Wie das Mikrobiom mit der menschlichen Gesundheit zusammenhängt, ist noch weitgehend ungeklärt. Einen neuen Ansatz liefern jetzt neue Erkentnisse zu Blutgruppen.
Wissenschaftler weltweit erforschen seit einigen Jahren, inwiefern Mikroorganismen, die in und auf dem menschlichen Körper leben, zentrale Lebensprozesse und damit Gesundheit und Krankheit beeinflussen. Sie gehen heute davon aus, dass es einen Zusammenhang zwischen der Gesamtheit der mikrobiellen Besiedlung, dem menschlichen Mikrobiom und der Entstehung von Krankheiten gibt. Speziell chronisch-entzündliche Darmerkrankungen (CED) sind wahrscheinlich eng mit der Zusammensetzung und Balance des Darmmikrobioms verknüpft. Doch wie das Mikrobiom und die Krankheitsentstehung ursächlich zusammenhängen und was die Zusammensetzung des Mikrobioms im Individuum bestimmt, ist noch weitgehend ungeklärt.
Forscher der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) haben nun mögliche Einflüsse der Genetik auf die Ausprägung des Mikrobioms untersucht. Dazu haben sie in einer großangelegten Genomuntersuchung mit Daten von rund 9.000 Probanden nach konkreten Verbindungen zwischen Genetik und besiedelnden Mikroorganismen gesucht. Das Forschungsteam vom Institut für Klinische Molekularbiologie (IKMB) unter Leitung von Prof. Andre Franke konnte unter anderem einen bislang unbekannten Zusammenhang von für die Blutgruppe verantwortlichen genetischen Variationen und dem Vorkommen und der Häufigkeit bestimmter Bakterienarten belegen.
Die Publikation baut auf Erkenntnissen aus einer kleineren Studie auf, die erste Hinweise auf den Einfluss der genetischen Variationen auf das Darmmikrobiom fand. Nun gelang es den Wissenschaftlern, Darmmikrobiom-Proben aus fünf umfangreichen Kohorten von drei deutschen Standorten – vor allem aus Kiel, Augsburg und Greifswald – zu analysieren und damit die bundesweit größte genomweite Assoziationsstudie (GWAS) durchzuführen. Dabei stieß das Forschungsteam auf 38 auffällige genetische Loci, die auf einen Zusammenhang von individueller Genetik und der Zusammensetzung des Mikrobioms hinweisen.
„Die interessanteste Beobachtung haben wir im Zusammenhang der genetischen Faktoren gemacht, die für die Ausprägung der Blutgruppe beim Menschen verantwortlich sind“, hebt Erstautor Dr. Malte Rühlemann hervor.
„Diese für das AB0-Blutgruppensystem verantwortlichen Gene entscheiden über die Zugehörigkeit zu einer der darin zusammengefassten Blutgruppen. Bei einigen Menschen, den sogenannten ‚Sekretoren‘, werden diese Blutgruppenantigene nicht nur auf der Oberfläche von roten Blutkörperchen gebildet, sondern auch in den Darm abgegeben. Dies sind vor allem Zuckerreste, die von einigen Bakterien der Bacteroides-Gruppe vermutlich als Energiequelle genutzt werden können, sodass diese vermehrt vorkommen. Insbesondere bei Menschen mit den Blutgruppen A, AB oder B scheint der Mechanismus also direkt das Vorkommen dieser Bakterien im menschlichen Darm zu begünstigen.“
Dieser Zusammenhang hat potenziell eine große gesundheitliche Bedeutung, denn bei etwa 20 Prozent der weltweiten Bevölkerung, die zur Gruppe der ‚Nicht-Sekretoren‘ gehören sowie bei Personen mit der Blutgruppe 0, fällt die Abgabe der Zuckerreste weg und ihre Mikrobiom-Zusammensetzung weicht in der Folge ab. „Diese Stoffwechselprodukte scheinen wichtige Moleküle in der Interaktion von Wirt und verschiedensten Mikroorganismen zu sein“, erklärt Rühlemann. „Frühere Studien konnten zeigen, dass Menschen ohne diesen Sekretionsweg zum Beispiel besser vor Norovirus-Infektionen geschützt sind“, so Rühlemann weiter. In der Arbeitsgruppe von Co-Autor Prof. John Baines vom Institut für Experimentelle Medizin werden diese Stoffwechselwege seit einigen Jahren intensiv erforscht.
Das Beispiel verdeutlicht, welche Effekte die individuelle genetische Variation auf den menschlichen Stoffwechsel hat und so die Zusammensetzung des Mikrobioms mitbestimmen kann. Auf welchen Mechanismen dieses Zusammenspiel von Mensch und Mikroorganismen im Detail beruht, wollen die Forscher künftig besser verstehen. Im größeren Maßstab liefern die neuen Ergebnisse des Kieler Forschungsteams weitere Erklärungsansätze für das Zustandekommen des menschlichen Mikrobioms insgesamt: Neben Umwelt- und Ernährungseinflüssen ist offenbar auch die Genetik des menschlichen Körpers ein zentraler Faktor, der die bakterielle Besiedlung des Körpers beeinflusst. Damit wäre das Mikrobiom mehr als eine zufällige Zusammenstellung von in der Umwelt verfügbaren Mikroorganismen.
Um künftig klare ursächliche Zusammenhänge zwischen der bakteriellen Besiedlung des Körpers und der Krankheitsentstehung ableiten zu können, wollen die Forscher Stück für Stück weitere Faktoren identifizieren, die die Zusammensetzung und Balance des Darmmikrobioms mitbestimmen. Ein Ansatz dabei wird es sein, einzelne kritische Bakterienarten zu erkennen, deren Vorkommen und Häufigkeit sowohl als Risiko- wie auch als Schutzfaktoren die mikrobielle Besiedlung des Körpers maßgeblich beeinflussen.
„Unsere Analysen großer Mengen genetischer Daten im Rahmen von möglichst umfangreichen Kohorten-Studien werden Klinikern bei dieser Suche wertvolle Hinweise liefern, an welchen Stellen sie am besten in das Mikrobiom eingreifen können, um künftig auf einer gestörten Bakterienbesiedlung beruhende Krankheiten gezielt zu behandeln“, betont Franke. „Die Identifizierung solcher Therapieziele ist ein wichtiger erster Schritt auf dem Weg zu einer künftigen Behandlung beispielsweise von chronischen Darmentzündungen durch gezielte Veränderungen der Zusammensetzung des Mikrobioms.“
Zur Studie geht es hier.
Dieser Text basiert auf einer Pressmitteilung der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel.
Bildquelle: Levi Midnight, Unsplash