Bei permanentem Vorhofflimmern läuft es oft auf Betablocker hinaus. Die RATE-AF Studie bringt jetzt das gute alte und oft totgesagte Digitalis wieder ins Spiel.
Auch in Zeiten der Katheterablation ist die medikamentöse Frequenzkontrolle ein wichtiger Pfeiler der Versorgung bei Vorhofflimmern. Zum einen lässt sich permanentes Vorhofflimmern oft nicht einfach „wegabladieren“. Zum anderen zögern viele Ärzte nicht zuletzt bei älteren Patienten damit, diese Intervention zu initiieren, weil sie ihnen zu unberechenbar erscheint. In einer solchen Situation bleibt dann nicht mehr viel, wenn das Vorhofflimmern Symptome macht oder das Herz so tachykard ist, dass man es – mit Antikoagulation hinterlegt – nicht einfach seinem vorhofflimmernden Schicksal überlassen kann.
Das Medikament der Wahl ist in solchen Situationen in der Regel der Betablocker. Bei zusätzlicher Herzinsuffizienz mit reduzierter Ejektionsfraktion ist er ohnehin gesetzt. Das macht die Entscheidung leichter. Aber viele Vorhofflimmer-Patienten haben keine reduzierte EF. Zumindest bei diesen Patienten wäre die Betablockade daher nicht zwingend. Betablocker werden auch nicht immer gut vertragen, insbesondere wenn sie aufdosiert werden. Und ein Aufdosieren ist bei vielen Patienten mit Vorhofflimmern nötig, um den gewünschten, bradykardisierenden Effekt zu erreichen.
Was sind die Alternativen? Um die Jahrtausendwende herum wurde gern Amiodaron gegeben, streng genommen ein rhythmus- und nicht so sehr frequenzkontrollierendes Medikament. Wegen seiner Nebenwirkungen und unklarer Wirksamkeit wurde es in der Indikation Vorhofflimmern weitgehend verlassen. Was es noch gibt, sind Digitalis-Glykoside, und die gibt es schon sehr lange. Das Gift des Roten Fingerhuts wurde schon 1785 das erste Mal (in England) klinisch eingesetzt. Es ist damit eines der ältesten heute noch regulär eingesetzten Herz-Pharmazeutika überhaupt.
Früher gerne eingesetzt, sind Digitalis-Präparate beim Vorhofflimmern zuletzt ein bisschen aus der Mode gekommen. Einer der Gründe für eine gewisse Zurückhaltung gegenüber Digitalis ist dessen Verträglichkeit insbesondere bei älteren Menschen. Schwäche, Unwohlsein und Schwindel sind häufiger, das Medikament reichert sich bei alten Menschen schneller an. Der zweite Grund für Digitalis-Skepsis war die 2014 publizierte TREAT-AF-Studie. In dieser Studie war eine Digoxin-Behandlung bei Patienten mit neu diagnostiziertem, nicht-valvulärem Vorhofflimmern mit einer um 21 Prozent erhöhten Mortalität assoziiert.
TREAT-AF war eine Studie mit sorgfältigem Propensity-Score-Matching, aber es war immer noch eine Beobachtungsstudie. Umso interessanter, dass es mit der RATE-AF-Studie jetzt eine randomisierte Studie gibt, die einen Betablocker – Bisoprolol bis maximal 15 mg/d, im Mittel 3,2 mg/d – mit einem Digitalis-Präparat – Digoxin bis maximal 250 µg/d, im Mittel 161 µg/d – direkt verglichen hat. Die Studie war mit 160 Teilnehmern nicht groß, aber sorgfältig gemacht und sehr versorgungsnah. Die Teilnehmer, drei Viertel Frauen, waren im Mittel 76 Jahre alt, die Herzfrequenz lag im Mittel bei 100 Schlägen pro Minute und Komorbiditäten waren die Regel. Das sind die Patienten, die im Alltag in die Praxen kommen.
Primärer Endpunkt, auch das praxisnah, war die mit dem SF-36 PCS Fragebogen erhobene Lebensqualität aus Patientensicht nach sechs Monaten. Der SF-36 PCS Score hat eine Skala von 0 bis 100, als klinisch relevante Veränderung eingeordnet wurden Veränderungen von mehr als einer halben Standardabweichung. Zusätzlich haben die Studienautoren um Prof. Dipak Kotecha vom Institute of Cardiovascular Sciences der Universität Birmingham über zwanzig sekundäre Endpunkte definiert, und natürlich ging es auch und wesentlich um die Verträglichkeit der Therapien.
Das Ergebnis der RATE-AF-Studie in aller Kürze lautet, dass es keinen Unterschied zwischen Betablocker und Digoxin gab. Nach 6 Monaten nahmen 96 % der in die Digoxin-Gruppe randomisierten Patienten das Medikament noch ein. Bei Bisoprolol waren es 89 Prozent. 6,8 Prozent der Patienten in der Digoxin-Gruppe gegenüber 1,4 % in der Bisoprolol-Gruppe benötigten im Verlauf zusätzlich ein weiteres frequenzstabilisierendes Medikament. Beim primären Endpunkt gab es in beiden Gruppen einen leichten Anstieg der Lebensqualität, der sich zwischen den Gruppen aber nicht unterschied.
Auch beim Blick in die sekundären Endpunkte zeigte sich an vielen Stellen kein Unterschied zwischen Bisoprolol und Digoxin. Dort, wo es Unterschiede gibt, fielen diese aber durchweg zugunsten des Digitalis-Präparats aus. So betrug der Anteil der Patienten, die sich auf der auf Symptome und Funktion fokussierten mEHRA Skala für Vorhofflimmern um mindestens zwei Stufen verbesserten, bei Digoxin-Therapie nach 6 Monaten 53 Prozent, gegenüber nur 9 Prozent bei Bisoprolol- Therapie. Der Unterschied blieb im 12-Monats-Follow-up bestehen. Nur 16 % der Patienten unter Digoxin-Therapie blieben unter Behandlung in mEHRA Klasse IIb oder schlechter, gegenüber 44 % bei Bisoprolol-Therapie.
Auch der 6-Minuten-Gehtest nach 6 und 12 Monaten verbesserte sich nur in der Digoxin-Gruppe. Auf Labor-Seite ging dies einher mit einer Verbesserung des NTproBNP bei Digoxin-Therapie um rund ein Zehntel, während es unter Bisoprolol zu einem Anstieg des NTproBNP im Mittel um rund ein Fünftel kam. Numerische Vorteile gab es für Digoxin auch bei kardiovaskulären Ereignissen und Mortalität, aber dafür war diese Studie statistisch nicht gepowert. Insgesamt sieht Kotecha die RATE-AF Studie als ein starkes Argument, Digitalis-Präparate bei der Behandlung von insbesondere älteren Patienten mit Vorhofflimmern aufzuwerten. Bei der ESC-Tagung im Sommer 2020 sagte er, dass sie wegen ihrer im Trend besseren Verträglichkeit und symptomatischen Wirksamkeit seiner Auffassung als zumindest gleichberechtigtes Mittel der ersten Wahl angesehen werden könnten.
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