Ist „normale“ Reanimation out und ECMO der neue Standard? Eine Studie zur extrakorporalen kardiopulmonalen Reanimation erweckt diesen Eindruck. Aber Halt, stopp – so einfach ist es nicht.
Die weltweit erste randomisiert-kontrollierte Studie zu früher extrakorporaler kardiopulmonaler Reanimation (eCPR-Therapie vs Standard-ACLS) bei außerklinischem Herz-Kreislaufstillstand musste vorzeitig abgebrochen werden – aufgrund signifikanter Überlebensvorteile in der eCPR-Gruppe. Heißt das ab jetzt: ECMO für Alle? Normale Reanimation ist out?
Doch bevor wir uns dieser Frage in ihrer Brisanz nähern, ein kurzer Refresher zur Terminologie, und dann kurz zu den Eckpunkten der Arbeit. Genau genommen wurden sogar zwei Arbeiten vor ein paar Tagen veröffentlicht, die ihr hier (Yannopoulos et al) und hier (Bartos et al) einsehen könnt.
Das Behandlungskonzept, um das es hier geht, basiert auf extrakorporaler Zirkulation für Herz- und/oder Lungenersatz. Blut wird über eine große Kanüle aus dem Körper drainiert und dann mit Hilfe einer Blutpumpe durch einen Oxygenator und schließlich eine weitere Kanüle wieder in den Körper gepumpt: Eine Art „kleine“ Herz-Lungenmaschine.
Der Begriff Extrakorporale Membranoxygenierung, ECMO, der weltweit, und auch in den vorliegenden Arbeiten genutzt wird („ECMO-facilitated Resuscitation“), meint im engeren Sinne aber nur den Lungenersatz. Dabei wird das Blut venös entnommen und auch wieder venös zurückgeführt. Wird durch die Maschine auch die Herz-Kreislauffunktion ersetzt, wie zum Beispiel beim schweren kardiogenen Schock, spricht man von ECLS, Extracorporeal Life Support. Hier wird venöses Blut entnommen und nach Oxygenierung wieder arteriell mit Druck in die Aorta gepumpt.
Und wenn das Ganze jetzt im Rahmen einer kardiopulmonalen Reanimation eingesetzt wird, heißt es eben eCPR, extrakorporale kardiopulmonale Reanimation. Diesen Begriff werden wir im Weiteren – abweichend von den Originalpublikationen – verwenden, da er präziser und im deutschen Sprachraum innerhalb der Community auch verbreiteter ist.
Widmen wir uns nun dem Yannopoulos-Paper:
Ein schockbarer Rhythmus geht mit den besten Überlebenschancen einher, das ist wohl den meisten bekannt. Haben es sich die Studienautoren also zu einfach gemacht? Hier müssen wir uns daran erinnern, dass etwa die Hälfte nicht auf Defibrillation anspricht (Yannopoulos 2019, Kudenchuk 2016). Wir müssen also zwischen einem einfachen schockbaren Rhythmus und einem schockbaren aber defibrillations-refraktären Rhythmus, der nicht auf Antiarrhythmika oder mehrere Defibrillationsversuche anspricht, unterscheiden. Diese Patientengruppe wurde von Yannopoulos et al in die Studie eingeschlossen und hat normalerweise eine deutlich verlängerte Reanimationszeit und insgesamt plötzlich eine viel schlechtere Prognose im Vergleich zu Patienten, die frühzeitig erfolgreich defibrilliert werden können (Link 2015).
Der initiale Rhythmus eines Herz-Kreislaufstillstands ist ein wichtiger Einflussfaktor für neurologisch intaktes Überleben und nicht nur relevant im Hinblick auf ROSC-Chancen sondern auch für die Ursachenfindung. Denn darum geht es ja, die Reanimation ist das Fundament, auf dem wir dann reversible Ursachen behandeln müssen. Im Kontrast zu nicht-schockbaren Rhythmen hat ein schockbarer Rhythmus noch häufiger eine zugrunde liegende kardiale Ursache, meistens ausgelöst durch einen Verschluss von Koronararterien (Occlusion Myocardial Infarction, OMI).
Bei etwa 80 % dieser Patientengruppe findet sich eine schwere KHK im Herzkatheter, meistens müssen Stents in akut verschlossene Koronararterien gesetzt werden (schön zusammengefasst wieder von Yannopoulos 2019, aber auch von der Pariser Gruppe um Lamhaut 2018). Gleichzeitig haben Patienten mit schockbarem Rhythmus, der aber nicht erfolgreich defibrilliert werden kann, mit das schlechteste Outcome (wie oben schon erwähnt). Dieses Outcome ist zeitabhängig, wie Reynolds 2017 gezeigt haben. Das heißt, mit zunehmender Dauer der fortgesetzten Reanimation schwinden die Chancen auf ein neurologisch intaktes Überleben zunehmend. Mit dieser zentralen Bedeutung der Low-Flow-Zeit im Hinblick auf das Reanimationsergebnis haben sich auch Wengenmayer 2017 auseinandergesetzt.
Wir haben also eine Patientengruppe mit zur Zeit schlechtem Outcome, die allerdings meistens eine gut behandelbare reversible Ursache aufweist. Wenn man es jetzt schafft, mit eCPR die Zeit zu überbrücken bis zur Behebung der reversiblen Ursache im Herzkatheter und danach auf Intensivstation bis zur Erholung, profitieren diese Patienten stark – das wussten wir übrigens schon vorher durch Kohortenstudien. Daher auch die Bezeichnung „bridge-to-recovery“. Die Patienten wurden direkt im Herzkatheterlabor kanüliert und an die eCPR angeschlossen, erhielten so schnell wie möglich eine Koronarangiographie und wenn indiziert, eine PCI. Das Ergebnis kann sich sehen lassen.
Patienten (Prozent)
In der ECMO-Gruppe nur 14 Patienten, da ein Patient sein Einverständnis nachträglich zurück zog
Es geht bei diesen Patienten also darum, den richtigen Zeitpunkt zu finden, wann vor Ort mit den konventionellen Maßnahmen kaum noch etwas zu erreichen ist und sie besser – so weit verfügbar – einer eCPR zugeführt werden sollten. Dabei muss der Vorlauf bis zum Beginn der eigentlichen extrakorporalen Therapie mit berücksichtigt werden: Beim außerklinischen Kreislaufstillstand also zum Beispiel die Transportzeit zum Kanülierungsort. In den hier beschriebenen Arbeiten geschah das alles sehr frühzeitig: Kein ROSC nach 3 Schocks bedeutete für den Patienten einen unmittelbaren zügigen Transport, und es sind nur < 60 Minuten von Kollaps bis zur eCPR vergangen. Tatsächlich eine – na?
Also: Wie immer kommt es sehr stark darauf an, wie man seine Indikationen und Einschlusskriterien für eine Intervention setzt. eCPR also nicht für alle, sondern für Patientengruppen, die davon am meisten profitieren.
Aber Timeline ist nicht alles: Die extrakorporale Therapie ist in den Twin Cities eingebettet in ein ganzes Maßnahmenbündel. Es beginnt ganz am Anfang der Rettungskette mit anschließender optimierter Reanimation vor der Kanülierung, der Sicherstellung qualitativ hochwertiger CPR mit Verwendung einer mechanischen Reanimationshilfe während des Transportes, aber auch die früher Herzkatheteruntersuchung. Auf Intensivstation erwartet die Patienten dann 24h lang 34°C therapeutische Hypothermie, 30° Anti-Trendelenburg-Lagerung, kontinuierliches EEG und NIRS – Monitoring, um nur einiges zu nennen. Ähnliche Ansätze verfolgten auch die CHEER Studies (Stub 2015, Dennis 2020) in Melbourne und der „Hyperinvasive Approach“ in Prag.
Das schon oben genannte Paper von Bartos et al, aus der gleichen Forschungsgruppe und zeitgleich publiziert, lässt uns hinter die Kulissen des Rettungssystems blicken. Hier wurde ein regionales eCPR-Programm auf die Beine gestellt, bestehend aus einem 24/7 abrufbaren mobilen eCPR-Team, das zu 3 strategisch lokalisierten Kanülierungs-Kliniken fährt, dort den Rettungsdienst samt reanimationspflichtigem Patienten trifft und eine eCPR anschließt, den Patienten in das im Haus vorhandene 24/7 Herzkatheterlabor bringt und schließlich per Intensivtransport einer zentralen Intensivstation zuführt, die auf extrakorporale Therapien spezialisiert ist („ECMO-ICU“). 58 Patienten wurden mit den gleichen Einschlusskriterien wie in der oben besprochenen ARREST-Studie innerhalb von 4 Monaten behandelt.Ergebnis: 100 % erfolgreiche ECMO-Anschlüsse und 43 % Überlebensrate nach 3 Monaten mit CPC von 1 oder 2 (= minimale bis keine Einschränkungen im täglichen Leben).
Anmerkung: Die Patientenpopulationen in beiden genannten Papern überschneiden sich nicht.
Wir haben es also mit ausgesprochen guten Ergebnissen zu tun, allerdings auch innerhalb eines ausgesprochen ausgereiften Systems (u.a. Kanülierungszeit von 7 min) und mit einem ausgesprochen selektierten Patientengut. Die Autoren selbst betonen, dass sich solche verbesserten Ergebnisse mit extrakorporaler Kreislaufunterstützung nur durch die Einbettung in ein Rettungssystem erzielen lassen, das dafür bereit und „reif genug“ ist. Die Basismaßnahmen sitzen, die wichtigen Rettungsdienstträger sind an Bord, die Prozesszeiten sind optimiert, die Auswahlkriterien werden stringent umgesetzt.
Einmal mehr wird klar, dass hier nicht die Technik im Zentrum steht, sprich „die Maschine“. Auch das eCPR-Team und alle ECMO-Expertise stellen für sich genommen keine Erfolgsgarantie dar. Vielmehr ist das Zusammenspiel zwischen den hochspezialisierten Kanülierungsteams, die sich erstmal nur auf die Gefäßpunktion fokussieren, und den ACLS-Reanimationsteams entscheidend, denn die Reanimation muss weiterlaufen und der gesamte Patient überwacht werden.
Ein Blick nach Deutschland zeigt, dass sich auch die führenden Fachgesellschaften ebendieses Themas angenommen haben. Michels et al legen in einem Konsensuspapier deutlich den Fokus auf Rahmenbedingungen und Prozessorganisation. Ein entsprechender Überblick zur praktischen Umsetzung im Rettungsdienst, CRM/TRM-Aspekten und den Herausforderungen in der Schnittstellengestaltung findet sich hier.
Für die Leute, die nur runtergescrollt haben, um die Zusammenfassung zu lesen: Hier seid ihr richtig.
Dieser Post ist in Zusammenarbeit mit dem lieben Domagoj in Freiburg entstanden. Wir hoffen, euch hat der kleine Ausflug in Richtung eCPR gefallen!
Bildquelle: Brian Asare, Unsplash