Colchicin ist ein neuer Hoffnungsträger in der Corona-Behandlung: In der Frühtherapie verhindert das Gicht-Medikament Komplikationen. Sogar im Hinblick auf die Sterblichkeit scheint es sich positiv auszuwirken.
In Sachen effektiver Behandlungen changierten die ersten zwölf Monate der Corona-Pandemie irgendwo zwischen tiefer Depression und bizarrer Freak-Show. Letzteres gilt vor allem für die USA. Der US-Pandemie-Experte Anthony Fauci hat gerade in einem Interview verraten, dass das Trump-Team, das ihn nun bekanntlich nicht mehr interessieren muss, nicht nur Chloroquin aufs therapeutische Anti-Corona-Tablett heben wollte. Trump und Co. hätten ihn auch mir einer alternativmedizinischen Methode nach der anderen genervt, so Fauci.
Übriggeblieben ist von all dem bekanntlich nichts. Aber zur Wahrheit gehört, dass auch die seriöseren Bemühungen um effektive COVID-19-Therapien bisher weitgehend im Sand verliefen. Was die intensivmedizinische Versorgung angeht, hat sich das gute alte Prednisolon recht früh als per randomisiert-kontrollierter Studie nachgewiesen effektiver Standard etabliert. Allerdings ist die Domäne hier die weit fortgeschrittene Erkrankung, und nur diese. Darüber hinaus gibt es im intensivmedizinischen Kontext wenig, bei dem sich die Ärzte auf harte Evidenz stützen könnten, jedenfalls bei den schwerer erkrankten Patienten.
Auch Rekonvalesztenplasma und Antikörper-Cocktails haben die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt – jedenfalls bei Patienten im fortgeschrittenen Stadium. Hier gibt es aber (wir berichteten) durchaus Stimmen, die einen frühen Einsatz befürworten, insbesondere bei Höchstrisikopatienten. Klar ist aber auch: Antikörper sind teuer, und sie müssen injiziert werden. Es sind keine Medikamente, die problemlos in der ambulanten Versorgung oder in armen Ländern zum Einsatz kommen könnten.
In Sachen ambulanter Frühtherapie hat sich die SOLIDARITY-Studie der WHO Verdienste erworben – in dem Sinne, als sie ein Medikament nach dem anderen aus dem Kanon potenzieller Therapiekandidaten aussortiert hat. Remdesivir, Chloroquin und Lopinavir/Ritonavir wurden dank SOLIDARITY Studie weitgehend ad acta gelegt.
Doch jetzt tut sich endlich etwas in Sachen Frühtherapie. Am Wochenende hat das Montreal Heart Institute per Pressemitteilung die Kernergebnisse der COLCORONA-Studie bekannt gegeben, die im Sommer gestartet worden war. Es handelt sich um eine placebokontrollierte Studie bei noch nicht ins Krankenhaus eingewiesenen COVID-19-Patienten mit dem antientzündlich und immunmodulatorisch wirkenden Colchicin, dem Gift der Herbstzeitlose. Einschlusskriterium war ein Alter über 40 Jahren und das Vorliegen mindestens eines Hochrisikoindikators, konkret Alter > 69 Jahre, BMI ≥ 30 kg/m2, Diabetes mellitus, unkontrollierter Bluthochdruck, chronische Atemwegserkrankung, Herzinsuffizienz, KHK, Fieber ab 38,4 °C Luftnot, sowie unterschiedliche Konstellationen an Leuko-/Lymphopenien. Die Patienten mussten also nicht zwingend symptomatisch sein.
Colchicin ist seit Langem gesetzt in der Therapie von Patienten mit akutem Gichtanfall. In den letzten zwei Jahren hat es zudem bei Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen eine Art Revival erfahren. Wesentlich vorangetrieben wurde dieses Revival von dem Team des Montreal Heart Institute der Universität Quebec um Prof. Dr. Jean-Claude Tardif. Die Kanadier konnten in der COLCOT-Studie zeigen, dass Colchicin das Risiko ischämischer kardiovaskulärer Ereignisse nach Herzinfarkt senkt. Eine australische Gruppe konnte im Sommer 2020 in der LoDoCo2 Studie nachlegen: Das Medikament war auch bei stabiler KHK segensreich.
Dieser kardiovaskuläre „Hintergrund“ von Colchicin ist möglicherweise auch im Zusammenhang mit COVID-19 nicht unwichtig, denn die COVID-19-Patienten sterben nicht zuletzt an kardiovaskulären Erkrankungen. Tardif und Kollegen aus Montreal haben das früh erkannt und die auf ursprünglich 6.000 Patienten angelegte COLCORONA-Studie konzipiert. Davor gab es eine kleine randomisierte Pilotstudie mit vielversprechenden Ergebnissen, die griechische GRECCO-Studie. In der COLCORONA-Studie wurde Colchicin oral in einer Dosis von 0,5 mg zweimal am Tag für 3 Tage und danach einmal am Tag für weitere 27 Tage mit einer entsprechenden Placeboformulierung verglichen.
Die Ergebnisse nach 4.488 an Studienzentren in Kanada, den USA, Europa, Südamerika und Südafrika eingeschlossenen Patienten machte das Montreal Heart Institut am Wochenende per Pressemeldung bekannt. Auf Nachfrage der DocCheck News verriet Prof. Tardif, dass das Manuskript am Sonntag zur Publikation eingereicht worden sei. Es dürfte also sehr bald auch die Vollpublikation geben. Was bisher schon bekannt ist, klingt auf jeden Fall außerordentlich vielversprechend.
Der primäre Endpunkt „Tod oder Krankenhauseinweisung wegen COVID-19“ trat bei Colchicin-Therapie bezogen auf alle 4.488 Patienten demnach um 21 % seltener auf. Das scheint – so ist die Pressemeldung wohl zu verstehen – nicht ganz statistisch signifikant gewesen zu sein, die Formulierung lautet „approached statistical significance“. Wurden dagegen nur jene 4.159 Patienten ausgewertet, bei denen der SARS-CoV-2 Nasenabstrich positiv ausgefallen war, erreichte das Ergebnis die Signifikanzschwelle. Im Detail gab es bei den Patienten mit PCR-nachgewiesener SARS-CoV-2-Infektion demnach eine Verringerung der Krankenhauseinweisungen bei Colchicin-Therapie um ein Viertel, eine Verringerung der Patienten, die eine mechanische Beatmung brauchten, um die Hälfte und eine Verringerung der Sterblichkeit um 44 %.
Mehr Details sind im Moment noch nicht verfügbar. Insbesondere sind die absoluten Häufigkeiten der Endpunktereignisse noch unklar. Da es sich um ein ambulantes Kollektiv gehandelt hat, dürfte der Anteil der Todesfälle und Beatmungen insgesamt relativ klein gewesen sein, aber das ist derzeit noch Spekulation. Was Tardif gegenüber DocCheck News noch verriet war, dass es in der Colchicin-Gruppe weniger schwere unerwünschte Ereignisse gab als in der Placebo-Gruppe. Die Behandlung scheint also sicher anwendbar zu sein, was wichtig ist, weil Colchicin nicht das bestverträgliche Medikament aller Zeiten ist.
Tardif beantwortete uns auch die Frage, warum die auf 6.000 Patienten angelegte Studie vorzeitig beendet wurde: „Wir haben uns entschieden, bei 4.500 Patienten aufzuhören, weil die Patienten jetzt ein orales Medikament benötigen.“ Länger zu warten, sei nicht ethisch gewesen, und angesichts der Ergebnisse seien die Studienärzte absolut überzeugt von der Effektivität der Therapie.
Tatsächlich stünde, wenn die Vollpublikation hält, was die Pressemeldung verspricht, mit Colchicin erstmals ein oral einnehmbares Medikament zur Verfügung, das bei früher COVID-19 in einer großen randomisierten Studie überzeugende Ergebnisse liefert. Colchicin ist außerdem kostengünstig und damit überall auf der Welt einsetzbar. Und es ist Bestandteil der britischen RECOVERY-Studie, ebenfalls randomisiert. Es könnte also bald bestätigende Daten aus einer zweiten großen Studie geben. Spätestens dann könnte Colchicin zu einem neuen bzw. dem ersten Standard für die Frühtherapie bei COVID-19-Erkrankung werden. Dringend gesucht wäre ein solcher Standard auf jeden Fall.
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