„Unser Klinikpersonal scheint eher zurückhaltend zu sein“, sagt ein Chefarzt. „Meine Kollegen und ich lassen uns auf jeden Fall impfen“, sagt eine Ärztin. Die Impfbereitschaft bei medizinischem Personal variiert stark. Wir haben Statements gesammelt.
Die Stimmung in puncto Corona-Impfung beim medizinischen Personal ist gespalten. Das zeigen sowohl Umfragewerte als auch Lageberichte von Ärzten und Pflegekräften aus der Community. Wir haben unterschiedlichste Überlegungen und Argumente zum Thema zusammengetragen.
Eine Fachärztin für Infektiologie weiß aus Gesprächen mit Kollegen: „Die Meinungen, was die Impfung betrifft, sind unter den Kollegen ziemlich gespalten. Der eine will sich auf jeden Fall impfen lassen, der andere ist noch nicht sicher, die dritte will erst später. Ich denke, dass viele erstmal die weitere Entwicklung abwarten wollen“, erzählt sie. „Nachrichten, wie zum Beispiel die, dass einige aus dem Heim nach der Impfung wegen Nebenwirkungen stationär aufgenommen werden mussten, machen natürlich keinen großen Mut, sich sofort impfen zu lassen“. Sie selbst ist von der Impfung gegen COVID-19 überzeugt: „Ich bin eine von vielen Freiwilligen, die sich gemeldet haben, in einem Impfzentrum die Patienten zu impfen, wenn es so weit ist.“ Noch sei das Impfzentrum nicht aktiv, aber Ende Januar soll es so weit sein.
Ein Arzt, der an einer Kinderklinik arbeitet, sieht vor allem die Bedenken in Verbindung mit der noch relativ neuen Technologie: „Einige sagen: Ok, wenn das jetzt ein klassischer Vektor-Impfstoff wäre, dann wären sie da auch entspannter. Sie hinterfragen: Warum gibt es bei uns jetzt so einen neuen mRNA-Impfstoff? Was ist mit den Impfstoffen, die es schon so lange gibt, warum hat es da noch keiner geschafft?“
Die Skepsis gegenüber dem Neuen sei auf jeden Fall da, so der Pädiater. „Auch wenn die Technologie jetzt nicht völlig neu in der Medizin ist – Mediziner benutzen einfach das gerne, was sie kennen und können und bei dem sie wissen, was passiert. Das ist schon lange so und hat sowohl Vor- als auch Nachteile.“
Von Impfskepsis in der Kollegenschaft ist einem Urologen dagegen in seiner Klinik noch nichts zu Ohren gekommen: „Bei uns in der Klinik wurden bereits erste Kollegen geimpft, vorrangig von der Intensivstation. Meines Wissens warten alle auf die Impfung, da sie sich bewusst sind, dass nur so ein Weg aus der Pandemie führt“, so der Facharzt. „Sicherlich gibt es bei dem einen oder anderen auch leichte Bedenken, doch wirkliche Skepsis oder sogar Ablehnung habe ich beim ärztlichen Personal noch nicht erlebt.“
Ein Kardiologe wird sich als Impfarzt anbieten: „Ich werde mich alsbald möglich impfen lassen, das ist völlig klar. Die Kollegen, die ich kenne, sind der Impfung gegenüber ebenfalls positiv eingestellt.“
Noch ein anderes Krankenhaus: „An unserer Klinik scheint das medizinische Personal eher zurückhaltend zu sein, was eine Impfung angeht. Einige wollen sich sofort impfen lassen, viele scheinen eher abwarten zu wollen“, berichtet uns ein Chefarzt. „Vielleicht hängt es damit zusammen, dass wir – zum Glück – bisher recht glimpflich davon gekommen sind und nur wenige Fällte hatten. Gerade nehmen die Zahlen zu, und dann könnte sich vielleicht auch die Sichtweise ändern“, vermutet er.
„In Niedersachsen geht es etwas langsam voran, aber die ersten Impfungen bei uns in der Klinik sind für nächste Woche geplant. Insgesamt waren wir im Vergleich zu anderen Bundesländern verhältnismäßig wenig von der Pandemie betroffen, aber im Moment erreichen wir auch neue Höchststände“, schreibt ein Gastroenterologe. „Der Impfung sehen wir recht gelassen entgegen und ich kenne nur wenig Leute, die sich nicht impfen lassen wollen“, so seine Beobachtung.
Kurz vor der Zulassung des ersten mRNA-Impfstoffes erhielt eine Gynäkologin die konkrete Nachfrage ihres Arbeitgebers, ob sie sich impfen lassen und als Impfärztin zur Verfügung stehen würde – vielleicht sogar noch Ende 2020. So schnell hatte sie damit nicht gerechnet. „Daraufhin musste ich erst einmal tief Luft holen“, erinnert sie sich.
Neben fortlaufenden und eingehenden wissenschaftlichen Recherchen zu den unterschiedlichen Impfstoff-Kandidaten sei ihr auch der Austausch mit Kollegen sehr wichtig. Ein enger Kreis ihrer Studienfreunde diskutierte das Thema per WhatsApp: Impfen wollten sich alle lassen, die Mehrheit sofort, wenige wollten noch etwas warten. „Einige von uns haben sich als Impfärzte gemeldet, mich eingeschlossen. Den entscheidenden Beitrag lieferte der internistische Hausarzt unserer Gruppe, ein Freund, dessen fachliche und persönliche Einschätzungen mir schon immer viel wert sind. Seine Worte: ‚Grundsätzlich führe ich keine Therapie durch, die ich für mich in der entsprechenden Lage pauschal ablehnen würde.‘ – das hat gesessen“, erinnert sich die Frauenärztin.
Mittlerweile seien in ihrem näheren Umfeld bereits Kollegen, Freunde und Verwandte geimpft worden. Begleiterscheinungen bisher: Muskelschmerzen, Mattigkeit wie nach einer Grippeimpfung oder auch keine Symptome. „Einige warten noch auf ihren Termin: Ein HNO-Arzt, der 50 km ins nächste Impfzentrum fahren wird, weil in seiner Stadt noch nicht geimpft wird. Der meinte, er sei so froh, nicht mehr bei jeder Untersuchung an Corona denken zu müssen. Die Mehrzahl meiner Kollegen und Freunde werden sich impfen lassen, einige sehnen die Impfung regelrecht herbei. Wenige sind abwartend, nur vereinzelt wird die Impfung abgelehnt.“
„Meine Kollegen und ich lassen uns auf jeden Fall impfen“, sagt eine Medizinerin. „Mein Mann arbeitet im Dialysezentrum, dort sind 9 Ärzte. Einer hat Bedenken, sich impfen zu lassen, weil er autoimmunerkrankt ist und da noch nicht klar ist, wie das mit der Impfung passt. Ansonsten gibt es dort auch keine Bedenken. Die Kollegen sind zwischen 50 und 60 Jahre alt“, berichtet die Urologin mit kleiner Praxis. „Ich denke, es geht vielen Kollegen wie mir. Man hofft, dass in 10 Jahren nichts passiert, aber vor akuten Komplikationen habe ich keine Angst. Langzeitfolgen sind aber ein Argument, das man bedenken könnte. Ich will zum Beispiel meine Mutter auf jeden Fall überzeugen, sich impfen zu lassen, sie ist jetzt 84. Da mache ich mir mehr Gedanken um ihre aktuelle Gesundheit. Aber bei meiner Tochter wäre ich unsicher. Ich denke, je jünger und je gesünder ein Patient ist, desto eher kann gewartet werden“, so ihre Einschätzung.
Aus der Dialysepraxis ihres Mannes weiß sie von Bedenken in Hinsicht auf Transplantationspatienten: „Er hat erzählt, dass in einigen Transplantationszentren auch Patienten angefragt haben zur Impfung. Da ist es durchmischt, einige wollen, andere nicht, wieder andere sind unsicher. Das handhaben die Zentren unterschiedlich, weil noch nicht ganz klar ist, wie die Impfung sich auf Transplantationspatienten auswirkt. Ein Patient habe von seinem Zentrum zum Beispiel gehört, er solle abwarten – aber nicht aus Skepsis, sondern wegen medizinischer Fragen“, erklärt die Urologin.
„Bei Klinikkollegen ist die Haltung zur Corona-Impfung soweit durchweg positiv, auf pflegerischer Seite hab ich da eher mal Bedenken gehört als auf ärztlicher“, berichtet ein Notfallmediziner. „Impf-Termine werden derzeit vergeben. Nicht alle sind überzeugt. Aber ich denke, auch in der medizinischen Community wird es eine Art ‚Gruppenzwang‘ geben, insbesondere innerhalb der Klinik, durch die auch die derzeit noch Unsicheren mitgenommen werden können“, hofft er.
Die Vorbildfunktion spielt aus seiner Sicht eine wesentliche Rolle: „Es ist meiner Meinung nach wichtig, hier alle mitzunehmen. Man hat hier Vorbildfunktion gegenüber der Bevölkerung. Welcher Bürger würde sich denn impfen lassen, wenn es deutlich viele und laute Skeptiker in der medizinischen Community gibt?“ Abseits von seinem Arbeitsplatz beobachtet der Mediziner deutlich mehr Ablehnung: „Da ist es deutlich anders im Kontrast zur Klinik. Insbesondere bei niedergelassenen Kollegen und noch mehr bei MTAs oder Altenpflegern höre ich häufig Aussagen contra Impfung und allgemein mehr Stimmen gegen unterschiedlichste Coronamaßnahmen.“
An dieser Stelle ergänzt der an einer Kinderklinik arbeitende Arzt: „Man kriegt viele kritische Meinungen und viel Skepsis mit, weil der aktuelle mRNA-Impfstoff eine völlig neue Technik ist. Alles, was Akutnebenwirkungen angeht, hat man ja ganz gut erforscht, aber die Langzeitnebenwirkungen nicht, wie auch?“ In dem Zusammenhang erwähnt er einen Oberarzt, der in der Kollegenschaft sehr geschätzt wird. „Er sieht das kritisch und wird sich als Mensch, der nicht einer Risikogruppe angehört, erstmal nicht impfen lassen mit diesem Impfstoff.“ In seiner persönlichen Nutzen-Risiko-Abwägung halte der Oberarzt das Risiko des Impfstoffs für höher als die Nebenwirkungen einer Corona-Infektion.
Anders verhalte es sich bei Menschen, die einem Risikopool angehören: „Allen Menschen über 80 empfiehlt er die Impfung auf jeden Fall, weil das Nutzen-Risiko-Verhältnis nochmal anders ist und auch die Langzeitfolgen im Zweifel nicht mehr so eine große Rolle spielen wie bei jungen Menschen“, so der Klinikarzt. „Gerade weil besagter Oberarzt bei uns sehr geschätzt ist, hat er mich natürlich auch zum Nachdenken angeregt. Aber wenn man dann Berichte über Leistungssportler liest, die auch Monate nach der Infektion nicht wieder ihre volle Lungenfunktionalität haben, dann sieht man, dass auch Corona negative Langzeitfolgen haben kann. Von da her würde ich persönlich das Risiko der Impfung eher eingehen als das Risiko einer Infektion“, lautet sein Fazit.
„In der Pflege ist es dann natürlich ähnlich“, führt der Kinderarzt seinen Gedanken weiter aus. „Wenn die Vorgesetzten, die ja im Prinzip viel oder mehr Ahnung von der Materie haben als die Pflegekräfte, sich negativ äußern, dann sind das natürlich Multiplikatoren, die auf eine gewisse Impfskepsis innerhalb der gesamten Belegschaft Auswirkungen haben können.“ Eine Gesundheits- und Krankenpflegerin kommentiert unter einem unserer Artikel: „Ich arbeite auf einer Corona-Station, ohne Beatmung. Wir wurden vorgestern gefragt, ob wir uns impfen lassen würden. Ich habe das bejaht. Ich war eine der Wenigen.“ Ein Psychotherapeut beobachtet ein ähnliches Szenario: „Ich kann es kaum erwarten, meinen Impftermin wahrzunehmen. In unserer Klinik wollen sich geschätzt 75 % impfen lassen, aber schon im Altenheim nebenan haben sich nur 25 % des Personals impfen lassen.“
Die Urologin, die im Beitrag bereits an anderer Stelle zu Wort kam, berichtet hier ebenfalls von skeptischen Mitarbeitern: „In der Dialysepraxis meines Mannes gibt es 37 Pfleger, 13 davon wollen sich nicht impfen lassen. Das sind durchaus Impfgegner, die mit Angst vor der Impfung argumentieren.“
Aussagekräftig sind diese Einzelberichte natürlich nicht. Stellt sich die Frage: Wie ist die bundesweite Allgemeinsituation einzuschätzen? Ein Viertel der Ärzte und etwa die Hälfte der Pflegekräfte in Deutschland wollen sich momentan nicht impfen lassen. So lautet zumindest ein aktuelles Umfrage-Ergebnis der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) und der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN), über das Anfang Januar dieses Jahres berichtet wurde.
Sondererhebung zu Impfungen, Quelle: COSMO corona-monitor.de
Umfrageergebnisse des COSMO-Monitorings fallen ähnlich aus, allerdings beschränkt sich der Anteil der Befragten, die medizinische Berufe ausüben, auf lediglich 127 Personen.
Mittlerweile seien diese Zahlen aber längst überholt, ist eine DIVI-Sprecherin sicher: „Wir sind da der Auffassung, dass sich da seit dem Impfstart einiges getan hat.“ Aufgrund der Impfstoff-Engpässe fiel dieser Start bescheidener aus als geplant. Bis es mit der Impfung im großen Stil losgeht, wird es wohl noch ein wenig dauern. Für handfeste Daten zur Impfbereitschaft – sowohl beim medizinischen Personal als auch bei der Gesamtbevölkerung – müssen wir also ein wenig Geduld aufbringen.
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