Es ist Zeit, den Taschenrechner und die FFP2-Masken rauszuholen. Neue Mutationen des Virus können innerhalb kurzer Zeit zu explodierenden Zahlen führen. Wir müssen handeln.
Kennen Sie Sissa ibn Dahir? Für alle, die ihn nicht kennen: Der Legende zufolge lebte er etwa 300–400 n.Chr. in Indien und auf ihn geht die Schachbrettaufgabe zurück. Er hatte einen Wunsch frei und überlistet einen damals herrschenden Tyrannen, indem er ihn um ein paar Weizenkörner bat. Auf dem ersten Feld des Schachbretts wollte er ein Weizenkorn, auf das zweite Feld das doppelte (zwei Weizenkörner), auf das folgende wiederum das doppelte (vier Weizenkörner und so weiter. Der Tyrann durchschaute dies nicht, lachte und erklärte sich einverstanden.
Nach Tagen der Arbeit und des Rechnens vermeldete der Vorsteher der Kornkammer dem erstaunten Herrscher, dass alle Kornvorräte des Landes nicht reichen würden um diesen Wunsch zu erfüllen.
In Worten lägen auf dem Spielfeld 18 Trillionen, 446 Billiarden, 744 Billionen, 73 Milliarden, 709 Millionen, 551 Tausend und 615 Körner. In Weizenkörnern wäre es das Tausendfache der weltweiten Weizenernte 2014/2015.
Was lernen wir daraus? Sehr kleine Zahlen können sehr schnell groß werden. Es bleibt dabei: Corona und die Pandemie sind eine intellektuelle Herausforderung. Harmlose Dinge können hier sehr schnell sehr großen Schaden anrichten.
Sich in einfache Heilsversprechungen zu stürzen und irgendwelchen Schwurblern und Kristallzüchtern hinterher zu rennen, ist der Weg des geringsten Widerstands. Komfortabel, aber dumm.
Wir wählen einen anderen Weg und schauen uns genauer an, was B117 oder andere Mutanten so gefährlich macht. Beim Coronavirus wird oft die Reproduktionszahl (R-Wert) genannt. Für das Verständnis der Pandemie und eine erfolgreiche Eindämmung ist es wichtig, den R-Wert zu verstehen. Ich will das hier nicht im Detail tun, das wurde an anderer Stelle bereits vielfach getan.
Bei nur zehntausend (10.000) Infizierten – und wir sind gerade in Deutschland konstant bei weit höheren Zahlen, bedeutet ein R-Wert von 1,1 eine Vervielfachung nach folgenden Werten:
10.000, 11.000, 12.100, 13.310, 14.641, 16.105 Infizierte.
Schon nach sechs Zyklen wären wir also bei über 16.000 Infizierten. Das sind übrigens ungefähr die Zuwachszahlen, die wir momentan in Deutschland haben. Wir wissen das aktuell (bei noch vorhandener Intensivkapazität) trotz Behandlung etwa 0,8 Prozent der Infizierten sterben.
Nach obigen Zahlen wären das:
80, 88, 97, 106, 117 und schließlich 129 Tote.
Das ist eine sehr optimistische, also vom bestmöglichen Szenario ausgehende Variante. Die nun folgende Rechnung für die neue Mutante (genannt B117) sieht dafür so aus.
B117 ist wesentlich ansteckender, aus Großbritannien wird eine Reproduktionszahl von etwa 1,6 genannt. Dies bedeutet für die Infektionszahlen die folgenden Werte für sechs Zyklen:
10.000, 16.500, 27.225, 44.921, 74.120, 122.298 Infizierte.
Das sind fast sechs mal so viele Infizierte wie bei einer Reproduktionszahl von 1,1. Und damit wird auch verständlich, warum diese Variante so viel tödlicher ist. Selbst wenn die Sterblichkeit bei 0,8 Prozent bliebe, dann hätten wir 978 Tote (0,8 Prozent von 122.298 Infizierten). Und bei dieser Anzahl von Infizierten und Intensivpatienten wird die Sterblichkeit nicht bei 0,8 Prozent bleiben, weil wir dann schon lange nicht mehr alle PatientInnen mit Sauerstoff, Beatmung und ähnlichem versorgen können. Das können Sie alles hier nachlesen, da finden Sie auch die Links zu den Papern mit den Daten für die Berechnungsgrundlage.
Dieses Szenario muss unbedingt verhindert werden. Die Wahrheit ist unbequem, aber weitere Ausweichversuche werden wir noch teurer bezahlen. Jetzt ist die Zeit eine Ausbreitung der neuen Mutanten zu verhindern. Das geht nicht ohne eine Schließung aller Büros oder mindestens eine Verpflichtung zum Tragen von FFP2-Masken in allen Innenräumen, in denen Menschen zusammen kommen. Plexiglas schützt nicht vor Aerosolen. Anderthalb Meter Abstand in einem Großraumbüro sind absolut nicht ausreichend als Infektionsprophylaxe. Busfahrer, Verkäufer im Einzelhandel – sie alle müssen zwingend mit FFP2-Masken versorgt werden. Anders kriegen wir das nicht in den Griff.
Es wird teuer, so oder so. Wir haben die Wahl, ob es jetzt sehr weh tut und sehr teuer wird oder, ob wir in zwei Monaten unsere Zögerlichkeit bereuen. Das Virus verhandelt nicht, es lässt sich nicht beschwichtigen. Jede Verharmlosung und Kompromissbereitschaft auf unserer Seite wird gnadenlos ausgenutzt.
Fragen Sie mal Herrn Ramelow (MP Thüringen) und Herrn Kretschmer (MP Sachsen), die beiden haben ihre Lektion gelernt und kriechen jetzt zu Kreuze.
Hört auf Experten, lasst Euch nicht von Schwurblern in die Irre führen. Nutzt seriöse Quellen, um an Informationen zu kommen. Facebook, Whatsapp oder Youtube sind für Freizeittipps, Geburtstagsgrüße und Kochtutorials geeignet.
Achtet auf euch, tut euch auch mal etwas Gutes und bleibt gesund. Und ich mache mir jetzt ein schönes Risotto.
Bildquelle: Marta Ortigosa, unsplash