ACE-Hemmer können als Nebenwirkung lebensbedrohliche Schwellungen im Hals-Rachen-Bereich auslösen. Wie eine Studie nun zeigt, könnte ein bereits zugelassenes Medikament die davon betroffenen Patienten vor Intubation und Luftröhrenschnitt bewahren.
Die ACE-Hemmer zählen weltweit zu den meistverschriebenen und umsatzstärksten Arzneimittel – allein in Deutschland nehmen sie rund sieben Millionen Menschen regelmäßig ein. Arzneien aus dieser Wirkstoffgruppe werden vor allem in der Behandlung des Bluthochdrucks und der chronischen Herzinsuffizienz eingesetzt. Sie sind normalerweise gut verträglich, dennoch können manchmal Schwellungen im Kopf-Hals-Bereich auftreten. Sind Rachen oder gar der Kehlkopf von dieser Nebenwirkung betroffen, droht der Tod durch Ersticken. „Es vergeht keine Woche, wo wir nicht mindestens einen Patienten mit diesem Krankheitsbild als Notfall in unserer Klinik aufnehmen“, berichtet Thomas Hoffmann, Ärztlicher Direktor der Klinik für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie am Universitätsklinikum Ulm. Auch wenn nur zwischen 0,2 und 0,4 Prozent aller Patienten, die ACE-Hemmer einnehmen, von diesen Schwellungen betroffen sind, müssen jährlich mehrere zehntausend Menschen in Deutschland deswegen behandelt werden.
ACE-Hemmer blockieren das Enzym ACE, das nicht nur Angiotensin I in das gefäßverengende Angiotensin II umwandelt, sondern auch den Abbau des Peptidhormons Bradykinin vorantreibt. Kumuliert dieses Molekül stattdessen durch die Wirkung der ACE-Hemmer, kann vermehrt Flüssigkeit aus den Gefäßen ins Gewebe übertreten und das Gewebe schwillt an. Bislang versuchten Ärzte, diese Schwellungen, in Unkenntnis des zugrunde liegenden Mechanismus, mit Glukokortikoiden und Antihistaminika zu bekämpfen. Doch diese Therapie ist weitgehend wirkungslos und Patienten geraten dabei oft in lebensbedrohliche Situationen. Dann hilft nur noch eine sofortige Intubation oder ein Luftröhrenschnitt. Um diesem Dilemma zu entkommen, haben Hoffmann und weitere Ärzte im Rahmen einer klinischen Studie einen neuen Therapieansatz mit dem bereits für eine andere Indikation zugelassenen Medikament Icatibant getestet. Wie die Wissenschaftler im New England Journal of Medicine berichten, zeigt Icatibant bei Patienten mit ACE-Hemmer-induzierten Schwellungen eine wesentlich bessere Wirkung als die bisherige medikamentöse Standardtherapie. „Bei Patienten, die Icatibant erhielten, bildeten sich die Schwellungen nach durchschnittlich acht Stunden vollständig zurück, bei den Patienten, die mit Prednisolon und Clemastin behandelt wurden, dauerte die Rückbildung dagegen rund 27 Stunden“, sagt Hoffmann.
Insgesamt 27 Patienten beteiligten sich an der doppelblinden und randomisierten Studie an vier Zentren in Deutschland. Alle Probanden hatten regelmäßig ACE-Hemmer eingenommen und litten an plötzlich auftretenden Schwellungen im Bereich der oberen Luft- und Speisewege. Nach Aufnahme in die Notfallstationen der jeweiligen Klinik und einer Anamnese bekamen die Probanden innerhalb von zehn Stunden nach Auftreten der Symptome entweder Icatibant oder die Standardtherapeutika verabreicht. Eine ausreichende Anzahl von Teilnehmern für die Untersuchung zu finden, war nicht ganz einfach, so Hoffmann: „Es handelte sich um Notfälle, nicht alle in Frage kommenden Patienten waren in einer solcher Situation bereit, an einer klinischen Studie teilzunehmen. Als typische Nebenwirkung traten bei den mit Icatibant behandelten Patienten Schmerzen und eine Rötung an der Injektionsstelle auf. Langfristige Nebenwirkungen sind laut Hoffmann eher unwahrscheinlich, da die Patienten mit ACE-Hemmer-induzierten Schwellungen nur im Notfall einmalig mit Icatibant behandelt und danach in der Regel die ACE-Hemmer abgesetzt werden. Hoffmann sowie Jens Greve vom Universitätsklinikum Ulm und Murat Baş von der Klinik rechts der Isar in München initiierten die Studie. Die Ärzte hatten in den Jahren zuvor in Einzelfallbeobachtungen immer wieder die gute Wirksamkeit von Icatibant bei einer Off-Label-Behandlung von Patienten mit ACE-Hemmer-induzierten Schwellungen festgestellt. Finanziert wurde die Studie gleichberechtigt von der Herstellerfirma Shire und dem Bundesministerium für Bildung und Forschung. Icatibant blockiert den Bradykinin-2-Rezeptor, an den sich normalerweise Bradykinin anlagert, so dass dieses nicht mehr seine gefäßverändernde Wirkung ausüben kann und die Schwellungen abklingen. Seit 2008 ist Icatibant unter dem Handelsnamen Firazyr zur Behandlung des hereditären Angioödems, einer seltenen Erkrankung, die ebenfalls Bradykinin-vermittelt ist, zugelassen. Auch hier bewirkt das Medikament ein schnelles Abklingen der Schwellungen; schwere Nebenwirkungen konnten im klinischen Einsatz bislang nicht beobachtet werden.
Anders als beim erblich bedingten Angioödem, bei dem die Schwellungen am ganzen Körper auftreten können, verursachen ACE-Hemmer fast ausschließlich Schwellungen im Kopf-Hals-Bereich. Warum das so ist und warum nur einige der Patienten, die ACE-Hemmer einnehmen, davon betroffen sind, ist Hoffmann zufolge noch weitgehend unklar. Oft tauchen die Schwellungen erst viele Jahre, nachdem mit der ACE-Hemmer-Therapie begonnen wurde, zum ersten Mal auf. „Im Durchschnitt vergehen zwei bis drei Jahre bis zur ersten Attacke. Das macht es auch für Ärzte schwierig, den richtigen Zusammenhang herzustellen“, sagt Hoffmann. Im Gegensatz zu allergisch bedingten Schwellungen, wie sie zum Beispiel ein Wespenstich auslösen kann, entwickeln sich die Bradykinin-abhängigen Schwellungen deutlich langsamer binnen weniger Stunden. Den Patienten bleibt so in der Regel genug Zeit, eine Klinik aufzusuchen. Sie müssen aber auch, wenn nur Lippe oder Zunge geschwollen sind, zur Beobachtung in der Klinik bleiben: „Wir beobachten immer wieder dramatische Verläufe, da sich die Schwellungen über den Rachen bis zum Kehlkopf ausbreiten können“, berichtet Hoffmann.
Auch wenn die Ergebnisse der Studie statistisch signifikant und klinisch überzeugend sind, erfordert die Zulassung von Icatibant für diese Indikation auf jeden Fall eine weitere Studie mit einer größeren Anzahl von Patienten. Solange plädiert Hoffmann für einen Off-Label-Einsatz von Icatibant nach entsprechender Aufklärung des Patienten und dessen Zustimmung, um Intubation und Luftröhrenschnitt möglichst zu verhindern. Andere Experten sehen das ähnlich: „Icatibant ist das Mittel der Wahl, um die oftmals bedrohliche Nebenwirkung der ACE-Hemmer bei diesen Patienten spezifisch zu behandeln“, sagt Markus Magerl, Facharzt an der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie der Berliner Charité mit klinischem Schwerpunkt Hereditäres Angioödem. „Auch wir in der Charité raten dringend zum Off-Label-Einsatz von Icatibant, wenn bei Konsumenten von ACE-Hemmern solche Schwellungen auftreten.“ Originalpublikation: Icatibant in ACE-Inhibitor–Induced Angioedema M. Baş et al.; N Engl J Med, doi: 10.1056/NEJMoa1312524; 2015