Virologen sind die neuen Popstars. Neben der medialen Elite der Pandemie-Moderatoren (Drosten, Streeck und Kekulé) recken sich auch unbekanntere Connaisseure des Nanokosmos begierig dem Mikrofon entgegen. Nicht immer mit gehaltvollen Statements.
Er ist der „Erklärer des Jahres“: Christian Drosten. Der Berliner Mikrobiologe ist mittlerweile so tief in der Populärkultur verwurzelt, dass man ihn als holzgeschnitztes Rauchermännchen kaufen kann. Respekt dafür. „Die Räucherkerze brennt im Inneren des meist gedrechselten Räuchermannes ab, der Rauch steigt dabei nach oben und tritt aus dem Mundloch aus“, liest man dazu auf Wikipedia.
Der neue Charité-Frontmann, der ironischerweise früher in einer Abiturientenband namens „Cursed Earth“ gespielt hat, hat zweifelsohne seine Paraderolle gefunden. Die Frage ist nur, ob auf dem Pfad zur fortlaufenden mikrobiologischen Contentproduktion nicht langsam die Substanz verloren geht. Am Anfang der Pandemie hat Drosten mit dem ersten PCR-Test für Covid-19 einen wichtigen Beitrag geliefert. Ein Jahr später befindet er sich im hochtourigen Schleudergang der Schlagzeilen-Waschmaschine: „Drosten erwartet …“, „Drosten warnt …“, „Drosten beunruhigt“, „Drosten muss schlucken“. Was kommt als nächstes? „Drosten weint“? Überhaupt: Wieviel Drosten braucht ein Mensch? Ab wann hat man eine Überdosis Drosten? Aus meiner Beobachtung des medialen „Pump and Dump“ dürfte dieser unvermeidbare Wendepunkt bald erreicht sein. Wenn Drosten clever ist, monetarisiert er den Großteil seines Popularitätskapitals rechtzeitig vor Pandemieende. Oder wartet auf das überüberübernächste Dschungelcamp.
Da hat er zumindest deutlich mehr Alternativen als sein ewiger Widerpart, der erratische Mikromephisto Alexander Kekulé – berüchtigt für epidemiologische Querschläger wie „Amen ist in Ordnung“. Hier führt die massive Medienpräsenz schon zum Snapback: Seine wissenschaftliche Minderleistung und der bevorstehende Ruhestand werden mittlerweile sogar in Provinzblättchen hämisch diskutiert.
Völlig neue Dynamik
Das Coronavirus hat einem Berufsstand, dessen Vertreter normalerweise nur 2 x 10-6 Presseanfragen pro Jahr bekommen, eine völlig neue Dynamik verpasst. Sie erreicht mittlerweile auch Virologen, die man normalerweise erst radioaktiv markieren muss, um sie nachzuweisen. Gerade lese ich eine Pressemitteilung, in welcher der „Chefvirologe“ der Uniklinik Essen, Ulf Dittmer, einen bemerkenswerten Satz in Bezug auf Covid-19 raushaut: „Kleine Kinder sind keine effizienten Verbreiter.“ Diese Feststellung dürfte verschnupfte Eltern kitapflichtigen Nachwuchses und manchen Kinderarzt mehr als erstaunen. Aber vielleicht hat man Infektionen wie Masern, Röteln & Co. nur irrtümlich als Kinderkrankheiten gelabelt. Haben nicht diverse Studien mittlerweile das Gegenteil belegt (unter anderem auch eine von ... genau)? Egal. Wenige Zeilen weiter haucht er in der PM das Mantra „Bildung ist ein hohes Gut“. So was kommt raus, wenn man mehr an die Publikumswirksamkeit seiner Statements denkt als an PubMed.
Wir sind offensichtlich in einer Zeit angekommen, in welcher das mühsame wissenschaftliche Arbeiten großzügig durch akademisches Schwadronieren ersetzt wird. Mit der rühmlichen Ausnahme von BioNTech – vielleicht, weil es da agilen Enthusiasmus statt behäbiger Besoldungsgruppen gibt.
Auch Jonas Schmidt-Chanasit von der Universität Hamburg hat als Kenner der Mikroflora in den letzten Monaten profunde wissenschaftliche Beiträge außerhalb seines Fachgebiets geliefert. Zwischenzeitlich war er auf dem Teilgebiet der Warmweinforschung aktiv: „Es ist nun einmal so, dass Alkohol enthemmt und es dadurch zu Ansammlungen kommt.“ Schön, das auch mal aus habilitiertem Mund zu hören. Ob er es mit dem Satz, „Entscheidend ist, dass man wahrscheinlich nach dem dritten Gläschen Glühwein im geselligen Beisammensein nicht mehr auf genügend Abstand achtet.“, in den „Annual Review of Microbiology“ schafft, steht noch nicht fest. Deshalb bin ich dafür, neben dem Hirsch-Index ein neues Ranking speziell für Virologen zu schaffen: Den Platzhirsch-Index.😉
Bildquelle: Dirk Sudow