Während einer Schwangerschaft an Krebs zu erkranken, ist selten. Noch seltener werden Tumorzellen auf das Kind übertragen, doch es passiert. Dabei kann es zu dramatischen Entwicklungen kommen, wie zwei aktuelle Fälle zeigen.
Glück und Verzweiflung liegen beim Thema Krebs und Schwangerschaft sehr nahe beieinander. Die Abwägung zwischen adäquaten Therapieoptionen für die Mutter und möglichen negativen Auswirkungen auf das Kind sind dabei schwierig. Darüber habe ich hier bereits berichtet.
Nun gibt es aber auch die Möglichkeit, dass die mütterliche Tumorerkrankung dem Kind direkt schaden kann, indem mütterliche Tumorzellen während Schwangerschaft oder Geburt auf das Kind übertragen werden.
Grundsätzlich ist eine intrauterine Übertragung von Tumorzellen auf den Feten aufgrund der Barrierefunktion der Plazenta und der fetalen Autoimmunreaktion selten. Bei einem Zervixkarzinom ist es allerdings möglich, dass das Kind durch den vaginalen Geburtsvorgang mit mütterlichen Tumorzellen in Berührung kommt, diese in die Lunge aspiriert werden und sich entlang der Bronchien ausbreiten.
The New England Journal of Medicine berichtete in seiner ersten Januarausgabe von zwei Fällen, bei denen es zwei und sechs Jahre nach einer Spontangeburt zu solch dramatischen Entwicklungen kam.
Ein 23 Monate alter Junge wurde mit einem anamnestisch zweiwöchigen produktiven Husten in einem örtlichen Krankenhaus vorgestellt. In der Computertomographie stellten sich multiples Tumorgewebe entlang der Bronchien beider Lungenflügel dar. Eine Lungenbiopsie ergab die Histologie eines neuroendokrinen Karzinoms.
Die mütterliche Krebsvorsorgeuntersuchung sieben Monate vor der Entbindung war unauffällig gewesen, eine HPV-Impfung hatte nicht stattgefunden. Das Kind kam in der 39. Schwangerschaftswoche auf vaginalem Weg zur Welt. Drei Monate postpartal ergab die Vorsorgeuntersuchung ein Plattenepithelkarzinom der Zervix. Die 35-jährige Patientin wurde daraufhin radikal hysterektomiert, eine adjuvante Chemotherapie wurde angeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt ahnte niemand eine mögliche Tumorübertragung auf das Kind.
Nach der Diagnose des kindlichen Lungenbefalls wurde der Junge mehrmals nachuntersucht, aber auf Wunsch der Eltern nicht therapiert. Im Alter von drei Jahren hatten sich einige Läsionen überraschenderweise spontan zurückgebildet, es zeigten sich aber auf den Röntgenbildern noch Tumorreste in beiden Lungen. Der kleine Patient erhielt fünf Zyklen einer Chemotherapie mit Cisplatin und Irinotecan, gefolgt von zwei Zyklen Carboplatin und Etoposid.
Bei der Mutter entwickelten sich im Verlauf Lungen-, Leber – und Knochenmetastasen. Histologisch handelte es sich bei dem mütterlichen Lungenbefall um ein schlecht differenziertes Karzinom mit neuroendokriner Differenzierung. Eine Nachuntersuchung des Hysterektomiepräparats ergab ein gering differenziertes Plattenepithelkarzinom mit fokaler neuroendokriner Differenzierung, teilweise mit Anteilen eines Adenokarzinoms. Dies zeigte auffallende Ähnlichkeiten mit dem histologischen Ergebnis der Lungenbiopsie ihres Kindes.
Daraufhin wurden die Genprofile der Proben aus Tumor- und Normalgewebe verglichen. Man fand heraus, dass der Tumor des Kindes genetische Merkmale der Mutter enthielt, die nicht im Genom des Kindes vorhanden waren. Außerdem waren die jeweiligen Tumorgewebe positiv für HPV Typ 18, einem Kanzerogen für das Zervixkarzinom. Das Ergebnis legt nahe, dass eine Übertragung des mütterlichen Tumors auf das Kind stattgefunden hatte.
Bei dem Jungen kam es zunächst zu einer Progression, die mit einer erneuten Chemotherapie und einer Lobektomie therapiert wurde. Der Krankheitsverlauf war nach 12 Monaten ohne Rezidiv. Das Tumorgeschehen der Mutter zeigte trotz erneuter Chemotherapie eine fortlaufende Progression. Sie verstarb fünf Monate später.
In dem zweiten geschilderten Fall ist die zeitliche Latenz zwischen Geburt und kindlicher Diagnose auffällig.
Ein 6-jähriger Junge klagte über linksseitige Brustschmerzen und wurde daraufhin in einem lokalen Krankenhaus untersucht. In der Computertomographie wurde ein 6 cm großer Tumor festgestellt, die Histologie ergab ein muzinöses Adenokarzinom.
Bei der Mutter war während der Schwangerschaft eine polypoide Veränderung an der Zervix festgestellt worden, die zytologische Untersuchung war jedoch unauffällig. Das Kind wurde in der 38. Schwangerschaftswoche vaginal geboren. Eine Biopsie der zervikalen Läsion ergab ein Adenokarzinom, das mittels radikaler Hysterektomie drei Monate postpartal therapiert wurde. Die Mutter ist zwei Jahre später verstorben. Zu diesem Zeitpunkt dachte niemand an eine mögliche Übertragung des mütterlichen Tumors auf ihr Kind.
Der Lungentumor des Jungen erwies sich als inoperabel, er erhielt fünf Zyklen einer Chemotherapie mit Paclitaxel und Cisplatin, gefolgt von drei Zyklen Paclitaxel und Carboplatin. Daraufhin kam es zu einer Teilremission. Drei Monate später wurde ein Rezidiv festgestellt und eine erneute Chemotherapie durchgeführt. Der linke Lungenflügel musste entfernt werden, die Histologie ergab erneut ein muzinöses Adenokarzinom. In der 15-monatigen Nachbeobachtung wurde kein Rezidiv diagnostiziert. Auffallend ist das langsame Wachstum des Tumors, was für ein metastasierendes Adenokarzinom untypisch ist. Man geht davon aus, dass das kindliche Immunsystem die Wachstumsrate des Tumors zunächst negativ beeinflusst hat.
Bei beiden männlichen Kindern wurde die Tumorausbreitung ausschließlich in den Lungen diagnostiziert. Andere Tumorbesiedelungen wie Skelettsystem, Leber oder Gehirn fanden nicht statt. Letzteres würde im Einklang stehen mit einer vermuteten hämatogenen Ausbreitung über die Plazenta. In beiden Fällen geht man von der Übertragung mütterlicher Tumorzellen auf die Kinder während der vaginalen Geburt aus. Die malignen Zellen befinden sich im Fruchtwasser oder im Blut aus der Zervix, werden aspiriert und gelangen in die kindliche Lunge.
Der Vergleich von Genprofilen zwischen Normal- und Tumorgewebe kann dabei hilfreich sein. In beiden Fällen fehlte das Y-Chromosom im kindlichen Tumorgewebe und es wurden dort HPV-Anteile nachgewiesen. Die histologischen Befunde im mütterlichen und kindlichen Tumorgewebe stimmten in hohem Maße überein.
Bildquelle: Aditya Romansa, Unsplash