Viele Menschen sorgen sich vor noch unbekannten Langzeitfolgen nach einer Corona-Impfung. Doch hier gibt es einige Missverständnisse.
Viele Menschen wollen sich nicht gegen Corona impfen lassen. Ihre Begründung: Es seien Nebenwirkungen oder gar unerkannte Langzeitfolgen der Impfung aufgrund fehlender Langzeitdaten möglich. Hier gilt es, ein großes Missverständnis aufzuklären.
„Mit Langzeitfolgen meint man eigentlich Nebenwirkungen einer Therapie, die bei einem Betroffenen für eine lange Zeit anhalten. Hier gibt es bezüglich der Corona-Impfungen große Missverständnisse“, erklärt Prof. Carsten Watzl, Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie (DGfI) und Leiter des Forschungsbereichs Immunologie am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund.
„Wovor viele Menschen jetzt Angst haben – Nebenwirkungen, die bei einem großen Teil der Geimpften erst Monate oder Jahre später nach der Impfung auftreten – das gibt es bei Impfungen nicht und das hat es auch noch nie gegeben. Das kann man aus wissenschaftlicher Sicht ausschließen.“
Als berühmtes Beispiel von Langzeitfolgen bei Impfungen werden oftmals Fälle von Narkolepsie nach einer Pandemrix-Impfung herangezogen. Während der H1N1-Pandemie (Schweinegrippe) 2009/10 wurden fast 31 Millionen Menschen gegen das Virus geimpft. Hierbei handelt es sich tatsächlich um eine Spätfolge einer Impfung, aber nicht, weil die Erkrankungen erst Jahre später aufgetreten sind. „Damals sind mit einer geringen Frequenz von etwa 1:20.000 Fälle von Narkolepsie unter den Geimpften aufgetreten. Doch selbst hier kam es nicht erst Monate oder Jahre später zur Diagnose. Die meisten Fälle sind innerhalb von 8 Wochen nach der Impfung aufgetreten“, erklärt Watzl. Es dauerte allerdings viel länger, bis man einen gesicherten Zusammenhang zwischen den Impfungen und den Narkolepsie-Fällen herstellen konnte, weil erst dann genügend Personen geimpft waren.
Die Ursachen für diesen Zusammenhang sind noch nicht vollständig geklärt, aber man vermutet, dass die sogenannte „molekulare Mimikry“ dahintersteckt: Pandemrix hat vermutlich bei genetisch veranlagten Personen die Bildung von Antikörpern induziert, die nicht nur Bestandteile des Grippevirus erkennen, sondern versehentlich auch Bestandteile des menschlichen Organismus angreifen. Studien deuten allerdings darauf hin, dass auch die Infektion mit dem H1N1-Virus selbst die Autoimmunerkrankung Narkolepsie auslösen kann.
In den letzten Tagen wurde der Blog von Petra Falb zum Thema Langzeitfolgen vielfach zitiert. Sie ist Gutachterin in der Zulassung für Impfstoffe beim österreichischen Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen und erklärt in ihrem Beitrag, warum es bei Impfstoffen so etwas wie Spätnebenwirkungen nicht gibt.
Im Unterschied zu Pharmazeutika entstehen bei Impfungen keine neuen Metabolite; es reichert sich nichts in der Leber an oder wird über die Niere ausgeschieden, da nichts verstoffwechselt wird. Eine Impfung wird auch nicht als Dauertherapie eingesetzt. Mögliche Nebenwirkungen zeigen sich daher unmittelbar nach der Impfung, sei es als allergische Reaktion innerhalb von Minuten oder als sehr seltene Nebenwirkungen in Form einer Autoimmunerkrankung nach wenigen Wochen.
„Was wir aktuell bei den Impfungen in Deutschland sehen, sind allergische Reaktionen. Aber das sind keine Langzeitfolgen, weil sie unmittelbar nach der Impfung auftreten und mit entsprechender Behandlung schnell wieder verschwinden“, so Prof. Watzl. Dies würde sich auch mit den Beobachtungen aus den klinischen Studien decken. „Das heißt, alle Ereignisse, die wir bei den jetzigen Impfungen sehen, sind aufgrund der Ergebnisse der klinischen Studien erwartbar.“
Auf einer Pressekonferenz informierte das Paul-Ehrlich-Insitut (PEI) vor wenigen Tagen über Nebenwirkungen der Corona-Impfungen. Zwischen dem Beginn der Kampagne am 27. Dezember und dem 10. Januar zählte das PEI rund 614.000 Impfungen. In dieser Zeit wurden in 325 Einzelfallmeldungen 913 „unerwünschte Reaktionen“ geschildert. Auch sieben Todesfälle sind im zeitlichen Abstand von 2,5 Stunden bis zu vier Tagen nach der Impfung verzeichnet worden. Wie das PEI mitteilt, litten die Personen im Alter von 79 und 93 an schwerwiegenden Vorerkrankungen, die „vermutlich todesursächlich“ gewesen sind. Es weist zudem darauf hin, dass aus dem „zeitlichen Zusammenhang“ noch kein ursächlicher abzuleiten sei. Die beobachtete Fallzahl übersteige die erwartete Zahl an Todesfällen nicht signifikant, da die Sterbewahrscheinlichkeit in einem gewissen Alter ohnehin erhöht ist.
Wenn Spätfolgen bei Impfungen nicht zu erwarten sind, warum müssen dennoch Langzeitdaten erfasst werden? Bei den Langzeitdaten geht es aus den oben genannten Gründen nicht darum, Nebenwirkungen festzustellen, die nach einer langen Zeit beim Geimpften auftreten. Die Erfassung von Langzeitdaten dient dazu, besonders seltene Nebenwirkungen aufzuspüren. Das dauert mitunter so lange, weil man so viele Menschen impfen muss, bis man sie findet.
Tritt eine Nebenwirkung beispielsweise nur bei einem von 20.000 Geimpften auf, dann muss man 20.000 Menschen impfen, ehe man auf sie aufmerksam wird. Je mehr Menschen man impft, desto schneller wird man auch die seltenen Nebenwirkungen finden.
Die Corona-Impfungen haben dahingehend einen Vorteil, wie Prof. Watzl erklärt: „Die Zulassungsbehörden haben die Sicherheitsdaten von zwei Monaten Nachbeobachtungszeit der derzeit verfügbaren Impfstoffe eingefordert. Hinzu kommt, dass von vornherein mehrere Zehntausend Teilnehmer eingeschlossen wurden. Da wären Nebenwirkung auch mit Langzeitfolgen, die viele Geimpfte betreffen würden, bereits aufgefallen.“
Das Einzige, was jetzt noch passieren könne, ist laut Watzl, dass eine Nebenwirkung auftritt, die sehr selten ist und zum Beispiel mit einer Häufigkeit von 1:100.000 auftritt, das heißt, dass ein Mensch pro 100.000 Geimpften davon betroffen ist. Das werde sich jetzt in der Surveillance-Phase zeigen.
„Aber um es nochmal klar zumachen: Wir bewegen uns bei diesen Zahlen hinsichtlich des persönlichen Risikos für eine solche Nebenwirkung im Bereich von 0,001 Prozent“, sagt Prof. Watzl. „Das muss man in seine persönliche Risikoabschätzung für oder gegen eine Impfung einbeziehen. Das Risiko von Komplikationen bei einer Corona-Infektion ist viel höher – nicht nur für Risikopatienten, sondern auch für junge, gesunde Menschen.“
So sieht es auch ein Pharmakologe, der das Thema kürzlich unter einem Beitrag der DocCheck News kommentierte: „Die Sorge vor sog. ‚Langzeitfolgen‘ kann ich tatsächlich nicht nachvollziehen. Bei der Sorge um Impfnebenwirkungen sollte man sich die alte Pharmakologenweisheit nochmal durch den Kopf gehen lassen: ‚If you don't like the cure – try the disease‘.“ Die möglichen Impfnebenwirkungen müsse man ja nicht nur gegen „nicht geimpft“, sondern auch gegen „COVID-19-erkrankt“ abwägen, erklärt der Pharmakologe.
„Inzwischen wissen wir, dass sehr viele COVID-Patienten schwerwiegende Langzeitschäden haben, Reversibilität ungewiss („Long COVID“). Diese Langzeitschäden durch die Erkrankung sind real, für die behaupteten Langzeitschäden der Impfung gibt es dagegen überhaupt keinen Beweis (und plausibel sind sie auch nicht).“
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