In Mausmodellen verändert sich beim Lernen die Signalausbreitung zwischen verbundenen Kortex-Regionen. Während ein Signalweg relevante Sinnesreize verstärkt, spiegelt sich im anderen das Entscheidungsverhalten wider. Ansätze zur Entschlüsselung der Lern-Aktivitätsmuster?
Die Großhirnrinde von Säugetieren ist entscheidend an der Verarbeitung von Sinneseindrücken beteiligt. Sie ist in verschiedene Areale unterteilt, die in unterschiedlicher Art und Weise an der Wahrnehmung von Sinnesreizen, der Entscheidungsfindung und dem Auslösen von Handlungen beteiligt sind. Der Austausch von Information zwischen den Hirnrindenarealen, die untereinander komplex vernetzt sind, ist wichtig für eine optimale Verarbeitung der Sinnesreize. Welche Signalflüsse sich innerhalb der Hirnrinde ausbilden und insbesondere, wie sich diese bei neuen Herausforderungen anpassen, ist noch weitgehend unverstanden.
Eine neue Studie einer Gruppe um Prof. Fritjof Helmchen am Institut für Hirnforschung der Universität Zürich zeigt nun, dass sich beim Erlernen einer Tastaufgabe die Signalfüsse entlang verschiedener Verbindungsbahnen unterschiedlich anpassen. „Diese Erkenntnisse sind wichtig, um die normale Hirnfunktion genauso wie kognitive Störungen besser verstehen zu können“, sagt Prof. Fritjof Helmchen. Die Forscher untersuchten mit Hilfe neuester Mikroskopietechniken, wie sich die Aktivität von Nervenzellen im primären somatosensorischen Kortex (S1) während des Lernens verändert. Bereits in einer früheren Studie im Jahr 2013 zeigten sie, dass Mäuse durch Abtasten mit ihren Schnurrhaaren lernen, grobe von feinen Sandpapieren zu unterscheiden, um eine Belohnung zu erhalten. Durch spezielle Färbungen können dabei Nervenzellen unterschieden werden, die entweder in das entfernt liegende sekundär-somatosensorische Areal (S2) bzw. zum Motorkortex (M1) projizieren.
In der neuen Studie hat die Gruppe nun die Aktivität in einzelnen Nervenzellen innerhalb von zwei Wochen wiederholt gemessen. Zu Beginn kannten die Mäuse die Sandpapieraufgabe noch nicht. Während der zwei Wochen wurden sie dann mit der neuen Tastaufgabe konfrontiert. Dabei wurden die Änderungen in den verschiedenen Nervenzellen (nach S2 oder M1 projizierend) aufgezeichnet. Die Auswertung der Ergebnisse ergab, dass sich im Signalfluss zum Motorkortex (M1) die Kodierung der jetzt relevanten Sandpapiermuster verstärkte. Im Signalfluss zum sekundär-somatosensorischen Areal (S2) hingegen bildete sich im Laufe des Lernens auch eine Aktivitätskomponente aus, die das Entscheidungsverhalten der Maus widerspiegelte.
Diese Erkenntnisse über die Signalanpassung beim Lernen in zwei spezifischen Hirnpfaden, zeigen nur einen Ausschnitt der Änderungen von Signalflüssen im ganzen Gehirn auf, die permanent in unseren Köpfen ablaufen. Viele weitere Signalwege haben sich vermutlich im Mausgehirn beim Erlernen der Sandpapieraufgabe ebenfalls angepasst. „Wir Neurowissenschaftler wollen nicht nur eine Art Straßenkarte der Signalwege im Gehirn erstellen, sondern auch die Muster der Verkehrsflüsse in diesem Straßennetz bei bestimmten Verhaltensweisen besser verstehen“, erklärt Helmchen. Mit einer Art Verkehrsinfo-Service könnte man krankheitsbedingte Änderungen, also etwa Sperrungen oder Staus, besser erkennen und gegebenenfalls durch therapeutische Maßnahmen, als z. B. Umleitungen, so beeinflussen, dass normale Signalflüsse wieder hergestellt würden. Originalpublikation: Pathway-specific reorganization of projection neurons in somatosensory cortex during learning Jerry L. Chen et al.; nature neuroscience, doi: 10.1038/nn.4046; 2015