Bei der Impfung gegen COVID-19 hakt es gleich an mehreren Stellen. Das Aufziehen der Spritze ist nur eine von vielen Fehlerquellen, wie ein Pharmazeut aus dem Impfzentrum berichtet. Zeit für ein frühes Fazit.
Ich habe mit zwei Apothekern zu ihren Erfahrungen mit den ersten Impfungen gegen COVID-19 gesprochen. Ute Simon arbeitet in Rheinand-Pfalz. Sie hat sich für die Arbeit in einem der ersten COVID-Impfteams in Hillesheim im Vulkaneifelkreis aufstellen lassen. Dort wurde bereits Ende Dezember mit den Impfungen begonnen, sie waren also eins der ersten Teams am Start. Zu Beginn gab es nur wenige Informationen und Einführungen, denn die dazu vorgesehenen Unterlagen von Biontech lagen noch im Verteiler und wurden erst eine Woche später ausgeliefert. Der erste Arbeitstag dort lief also nicht ganz so geregelt ab, wie Simon sich erhofft hatte.
Der zweite Apotheker, unter dem Profil herr.apotheker auf Instagram zu finden, kümmert sich in Bayern darum, dass der Impfstoff so sicher und stabil wie möglich hergestellt wird, um möglichst vielen Menschen helfen zu können. Er sagt, dass die Arbeit in den Impfzentren gut läuft, es aber noch Optionen gibt, sie zu verbessern. Ihm ist vor allem wichtig, die Bedeutung des pharmazeutischen Personals auch und gerade bei dieser Impfung herauszuheben. Er sieht die Herstellung von Arzneimitteln als Uraufgabe des pharmazeutischen Personals, da die Anfertigung von Individualrezepturen in der Apotheke zum Tagesgeschäft gehört.
Ute Simon berichtet von ihrem ersten Wochenende bei der Rekonstitution von folgenden Problemen:
Der Impfstoff von Biontech kam via Trockeneis-Transport vom zentralen Verteiler Mainz nach Koblenz in das dortige Impfzentrum. Dort wurde er bereits nicht mehr bei –70 °C gelagert, sondern war schon im Kühlschrank bei 2–8 °C aufgetaut. Eigentlich hätte der Impfstoff Sonntagmorgen direkt vom Zentrum in Koblenz zur Weiterverarbeitung durch die zwei anwesenden Apotheker zu den lokalen Impfstationen gebracht werden müssen. Doch bedingt durch Schnee und glatte Straßen wäre das Zeitmanagement durcheinandergekommen, also holte Simon ihn am Samstagabend selbst ab, damit der Impfbeginn am nächsten Tag um 10 Uhr wie geplant stattfinden konnte.
Der Transport muss mit sicherer Kühlkette erfolgen. Das Impfzentrum bekam zwar Transportboxen ausgeliefert, jedoch ohne weitere Anleitung, daher wusste dort vom Empfang auch niemand, dass die Akkus darin vorgekühlt werden müssen. Da das Einhalten der Kühlkette beim Botendienst in der Apotheke aber zum Tagesgeschäft gehört, hat Simon das Akkuproblem spontan mit ihrer eigenen Gefriertruhe gelöst.
Als essenziell empfindet sie das Bereitstellen von guten Materialien. „Wenn ein Bundesland aus Kostengründen oder anderen praktischen Abwägungen ungeeignete Spritzen und Kanülen bereitstellt, dann geht das zu Lasten der Qualität. In manchen Fällen wird so eine zusätzliche Fehlerquelle geschaffen, wie man letzte Woche gesehen hat. Wenn nur eine 1-ml-Injektionsspritze verwendet würde, wie übrigens sowohl von Biontech als auch in den Schulungsveranstaltungen der Apothekerkammer, dann wäre eine 5-fache Überdosierung spätestens dann aufgefallen, wenn diese Menge erst gar nicht in die Spritze gepasst hätte.“
Zudem waren für die Impfung von 400 Patienten in drei Pflegeheimen nur zwei Apotheker und sieben impfende Ärzte eingeplant. Simon schaffte es, für Samstagabend noch zwei weitere Kollegen davon zu überzeugen, den freien Sonntag gegen Stress im Impfzentrum zu tauschen. Sie ist überzeugt: „Das schaffen nur die Apotheken vor Ort.“ Nach der ersten Woche haben sich zudem einige fachliche Änderungen ergeben, die – wie die anfänglichen Probleme auch – bei einer besseren Einarbeitung seitens der Bundesländer gar nicht erst nötig gewesen wären. Einiges musste zunächst intuitiv umgesetzt werden. Pharmazeutische Kompetenz war dafür durchaus nötig.
„Das bisschen Zusammenmischen, das ist doch nicht schwer. Das bekomme ich selbst hin.“ Diesen Satz hat herr.apotheker schon häufiger von Nichtpharmazeuten gehört. Warum es doch nicht so einfach ist wie viele meinen, kann er erklären:
„Wir impfen einen sehr sensiblen neuartigen Impfstoff mit mRNA. Die mRNA kann natürlich nur wirken, wenn sie intakt im Geimpften ankommt. DNA, die deutlich stabiler ist, lässt sich durch mehrmaliges Auf- und Abbewegen in einer Spritze mit einer kleinlumigen Nadel bereits zerstören, und RNA ist sogar noch deutlich labiler. Der Impfstoff ist so sensibel, dass er vor Ort rekonstituiert werden soll. Allein das Schütteln des verdünnten Impfstoffs bei der Fahrt im Auto kann bereits ausreichen, um Schäden an der mRNA zu hinterlassen. Dies bedeutet, dass die chemische und physikalische Stabilität eine Schwierigkeit in der Handhabung darstellt.“
Zudem sieht er ein mögliches mikrobielles Problem, sollte die Einarbeitung des herstellenden Personals nicht ausreichend sein:
„Der Impfstoff enthält keine Konservierungsstoffe. Das ist auch gut so, es soll nicht mehr in die Formulierung als nötig. Allerdings erfordert dies eine aseptische Herstellung. In der Industrie wird der Impfstoff in aseptischen Abfüllanlagen abgefüllt. Hier handelt es sich um Räume höchster Reinheit (Reinraumklasse A). Material und Personal kommt nur durch besondere Schleusen in den Raum, die Reinheit der Luft wird durch Hochleistungsfilter gewährleistet. Sterile Reinraumkleidung verhindert die Partikelabgabe des Personals. Zudem wird die Luftkeimzahl und Fußbodenkeimzahl überprüft. Um hier die gleiche hochwertige Qualität in die Impfspritze zu bekommen, sind keimarme Arbeitsplatzbedingungen, Schutzkleidung des Personals und das richtige Herstellungsregime sehr wichtig.“
Nachdem er einige Impfdosen rekonstituiert hat, sind ihm 13 Stolpersteine aufgefallen, die bei der Rekonstitution und anschließenden Verimpfung auftreten können:
Das Bundesland Bayern verzichtet in den Impfzentren auf pharmazeutisches Personal. Es hält den Einsatz von Pharmazeuten für unnötig. Doch herr.apotheker ist überzeugt:
„Als Pharmazeut besitzt man eine spezielle Sichtweise. Das Studium trimmt durch die vielen Laborzeiten auf eine saubere Arbeitsweise und die professionelle Umsetzung von Herstellungsanweisungen. So sehe ich eben nicht nur das Zusammenmischen des Impfstoffes als einfachen Vorgang, sondern auch die Hintergründe hinter der Herstellung. Und ich studiere eine Fachinformation und die richtige Herstellung erst einmal gründlich, bevor ich loslege.“
Er führt aus: „Es gab eine Impfpanne in Stralsund bei der versehentlich den Impfpersonen die fünffache Dosis verabreicht wurde. Die herstellende Person hat das Impfstoff-Mehrdosenbehältnis verdünnt und den gesamten Inhalt in einer einzigen Spritze aufgezogen. Der Impfarzt hat anschließend die fünffache Impfdosis verabreicht. Offenbar haben sich weder sie, noch der Impfarzt vor der Impfung hinreichend mit dem Impfstoff, seiner Fachinformation oder zusätzlichen Informationsmaterialien beschäftigt und informiert. Sogar auf dem Vial selbst steht, dass es sich um ein Mehrdosenbehältnis handelt.“
Der Apotheker räumt ein: „Fehler sind menschlich und passieren jedem. Aber es sollten Prozesse vorhanden sein, die so etwas ausschließen. Und es muss sich vorher mit diesem Arzneimittel beschäftigt werden. Vor allem, wenn es sich um einen neuen Impfstoff handelt, auf den die Aufmerksamkeit der ganzen Welt gerichtet ist. Der Impfarzt hat sich bei den Geimpften entschuldigt, gleichzeitig aber die Vorbereitung der Impfaktion kritisiert. ‚Ich bin dahingefahren in der Annahme, dass ich eingewiesen werde.’ Stattdessen habe es nur den Infozettel gegeben, so seine Darstellung. Ich kann das bestätigen. Es ist chaotisch. Die Impfzentren wurden in kürzester Zeit aufgestellt und vieles läuft noch nicht reibungslos. Auch meine Einweisung war dürftig.“
Sein Fazit: „Man könnte sagen, man arbeitet mit einem rohen Ei. Man kann es in die Hand nehmen, es geht nicht sofort kaputt. Aber man sollte vorsichtig damit umgehen. Die Herstellung ist wie auch der Impfvorgang selbst kein Hexenwerk. Aber eine gründliche Vorbereitung ist wichtig. Gerade, wenn das mediale Interesse nur auf Fehler und Probleme gerichtet ist, ist ein fehlerfreies Arbeiten umso wichtiger. Man trägt eine Verantwortung. Das Wohl des Patienten steht im Vordergrund. Die Herstellung sollte von gut geschultem, am besten pharmazeutischem Personal durchgeführt werden.“
Bildquelle: Emily Bernal, unsplash