Eine Sache kann bei Long Covid leicht übersehen werden, wie Pneumologe Dr. Thomas Voshaar weiß. Mit uns spricht er außerdem über die Akuttherapie von COVID-19 und einen der größten Fehler der Medizingeschichte.
Viele Patienten haben nach einer überstandenen akuten Erkrankung an COVID-19 weiterhin Beschwerden. Diese Konstellation wird mittlerweile häufig als Long Covid bezeichnet. Bei der Behandlung dieser Patienten müssen Ärzte ganz genau hinschauen, wie Dr. Thomas Voshaar im Gespräch mit DocCheck erklärt. Er ist Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie und arbeitet als Chefarzt der Lungenklinik im Krankenhaus Bethanien in Moers.
Unumstritten ist Erschöpfung bei Long Covid das häufigste Symptom. Das bestätigt auch Voshaar. „Was wir hier am häufigsten hören: Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Erschöpfung, Fatigue.“ Diese Rückmeldungen höre er sowohl im Zuge von Nachuntersuchungen als auch bei Kollegen, die ihre Erkrankung zuhause überstanden haben und aus der Isolation berichten.
Diese Fatigue-Zustände können viele Wochen anhalten, nachdem man schon ein oder zwei Wochen kein Fieber mehr hatte. „Ich kann kaum einmal ganz durch die Wohnung laufen“, solche oder ähnliche Schilderungen sind keine Seltenheit. Nach einer gewissen Erholungsphase verschwanden diese Symptome aber bei allen Patienten in Voshaars Klinik. „Mir persönlich ist kein Fall bekannt, wo diese Zustände nach sechs Monaten immer noch da waren“, erzählt der Arzt aus seiner Erfahrung.
Am zweithäufigsten beobachtet er neurologische Symptome. „Das betrifft den ganzen Komplex der Neurologie und reicht von motorischen zu Sensibilitätsstörungen.“ Erschöpfungszustände und neurologische Beschwerden machten bisher bei Voshaars Patienten in etwa 80 Prozent aller Symptome aus.
„Geruchsverlust ist natürlich immer ein Thema. Schon bevor medial so umfassend darüber berichtet wurde, hatten wir so einen Fall im Team. Ein Kollege hatte Anfang März bemerkt, dass er sein Shampoo nicht mehr riecht. Drei Tage später wurde er krank. Auch dieses Symptom begleitet manche über Wochen hinweg.“ Generell seien die Symptome aber bei jedem Patienten sehr individuell, manchmal kämen bestimmte Symptome auch in Wellen: „Mehrmals hatten beispielsweise über zwei Wochen hinweg alle Neuaufnahmen mit COVID Durchfall, dann war dieses Symptom wieder weg. Dann haben für eine gewisse Phase fast alle furchtbaren Husten. Manche haben ganz besonders starke Gliederschmerzen. Warum das so ist, kann aktuell keiner sagen.“
Die Beobachtungen decken sich in etwa auch mit den Ergebnissen der Wuhan-Studie mit 1.655 Patienten, die kürzlich in Lancet erschien. Wie der obige Tweet zeigt, war auch hier Erschöpfung das mit Abstand am häufigsten genannte Symptom.
In besagter Studie kam man zu dem Ergebnis, dass drei von vier COVID-Patienten nach 6 Monaten noch Beschwerden hatten. Allerdings handelte es sich hier um mittelschwer kranke Patienten. Es waren also weder die „mit Erkältung“ noch die invasiv Beatmeten. Drei Viertel der Patienten in der Studie brauchten Sauerstoff, waren also luftnötig und/oder hatten eine schlechte Sauerstoffsättigung. Nur 1 Prozent der Patienten war beatmet. Inwiefern hängt Long Covid damit zusammen, ob es sich um einen leichten Verlauf ohne oder um einen mittelschweren Verlauf mit Sauerstofftherapie handelt?
„Ich glaube schon, dass es da einen Unterschied gibt“, sagt Voshaar. Schließlich korreliere auch das Überleben mit der Schwere des Verlaufs, der Lungenbeteligung und damit, wie stark die Gefäße betroffen sind. „Insgesamt sehen wir schon eine Beziehung zwischen dem Schweregrad der Akuterkrankung und dem Zustand des Patienten danach. Das heißt aber nicht, dass eine initial leicht verlaufende Erkrankung nicht auch mit zum Beispiel einer Myokarditis einhergehen kann“, betont der Mediziner.
Stichwort Myokarditis: „Wir kennen das Phänomen von der Influenzaerkrankung. Der Patient ist krank, liegt ein paar Tage zuhause. Nach drei, vier Wochen erleidet er beim Tennisspielen einen plötzlichen Herztod.“ Voshaar setzt deshalb auf folgendes Vorgehen: Auch bei leicht verlaufenden COVID-Erkrankungen sollen Patienten sich nach Entlassung für einen Zeitraum von 6 Wochen schonen. Statt Sport empfiehlt er Spazierengehen. „Außerdem geben wir für sechs Wochen nach der Infektion ein niedermolekulares Heparin in prophylaktischer Dosis.“
Im Moment würden ungefähr 75 Patienten systematisch nachuntersucht. „Wir haben uns von Anfang an vorgenommen, jeden COVID-Patienten auch nachzuuntersuchen.“ Welche Gefahr man bei Long-Covid-Patienten am ehesten übersehen kann, ist die Myokarditis, wie auch Voshaar betont. „Man muss sich in jedem Fall das Herz anschauen. Auch als Nicht-Kardiologe bin ich der Überzeugung, das Herz-Rhythmustörungen oder eine Herzmuskelschwäche hier sehr leicht übersehen werden können. Denn beides entwickelt sich erst später. Bei der Routine-Untersuchung im Krankenhaus kann das untergehen, wenn jemand mit COVID aufgenommen wird“, so der Mediziner.
Dabei schauen er und sein Team vorrangig, ob die Laborwerte Troponin und BNP hochschlagen. Sie zeigen an, ob der Muskel entzündet oder geschwächt ist. „Jeden zweiten Tag wird bei unseren Patienten der Troponin-Wert geprüft und der BNP-Spiegel gemessen, um zu schauen, ob der Herzmuskel schlechter pumpt als vorher.“ Falls ja, gehe es mit einer Echokardiographie weiter.
„Weil das nicht zur klassischen Routine gehört, betone ich das: Man kümmert sich um den Sauerstoff und die Beatmung, aber man darf auf keinen Fall das Herz vergessen. Das gilt auch für die Nachuntersuchung!“ Auch bei Long-Covid-Patienten, die nach diesen sechs Wochen dann bei einem Allgemeinmediziner oder Lungenfacharzt vorstellig werden, sei das ein wichtiger Punkt. „Auch wenn keiner aus dem Krankenhaus etwas zum Herzen berichtet hat, sollte der Hausarzt oder der Lungenfacharzt immer einen Blick auf das Herz werfen, ggf. an einen Kardiologen überweisen.“
Kann auch bei der Akutbehandlung von COVID-Patienten schon etwas getan werden, um das Risiko langfristiger Verläufe zu senken? „Wir verfolgen ein besonderes Konzept. Im Vordergrund steht bei uns natürlich die Lunge und wir versuchen alles, um die Intubation zu vermeiden. Von Beginn bis heute waren in unserer Klinik insgesamt nur 19 Personen intubiert“, sagt Voshaar.
In den Fällen, in denen eine Intubation vermieden werden konnte , sah es für die Patienten positiv aus: „Wir stellen fest, dass wenn die Menschen nicht intubiert wurden, die Lungen alle wieder gesund werden“, so der Arzt. „Wir haben einige Patienten gesehen, bei denen 6 Wochen nach Entlassung sowohl das CT eine vollständige Rückbildung der Infiltrate zeigte als auch die Lungenfunktionsanalyse einen Normalbefund ergab. Der empfindlichste Parameter ist natürlich die CO2-Diffusion. Die ist gelegentlich noch leicht eingeschränkt, wenn die Sauerstoffpartialdrücke und auch die Sauerstoffsättigung schon normalisiert sind. Bei manchen Patienten findet man nach sechs Wochen im CT noch gewisse Reste im Sinne von Milchglastrübungen. Diese Personen bestellen wir nach zwei bis drei Monaten nochmal ein und spätestens dann haben wir bisher vollständige Rückbildungen beobachten können. Für alle unsere nicht intubierten Patienten gilt: Es konnten keine bleibenden Schäden oder Veränderungen an der Lunge festgestellt werden“, so das Fazit des Mediziners.
Durch das Intubieren sinkt die Überlebenschance des Beatmeten drastisch. So ist die Überlebenschance dem Arzt zufolge bei einem 80-jährigen Patienten, der mit COVID intubiert wird, um die 20 Prozent. Zu den Lungenschäden, die durch Langzeitbeatmung erst entstehen, gibt es eine Menge Untersuchungen. „Gelingt eine Entwöhnung vom Respirator nach Langzeitbeatmung so landen fast alle Patienten in Reha-Kliniken. Es gibt einen ganzen Strauß von typischen Phänomen der Langzeitbeatmung. Hierzu gehören schwerwiegende Veränderungen am Lungenparenchym, Polyneuropathien und auch Myopathien und natürlich auch das Delir“, fasst Voshaar den aktuellen Wissensstand zusammen.
Weil die Intubation so schwerwiegende Folgen haben kann, sieht er einen Punkt extrem problematisch. Dabei geht es um die COVID-Leitlinie und schlechte Kommunikation: „Die Leitlinie sollte unbedingt verändert werden. Es ist vollkommen klar, dass die sogenannte strategische Früh-Intubabion einer der größten Fehler in der Medizingeschichte war.“ Gemeint ist das sehr frühe Intubieren von COVID-Patienten, zu dem in der ersten Version der Leitlinie geraten wurde. „Inzwischen haben sich natürlich die meisten Kollegen von dieser strategischen Früh-Intubation distanziert. Trotzdem wird dieser Punkt in der dritten Version vorsichtig umschifft. Eindeutig steht da nicht drin, dass man von dem Ansatz aus der Erstfassung mittlerweile abrät. Das wäre sehr ehrlich, man sucht es aber vergebens“, kritisiert Voshaar.
„In der aktuellen LL-Version gibt es immer noch eine viel zu starke Betonung der Sauerstoffsättigung und des Horovitz-Quotient. Neben der Atemfrequenz sollen diese Parameter für die Entscheidung zur Intubation genutzt werden. Wir halten das für falsch.“ Warum, begründet der Mediziner wie folgt: „Dieser seit Jahren in der Intensivmedizin genutzte Quotient ist überhaupt nicht hilfreich für die Frage des Intubierens, insbesondere nicht bei Spontanatmung. Er lässt sich leicht durch erhöhte Sauerstoffgaben erniedrigen und sagt nichts über die Pathophysiologie der Hypoxämie aus.“ Viel wichtiger sei die Frage nach dem Sauerstoffgehalt und der Sauerstoffdelivery: „Beides entscheidet über die Oygenierung des Gewebes. Das ist entscheidend.“
COVID-Lagebericht: Momentan rückläufige Zahlen
Derzeit berichtet Voshaar über 9 Patienten auf der COVID-Station, und 6 auf der Intensivstation, die mit COVID-19 erkrankt sind. „Infizierte gibt es mehr, die sind aber wegen anderer Beschwerden hier im Krankenhaus“. Momentan seien die Zahlen deutlich rückläufig. „Wir hatten auch schon alle Spezial-Stationen voll belegt, das war vor allem im November und Anfang Dezember“, so der Arzt.
Aktuelle Covid-Statistik im Bethanien, zu findenhier Insgesamt wurden an der Klinik bisher 269 Patienten mit schwerer COVID-Erkrankung betreut, davon starben 21 Patienten. Bei 12 der Verstorbenen, die alle ein höheres Alter hatten, lag eine DNR-Anordnung vor, sie wollten also nicht reanimiert oder auf der Intensivstation behandelt werden. Die Sterblichkeit lag insgesamt dementsprechend bei 7,8 bzw. 3,3 Prozent über alle Schweregrade und alle Altersgruppen.
Wie wichtig das Thema Nachsorge bei COVID-Patienten ist, machen Daten von Ayoubkhani et al. der University of Leicester und der Statistikbehörde ONS deutlich, die unlängst als Preprint veröffentlicht wurden. Untersucht wurden Daten von 47.780 Klinik-Patienten (Durchschnittsalter 65) mit Hauptdiagnose COVID-19. Beinahe ein Drittel jener COVID-19-Patienten, die bereits als genesen gegolten hatten, musste innerhalb von fünf Monaten erneut in der Klinik behandelt werden. Viele von ihnen wiesen multiple Organschäden auf. Von dem Drittel verstarb jeder achte.
Statistisch tauchen diese Menschen aber nicht als Opfer der Viruserkrankung auf, wie Studien-Co-Autor Amitava Banerjee gegenüber der ARD erklärte. Wie eine RKI-Sprecherin dem Sender mitteilte, beobachte man aktuell die Datenlage und diskutiere über künftige RKI-Studien zu Long Covid, weil man hier die Notwendigkeit für eine Nachbeobachtung sehe. Auch seien zwei Nachbeobachtungs-Projekte des Nationalen Forschungsnetzwerks der Universitätsmedizin am Laufen. Derzeit werden Spätfolgen von COVID-19 hierzulande allerdings nicht im Meldesystem berücksichtigt, weshalb Betroffene in der Regal statistisch als genesen gelten.
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