Industriekonzerne stechen immer häufiger private Käufer von medizinischen Zentren und Praxen aus. Warum dieser Trend bedenklich ist.
Die wirtschaftliche Struktur der niedergelassenen Medizin ändert sich: Immer mehr größere Industriekonzerne versuchen, bestimmte Versorgungsbereiche zu dominieren. Ein typisches Beispiel dafür sind Dialysezentren. Hier verdrängen Konzerne wie die US-Firma DaVita zunehmend private Käufer von Dialyseplätzen, die sie dann als Aktiengesellschaften betreiben.
In Polen beherrscht DaVita so bereits etwa 80 Prozent aller Dialysezentren, berichtet Julian Veelken von der Fraktion Gesundheit. Der Verbund aus Ärzten in verschiedenen Arbeitsbereichen setzt sich mit aktuellen Problemen im deutschen Gesundheitswesen auseinander und arbeitet dabei unter anderem mit dem Marburger Bund und Verdi zusammen.
Wie die Konzerne es schaffen, private Käufer auszustechen? Die Antwort ist naheliegend: Geld. Aber auch einige wirtschaftliche Kniffe helfen dabei. „Gibt es keinen direkten Nachfolger in einem Zentrum, kaufen Unternehmen wie DaVita die Dialyseplätze zu Mondpreisen auf“, so Veelken. Das gelinge unter anderem über Gewinnabführungsverträge, die DaVita mit Dachgesellschaften beispielsweise in den Niederlanden schließt.
Die gesamten Einnahmen werden dort mit dem Unternehmenssteuersatz versteuert, der in den Niederlanden weit niedriger ausfällt als in Deutschland. „Ein deutscher Internist muss seinen Gewinn mit einem Steuersatz von 45,48 Prozent versteuern. Ein Unternehmen wie DaVita hat die gleichen Einnahmen, zahlt aber 10 Prozent Steuern in den Niederlanden, also nur etwa ein Viertel von dem, was der Internist aufbringen muss. So kann man jeden privaten Käufer ausstechen.“
Das Feld der Dialyse sei aber nicht allein betroffen. Auch privat geführte Labore gebe es so gut wie gar nicht mehr, dafür riesige Ketten, kritisiert Veelken. „Das alles lässt sich sachlich zwar rechtfertigen, aber es steht auch eine politische Absicht dahinter.“ Die Gesundheitspolitik habe dabei vor allem Interesse daran, dass Geld von außen in das System eingeführt werde. Denn der ambulante Bereich sei traditionell privat organisiert und werde immer teurer.
„Dabei ist gar nicht so wenig Geld im System drin, da muss eigentlich gar nichts von außen dazukommen“, so Veelken. Im Gegenteil, so entstehe vielmehr das Problem, dass Beiträge aus dem schützenswerten Bereich der Krankenversorgung auch wieder nach außen, an die Ketten und Konzerne, abgeführt werden müssen.
„Sobald Geldsummen, die über Kassenbeiträge finanziert werden, unser aller Gesundheitssystem verlassen und über die Konzerne an Aktionäre gehen, statt an die vielen Ärzte, Krankenpfleger und weiteres medizinisches Personal, läuft etwas gewaltig schief. Auch Investitionen fallen dann weg. Kurz: Das Geld wird der Krankenversorgung entzogen. Das ist eine anstößige Situation“, sagt Veelken. Das Gegenargument, dass dafür aber auch mehr Geld von außen in das System eingeführt werde, gelte nicht. „Man öffnet das Gesundheitssystem ja damit trotzdem für Entnahmen von außen. Patienten sollten keine Kunden sein, die Gesundheit gehört zur Daseinsvorsorge wie die Feuerwehr.“
Der Kreis der internen Zahlungen werde von außen durchbrochen und damit schwerer zu kontrollieren – und auf Dauer auch teurer, vermutet Veelken. „Konzerne und Ketten stellen Ansprüche. Der Worst Case wäre, dass Gewinnentnahmen von Aktionären als Kosten mit eingepreist werden. Dann kämen die regulären Warenkosten, die auch Kliniken und Praxen haben, zur Bezahlung der Aktionäre hinzu. Das erwirtschaftete Geld geht aber nicht an das deutsche System, sondern an Fonds oder ausländische Investoren. Die Kassenbeiträge müssten dann vermutlich langfristig erhöht werden, um die gestiegenen Kosten zu tragen.“
Deutschland ist in Europa ein besonders attraktives Ziel für Firmen aus dem Ausland. „Wir haben ein im internationalen Vergleich exzellentes Gesundheitswesen, in dem durchaus gute Preise gezahlt werden. Im Schnitt kann man davon gut leben, bei einer sicheren Finanzierung. Durch das Nachfolgeproblem können Firmen an vielen Stellen mit hohem Investitionsvolumen gut fischen und leicht über Marktpreis bieten.“
Hier werde auch ausgenutzt, dass viele Niedergelassene die eigene Praxis als eine Erweiterung der Altersvorsorge betrachten. Der Verkauf an den Höchstbietenden sei aus privater Perspektive eine gute Entscheidung, so Veelken. Auf diese Art eignen sich Firmen mehrere Einrichtungen an, die dann zu Ketten oder medizinischen Versorgungszentren (MVZ) umgestaltet werden. „Natürlich sind nicht alle MVZ schlecht, man kann die gut und sinnvoll betreiben. Aber man muss sich bei solcher Führung die Frage stellen, ob nicht die Einnahmenoptimierung im Vordergrund steht.“
Die ungerechte Verteilung beginnt, wenn der private Sektor den Konzernen nichts mehr entgegensetzen kann. So gebe es Standorte, an denen Firmen die Mehrheit an Kassensitzen durch ihre Organisation als MVZ so geschickt ausspielen, dass einzelne Fachärzte vor Ort sich keine Alternative als einen Platz in der Kette leisten können. „DaVita hat das Ganze auf die Spitze getrieben und spielt mit seinem Weg über das europäische Ausland gerade Starbucks. Zu behaupten, dass man eine freie Firma sei, klingt immer gut – aber dann sollte man sich auch unter fairen Bedingungen einem industriellen Anbieter entgegenstellen können. Nur wenn es gleiche Voraussetzungen gibt, wird auch auf dem gleichen Markt verhandelt. Das ist hier grob verletzt.“
DaVitas Geschäftsführung gebe sich bei Vorträgen hemdsärmelig, trete charismatisch und charmant auf. Sie werbe damit, dass Dialyse zu verkaufen das gleiche sei wie der Verkauf von Tacos. Ein Markt sei wie der andere. „Das mag in den USA so sein, bei uns ist es das zum Glück noch nicht. Trotzdem hat das Konzept hier Fuß gefasst und zieht schon jetzt Gelder ab, wo es nur geht. Das ist nicht illegal, man nutzt hier einfach Möglichkeiten, die die deutsche Gesundheitspolitik lässt“, so Veelken.
Die Frage sei immer, mit welchem Schwerpunkt die neu gebildeten oder aufgekauften Zentren agieren. Liegt der Fokus auf der Versorgung der Menschen vor Ort oder dem Drücken von Kosten, wo es nur geht, um möglichst viel Gewinn abzuschöpfen? Deutschland müsse sich entscheiden, was die Zukunft der Krankenversorgung bestimmen soll – finanzielle Interessen oder Patientenfürsorge.
Hier lest hier die Gegenposition:
Bildquelle: Marc-Olivier Jodoin, unsplash