird es im DocCheck Flexikon definiert.
Symptome können unter anderem sein: Atemnot, Gefühl einer aufkommenden Ohnmacht, Hitzewallungen/Kälteschauer, Angst zu sterben, Gefühl eines Kontrollverlusts, Entfremdungserlebnisse. Man hat das Gefühl – so beschreiben es Patienten – während einer Panikattacke die eigene Umwelt „wie durch Milchglas“ wahrzunehmen.
Weiter aus dem Flexikon: „Im Rahmen einer Panikstörung vermehrt auftretende Panikattacken können zum sozialen Rückzug mit Tendenz zum Bleiben in der Wohnung als sicherer Umgebung. Eine ständige Angst, es könne etwas Schlimmes passieren, wird zum Leitmotiv des Handelns.“
Hier ist es dringend angeraten, professionelle Hilfe zu suchen, zum Beispiel im Rahmen einer Verhaltenstherapie.
So viel zum medizinisch-fachlichen Hintergrund. Er wird dich nicht interessieren, wenn dich die „kalte Hand“ wieder einmal gepackt hat, mir selbst hat das Wissen auch erst mit der Zeit geholfen, vor allem das Wissen, nicht allein mit diesem verdammten Phänomen zu sein.
Du bist nicht allein
Die vielleicht beruhigende Nachricht daran ist zunächst, dass du nicht allein bist und fast alle Krebspatienten und Menschen in traumaähnlichen Situationen das Gleiche durchmachen. Bei mir traten die Ängste beispielsweise nach der Therapie verstärkt auf. Auch das, erklärte mir meine Psychologin, ist völlig normal, denn nach dem du dich körperlich sozusagen halbwegs repariert hast, kommt die Seele dran und wird zur nächsten großen Baustelle. Denn die „Reparaturprozesse“ des Körpers ziehen so viel Energie, dass für die Ängste und die Seele gar kein Platz ist.
Verstehe, dachte ich. Das kann ich nachvollziehen. Ich hatte alles daran gesetzt, körperlich wieder gesund zu werden, jeden Gedanken und jede Aktivität hatte ich darauf ausgerichtet. Nun waren meine Gedanken sozusagen Freiwild, hatten kein Ziel und machten mir Angst.
Was man dagegen tun kann, erfährst du im zweiten Teil dieses Angst-Beitrages. Dort habe ich 7 Schritte gegen die Angst formuliert, die du gerne für dich ausprobieren und anwenden kannst.
Dieser Beitrag ist zuerst auf dem Blog Das Zellenkarussel erschienen.
Bildquelle: Farzad Mohsenvand, unsplash