Zahlreiche Einsatzgebiete, neue Forschungsprojekte, steigende Umsätze: Biopharmazeutika gewinnen stetig an Bedeutung. Was Hersteller freut, ist Krankenkassen ein Dorn im Auge. Über Biosimilars versuchen sie, die Kostenbremse anzuziehen.
Rückblick auf ein erfolgreiches Jahr: In 2014 wurden 14 neue Biopharmazeutika zugelassen – verglichen mit acht Präparaten im Zehn-Jahres-Schnitt. Das berichten Experten von Boston Consulting im Branchenreport „Medizinische Biotechnologie in Deutschland 2015“. Auftraggeber ist der Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa).
Einige Details aus der Studie: Innerhalb von zwölf Monaten hat sich der reale Umsatz mit Biopharmazeutika um sieben Prozent auf nunmehr 7,5 Milliarden Euro erhöht. Das entspricht einem Anteil von 22 Prozent am gesamten Pharmamarkt. Als umsatzstärkste Bereiche gelten die Immunologie (plus 24 Prozent), die Onkologie (plus 18 Prozent), der Stoffwechsel (plus 12 Prozent) und das Nervensystem (plus 10 Prozent). Mit 11 Neuzulassungen und 3 Biosimilars bewegen sich Biopharmazeutika weiter auf einem hohen Niveau nach oben – ohne absehbares Ende: Momentan befinden sich 127 Pharmaka aus diesem Bereich in Phase III, 250 Kandidaten in Phase II und weitere 227 Moleküle in Phase I. Nach Wirkstoffart differenziert, sind 62 monoklonale Antikörper, 22 Impfstoffe, 39 anderweitige rekombinante Proteine und 4 Gentherapeutika quasi in der Zielgeraden. Gute Nachrichten und weiter wie bisher? Wohl kaum.
Ein Wermutstropfen: Unser Gesundheitssystem muss sich seit Jahren komplexen Anforderungen stellen. Dazu gehören der Kostendruck, hohe regulatorische Hürden, mehr chronisch kranke Patienten, aber auch der steigende Einfluss gut informierter Patienten auf therapeutische Entscheidungen. Als digitale Treiber gelten mobile Endgeräte in Kombination mit nahezu flächendeckend verfügbaren Online-Ressourcen, beispielsweise Clouds oder sozialen Netzwerken. Wer sich heute mit der Entwicklung und Vermarktung von Arzneimitteln zufrieden gibt, hat morgen schon verloren. Boston Consulting zufolge sollten biopharmazeutische Hersteller ihr Geschäftsmodell dringend überdenken. Dazu gehören erweiterte Angebote für Laien, aber auch für Health Professionals, bis hin zu umfassenden Gesundheitslösungen. Ein Trend: Arzneimittel mit integrierten Chips erhöhen die Therapietreue und helfen bei der Kontrolle von Nebenwirkungen. Zusammen mit Apps beziehungsweise cloudbasierten Diensten entstehen therapeutische Konzepte weit über den heutigen Rahmen hinaus – weg vom reinen Kostenaspekt, hin zu einer stärkeren Nutzenbetrachtung.
Um dieses Ziel zu erreichen und um Innovationszyklen weiter anzutreiben, sind alle Akteure gefragt. Zu Beginn müssen Hersteller in Forschung und Entwicklung investieren – ein wunder Punkt. Durch bessere steuerliche Rahmenbedingungen könnte der Standort Deutschland wieder attraktiver werden, speziell für kleine und mittelständische Unternehmen. Gelangen Innovationen auf den Markt, sei „das reine Kostendenken zu überwinden“, so Boston Consulting weiter. Systeme sollten „innovationsoffen und zukunftsorientiert“ ausgestaltet werden – auch bei Honoraren. Das verhasste AMNOG müsse mit „angemessenen Bewertungskriterien und -verfahren“ arbeiten, um Patienten in den Mittelpunkt zu stellen.
Kassen hören diese Argumentation nicht allzu gerne. Einige Zahlen aus dem Arzneiverordnungs-Report: Lag der Umsatz gentechnologisch hergestellter Arzneimittel in 2003 noch bei 2,7 Milliarden Euro, waren es zehn Jahre später 6,0 Milliarden Euro. Gut, dass Hochpreiser wie Rituximab, Infliximab, Trastuzumab oder Cetuximab ihren Patentschutz bereits verloren haben. Jetzt schlägt die Stunde von Biosimilars. Entsprechende Moleküle sind ähnlich zum Original, aber nicht identisch: eine veritable Möglichkeit, um Kosten zu sparen. Die Entwicklungszeit liegt bei acht Jahren und verschlingt bis zu 145 Millionen Euro. Zum Vergleich: Generika auf Basis kleiner Moleküle gelangen nach zwei Jahren auf den Markt – bei Ausgaben von fünf Millionen Euro.
An der Austauschbarkeit schieden sich die Geister lange Zeit. Jetzt liegt eine Aussage des zuständigen Paul-Ehrlich-Instituts vor. Darin heißt es: „Nach derzeitigem Diskussionsstand im CHMP und seinen Arbeitsgruppen können Biosimilars grundsätzlich nach erwiesener Äquivalenz und erfolgter Zulassung so eingesetzt werden wie Originatorprodukte auch. Dies beinhaltet implizit daher sowohl Patienten, die vorher noch keine Therapie mit Biologika erhalten, als auch solche Patienten, die vorher das Originatormolekül bekommen haben.“ Kein Wunder, dass Versicherungen Nägeln mit Köpfen machen: Wenige Wochen nach Markteinführung des ersten Biosimilars für Infliximab haben gleich 42 Krankenkassen Vereinbarungen mit dem neuen Anbieter geschlossen. Da die Nachahmer im Schnitt rund 15 bis 20 Prozent kostengünstiger sind, ergeben sich millionenschwere Einsparpotenziale. Originalhersteller versuchen ihrerseits, über Rabattverträge virtuelle Schutzzäune um ihr Präparat zu ziehen. Einmal mehr ist der Markt in Bewegung.