Alle Augen sind auf die Impfstoffe gegen COVID-19 gerichtet – aber was ist mit Medikamenten? Derzeit laufen gleich mehrere Studien. Unser Überblick.
Während die Corona-Impfstoffe mit einer wahnsinnigen Geschwindigkeit entwickelt werden konnten, kommt die Suche nach geeigneten Medikamenten gegen COVID-19 noch nicht entscheidend voran. Viele Forschergruppen beklagen, dass das an der fehlenden Finanzierung liegt und fordern Unterstützung von der Bundesregierung. Das Problem sind die teuren zulassungsrelevanten Studien, die kleine Unternehmen allein nicht stemmen können.
Deswegen haben sich vier deutsche Biotech-Unternehmen im Dezember zur Initiative BEAT-COV zusammengeschlossen, um ihre Wirkstoffkandidaten zur Marktreife bringen zu können. Welche aussichtsreichen Kandidaten hat die Initivative?
Zu den vier Unternehmen zählen Atriva Therapeutics aus Tübingen, Aicuris Antiinfective Cures aus Wuppertal, Immunic Therapeutics aus Gräfelfing und Infla-Rx aus Jena. Wie auch andere Pharmaforscher weltweit fokussieren sich die Unternehmen vorallem auf Arzneimittel, die schon gegen eine andere Krankheit zugelassen oder zumindest in der Entwicklung sind („Repurposing“). Das geht schneller als die gundlegende Neuentwicklung von Medikamenten.
Ursprünglich gegen Grippe entwickelte Atriva Therapeutics den Kinase-Inhibitor ATR-002. Das Medikament hemmt das menschliche Enzym MEK (MAPK/ERK-Kinase). Durch die Hemmung dieser Kinase unterbricht ATR-002 den intrazellulären RAF/MEK/ERK-Signalweg, den sich RNA-Viren für ihre Replikation zunutze machen. Die ersten Ergebnisse für den Einsatz bei Influenza präsentierte Atriva bereits im November 2019. Die Substanz erwies sich bei 70 Probanden als sicher und gut verträglich.
Anfang Januar 2021 beginnt eine Phase-II-Studie mit stationär behandelten Patienten mit mittelschwerem bis schwerem COVID-19 in Deutschland und anderen Ländern.
Das Unternehmen Aicuris entwickelte den Immunmodulator AIC649, der ursprünglich zur Behandlung von Hepatitis B entwickelt worden war. Dabei handelt es sich um eine inaktivierte Parapoxvirus-Partikelzubereitung, die die Immunreaktion auf andere Viren stärken soll. Für Hepatitis B hat der Immunmodulator bereits eine Phase-I-Studie mit Patienten absolviert. Jetzt soll er an asymptomatischen Corona-Patienten getestet werden.
Weiter in der Entwicklung ist Immunic Therapeutics mit seinem Immunmodulator IMU-838. Er wird derzeit in zwei Phase II-Studien mit stationär behandelten COVID-19-Patienten getestet (als Monotherapie und in Kombination mit Oseltamivir). Der Wirkstoff hemmt als selektiver Inhibitor des Enzyms DHODH (Dihydroxyorotat-Dehydrogenase) den Stoffwechsel in aktivierten T- und B-Zellen, während er bei anderen Immunzellen kaum eingreift. Das Medikament war ursprünglich als Mittel gegen Multiple Sklerose und andere Autoimmunkrankheiten entwickelt worden.
InflaRx entwickelt derzeit das Medikament Vilobelimab (IFX-1) für die Behandlung verschiedener Entzündungskrankheiten. In einer Phase-II/III-Studie wird momentan geprüft, ob es auch schwerkranken COVID-19-Patienten helfen kann. Vilobelimab ist ein monoklonaler Antikörper und spezifischer Inhibitor von C5a, einer Komponente des Komplementsystems, das wiederum Teil des menschlichen Immunsystems ist. Damit sollen überschießende Immunreaktionen in den Griff zu bekommen sein.
Eine scheinbar gute Nachricht gab das Bundesministerium für Forschung und Bildung Anfang Januar bekannt: Es will 50 Millionen Euro für die Förderung der COVID-19-Medikamentenforschung bereitstellen. Dabei sollen speziell deutsche Projekte in der klinischen Phase I bis IIb gefördert werden. Wer das Geld bekommt, steht noch nicht fest. Die Initiative BEAT-COV kritisiert in einer Pressemitteilung aber, dass damit nach wie vor eine Förderlücke für zulassungsrelevante Studien bestehe. Nach Ansicht von BEAT-COV sei ein Fonds in deutlich höherer Größenordnung erforderlich, um die Entwicklung von fortgeschrittenen und erfolgversprechenden Therapievorhaben bis zur Marktreife durchzuführen und parallel Herstellung und Vertrieb vorzubereiten.
Derzeit gibt es über 300 COVID-19-Therapien, die erprobt werden. Viele davon in präklinischen Studien, einige sind auch schon länger bekannt.
So etwa Remdesivir. Es gehört zu den antiviralen Medikamenten, das urspünglich gegen Ebola-Infektionen entwickelt wurde. In einigen Studie konnte die Krankheitsdauer bei Patienten bei der Einnahme des Medikaments um einige Tage verkürzt werden. Daraufhin erhielt Remdesivir für die COVID-19-Behandlung u.a. eine Notfall-Zulassung in den USA und auch eine bedingte Zulassung in der EU. Im SOLIDARITY-Trial, einer von der WHO durchgeführten multinationalen Studie, konnte dieser Effekt aber nicht festgestellt werden. Möglicherweise müssen die Krankheitsstadien noch genauer gefasst werden, in denen das Medikament eine Wirkung zeigt. In der S1-Leitlinie wird das Mittel dennoch bei hospitalisierten, nicht beatmeten Patienten mit COVID-19-Pneumonie und Sauerstoffbedarf empfohlen.
Das Grippemittel Favipiravir ist in Japan zur Behandlung von Influenza zugelassen, wenn auch nur als Zweitlinientherapie. In einer klinischen Phase-III-Studie hatte sich gezeigt, dass es die Zeit einer COVID-19-Erkrankung verkürzt. Allerdings können beim Einsatz von Favipiravir auch starke Nebenwirkungen wie Hyperurikämie und Leberschäden auftreten. Da Favipiravir teratogen ist, dürfen Schwangere es auf keinen Fall einnehmen.
Das Medikament Alunacedase alfa (APN01) wird derzeit in einer Phase-II-Studie getestet. Mit Ergebnissen wird im ersten Quartal 2021 gerechnet. APN01 ist eine gentechnisch hergestellte, lösliche Form des humanen ACE2 und fungiert als falscher Rezeptor für SARS-CoV-2. Zusätzlich hilft es dabei, Lungenschäden durch Entzündungsreaktionen zu vermeiden.
Die Wirkstoffkombi Lopinavir / Ritonavir, die bei HIV-Infektionen zum Einsatz kommt, galt lange als Hoffnungsträger. Im SOLIDARITY-Trial konnte sie bei COVID-19-Patienten aber nicht überzeugen.
Ein Problem bei schweren COVID-19-Verläufen ist die überschießende Immunreaktion, auch als Zytokin-Sturm bezeichnet. Bei schwerkranken Patienten zeigte sich das Cortison-Derivat Dexamethason als hilfreich. In einer Studie konnte Dexamethason das Sterberisiko bei Patienten, die Sauerstoff benötigen oder künstlich beatmet werden müssen, um ein Fünftel bzw. ein Drittel senken. Die EMA empfiehlt seither den Einsatz von Dexamethason bei diesen Patienten.
Zum Interleukin-6-Antagonisten Tocilizumab, der zur Behandlung der rheumatoiden Arthritis eingesetzt wird, gab es bisher wiedersprüchliche Studienergebnisse. Laut neuster Ergebnisse der Studie REMAP-CAP konnte die Gabe von Tocilizumab die Sterblichkeit von Patienten mit schwerem COVID-19 signifikant senken. Ähnlich gute Ergebnisse erzielte man in der Studie mit Sarilumab. In Großbritannien sollen diese beiden Medikamente nun bei schwerkranken COVID-Patienten eingesetzt werden. In Deutschland ist das wegen der unklaren Studienlage derzeit noch nicht geplant.
Ebenfalls zu den immunmodulatorischen Arzneimitteln zählen der monoklonale Antikörper Vilobelimab sowie der C5a-Inhibitor Ravulizumab. Das Medikament Vilobelimab soll bald in einer Phase-III-Studie an schwerkranken COVID-Patienten getestet werden. Ravulizumab ist bereits zur Behandlung der seltenen paroxysmalen nächtlichen Hämoglobinurie (PNH) zugelassen. Auch hier läuft derzeit eine Phase-III-Studie.
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