Vorerst will das Vereinigte Königreich viele Menschen nur mit der ersten Dosis der zugelassenen Vakzine impfen. Angesichts der Knappheit soll die zweite Dosis aufgeschoben werden. Ist das eine gute Idee?
Noch gibt es nicht genügend Impfstoffdosen für die gesamte Bevölkerung. Doch es gibt Ideen, wie man dennoch möglichst schnell möglichst viele Menschen gegen Corona impfen kann. Im Vereinigten Königreich sollen nun vorerst viele Menschen aus Risikogruppen nur die erste Impfdosis erhalten. Die zweite Dosis könne dann innerhalb von zwölf Wochen anstatt, wie in den Zulassungen niedergelegt und in den klinischen Studien getestet, nach zwei bis vier Wochen folgen. So empfiehlt es der dortige unabhängige Ausschuss für Impfstoffe (joint commission on vaccination and immunization – JCVI), quasi die britische STIKO.
Während man in den USA davon absieht, den Zeitraum zwischen den Impfdosen zu verlängern, hat sich das Bundesgesundheitsministerium offenbar von den britischen Überlegungen inspirieren lassen. Mit der Begründung, dass eine Verlängerung der Zeitspanne zwischen den beiden Einzelimpfungen die Verfügbarkeit des Impfstoffs kurzfristig erhöhen könnte, will Jens Spahn laut Medienberichten die Ständige Impfkommission (STIKO) schon um eine Prüfung des Vorgehens gebeten haben.
Hierzulande scheinen viele dem britischen Vorgehen recht aufgeschlossen gegenüber zu stehen. Angesichts der derzeitigen Impfstoffknappheit und der sehr hohen Infektions- und Hospitalisierungszahlen, hält etwa Prof. Leif-Erik Sander, Leiter der Forschungsgruppe Infektionsimmunologie und Impfstoffforschung der Charité Berlin, diese Strategie für sinnvoll: „Die Inkaufnahme eines eventuell verlängerten Intervalls bis zur zweiten Impfung ist zumindest für die mRNA-Impfstoffe – von Biontech/Pfizer und Moderna – aus meiner Sicht unbedenklich, da die Impfungen in den Studien schon etwa zehn Tage nach der ersten Injektion einen sehr hohen Schutz gegen COVID-19 zeigten“, meint Prof. Sander.
Die Boosterimpfung könne seiner Meinung nach problemlos etwas verzögert gegeben werden, ohne dass wesentliche Abstriche bei der Wirksamkeit zu erwarten sind. Prof. Peter Kremsner, Vorsitzender der STIKO, fügt hinzu: „Wenn der Effekt der ersten Impfung mit der Zeit nicht schnell abnimmt, dann könnte die zweite Impfung auch noch später stattfinden, zum Beispiel erst nach sechs Monaten.“ Doch das wisse man noch nicht.
Klar ist: Die klinischen Studien haben das verlängerte Dosisintervall nicht überprüft, oder wenn dann nur in kleinen Subgruppen. Der Wirksamkeitsbeleg gilt für einen Impfstoff, der in zwei Dosen innerhalb eines kurzen Zeitfensters verabreicht wird. Die europäische Zulassungsbehörde EMA ist deshalb skeptisch gegenüber der britischen Strategie.
Ein Sprecher erklärte, dass eine Obergrenze für den zeitlichen Abstand zwischen den Dosen zwar nicht explizit definiert sei, der Nachweis der Wirksamkeit basiere aber auf einer Studie, bei der die Verabreichung der Dosen im Abstand von 19 bis 42 Tagen erfolgte. Ein Abstand von sechs Monaten stehe dagegen nicht im Einklang mit den Bestimmungen und wäre demnach als sogenannte Off-Label-Anwendung zu werten. Eine solche Änderung würde auch eine Änderung der Zulassung und mehr klinische Daten erfordern.
Andere Wissenschaftler sind deutlich schärfer in ihrer Kritik und machen auf mögliche Resistenzbildungen von SARS-CoV-2 aufmerksam. Der Virologe Paul Bieniasz von der Rockefeller University, New York blickt dahingehend mit Sorge auf die Impfstrategie der Briten. Gegenüber STAT erklärt er: „Wenn man einen resistenen Virusstamm züchten wollte, dann würde man eine Kohorte aus teilweise immunisierten Menschen einem hochprävalenten Virus aussetzen.“
Auch Prof. Florian Krammer, Impfstoffforscher an der Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York warnt vor möglichen Resistenzen. Wenn die Antikörperbildung nach der ersten Impfung zu schwach ist, können sich einige Viren dem Angriff des Immunsystems entziehen (Escape-Mutation). Nur eine zweite Impfung könne auch eine langfristige und starke Immunität gewährleisten, erklärt Krammer. Er hält es deswegen für sinnvoll, die zweite Dosis so schnell wie möglich zu verabreichen.
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