Ein Schädel-Hirn-Trauma muss behandelt werden. Doch beim Therapieerfolg besteht noch viel Nachholbedarf. Trotz jahrelanger Forschung konnte kein Wirkstoff gefunden werden, um Prognosen zu verbessern. Auch die Standardtests würden Defizite nur unzureichend abbilden.
Mehr als 280.000 Menschen erleiden pro Jahr in Deutschland ein SHT, darunter 73.000 Kinder und Jugendliche. Im Rahmen der präklinischen Versorgung müssen viele Patienten wegen Bewusstlosigkeit intubiert und beatmet werden. Dann geht es zur stationären Therapie. Ganz entscheidend: Laut Information der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) sollte die anzusteuernde Klinik bestimmte Voraussetzungen erfüllen. DIVI-Experten nennen einen Computer- oder Kernspintomographen, eine neurochirurgische Operationseinheit sowie eine kinderintensivmedizinische Betreuung bei kleinen Patienten. Nur mit bildgebenden Verfahren gelingt es Ärzten rasch, eine Blutung im Gehirn nachzuweisen. Ansonsten kommt es zum Druckanstieg und zur Drosselung der Hirndurchblutung. Mit Hilfe einer rechtzeitig durchgeführten dekompressiven Kraniektomie gelingt es Neurochirurgen, den Druck von der Schädelhöhle zu nehmen, sollten konservative Maßnahmen nicht ausreichen.
Soweit zur chirurgischen Option. Aus pharmakotherapeutischer Sicht sieht die Sache recht mager aus. Trotz jahrelanger Forschung ist es weltweit noch nicht gelungen, einen Wirkstoff zu finden, um Prognosen bei SHT deutlich zu verbessern. Aktuellstes Beispiel ist Progesteron. Nach ersten Erfolgen im Tierexperiment testeten US-Neurologen das Steroidhormon bei Patienten, die ein mittelschweres SHT erlitten hatten. Der funktionelle Parameter verbesserte sich, und auch die Mortalität ging zurück. Kollegen aus China bestätigten die Effekte kurz darauf. Grund genug für das National Institute of Neurological Disorders and Stroke, eine unabhängige Phase-III-Studie zu starten. Bei ProTECT III wurden 882 Patienten mit 4 bis 12 Punkten auf dem Glasgow Coma Score eingeschlossen, ursprünglich sollten 1.140 Menschen teilnehmen. Sie erhielten bald nach dem Trauma Progesteron oder Placebo als Infusion. Unter Verum kam es bei 51 Prozent zu einer guten klinischen Entwicklung, unter Placebo waren es 56 Prozent. Sechs Monate nach Therapiebeginn lag die Mortalität bei 18,8 (Progesteron) beziehungsweise 15,7 Prozent (Placebo). Grund genug für David Wright, Atlanta, weitere Arbeiten abzubrechen. Die von BHR Pharma unterstützte SyNAPSe-Studie mit 1.195 Patienten ließ ebenfalls keinen signifikanten Mehrwert erkennen. Weitere Labors suchen nach einer antithrombotischen Therapie bei schwerem SHT – ohne Blutungsrisiko. Zumindest im Tierexperiment ist es gelungen, den Gerinnungsfaktor XII auszuschalten. Bei Mäusen blieben zerebrale Läsionen kleiner, und zerebrale Thrombosen traten seltener auf. Ob Faktor XII-Inhibitoren auch bei Menschen geeignet sind, lässt sich derzeit noch nicht sagen.
Von der Forschung zur Praxis: Selbst nach Klinik und Reha sollten Patienten in größeren Abständen untersucht werden, raten Neurologen aus England und Schweden. Sie untersuchten das weitere Schicksal von 218.300 Personen aus einer SHT-Kohorte. Verglichen mit Personen ohne Kopfverletzungen starben Personen der SHT-Gruppe signifikant häufiger durch Suizide, bei Verkehrsunfällen, bei Stürzen oder als Opfer bei Gewaltverbrechen. Als kleinsten gemeinsamen Nenner sehen die Autoren unbehandelte psychiatrische Erkrankungen oder Schwächen bei der Einschätzung kritischer Situationen.
Ein möglicher Knackpunkt: Standardtests bilden Defizite nur unzureichend ab, schreibt Asha K. Vas aus Dallas [Paywall]. Die Wissenschaftlerin schlägt deshalb vor, mit Gist-Reasoning-Tests zu arbeiten. Dabei ist die Herausforderung, Ideen aus einem komplexen Zusammenhang zu extrahieren. Vas sieht hier ein „Fenster zur Alltagsfunktionalität“. Zusammen mit Kollegen hat sie 30 Patienten zwischen 25 und 55 Jahren in ihre Studie aufgenommen. Alle Teilnehmer hatten vor zwölf oder mehr Monaten ein mittel- bis schwergradiges SHT erlitten. Weitere 40 Probanden dienten als Kontrolle. Zum Ergebnis: Beide Gruppen zeigten hinsichtlich ihres Leseverständnisses, ihres IQs oder ihrer Verarbeitungsgeschwindigkeit von Informationen vergleichbare Leistungen. Allerdings zeigten in der SHT-Gruppe knapp 70 Prozent aller Teilnehmer schlechtere Werte. Vas zufolge korreliere das Ergebnis mit Schwierigkeiten im Job oder im Privatleben. Nicht alle Defizite würden von Standard-Tests abgebildet. Manche Folgen eines Unfalls zeigen sich erst beim Versuch, wieder beruflich Fuß zu fassen. Betroffene arbeiten langsamer, ermüden schneller oder haben Schwierigkeiten, sich bei komplexen Aufgaben zu konzentrieren. „Besonders in kleinen und mittleren Firmen müssen wir das betriebliche Wiedereingliederungsmanagement (BEM) verbessern“, fordert der Vorsitzende des Spitzenverbandes ZNS, Dr. Frank Bergmann. „Mit individueller, therapeutischer Hilfe wären viele von ihnen aber leistungsfähig und könnten am beruflichen und sozialen Leben teilhaben.“ Hier besteht noch viel Nachholbedarf.