Die Medien stürzen sich auf spektakuläre Bilder von Intensivstationen und Statistiken, um in der Corona-Pandemie für Schlagzeilen zu sorgen. Die wenigsten berichten über die vertragsärztliche Versorgung, obwohl 19 von 20 Patienten von Kassenärztinnen und -ärzten behandelt werden. Es wäre Zeit, dass Medien, Politik und Gesellschaft diese Leistung des Freien Berufs auch entsprechend würdigen. Ein Gastbeitrag von Dr. Dirk Heinrich.
Rund ein Jahr dauert die Corona-Pandemie nun schon an. Die Krise dominiert die Medien, Social Media und private Gespräche. Das Gesundheitswesen rückte in das Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Die einzige „Konkurrenz“ bis vor kurzem: Donald Trump.
Dabei stürzen sich die Medien vor allem auf die Bereiche, die in unserer visuell dominierten Welt die „besten“, also meist eher erschreckende Bilder bieten – Bilder von Intensivstationen, in denen Patienten auf dem Bauch liegend beatmet werden und alle Pflegekräfte und Ärzte mit astronautenartiger Schutzausrüstung herumlaufen. Häufig schwingt da die latente Horrormeldung mit, dass die Intensivkapazitäten demnächst aufgebraucht sein könnten. Das sichert Quote, das sichert Auflage.
Ganz anders ist es mit der Wahrnehmung und Darstellung des vertragsärztlichen Bereichs. Ohne große Aufmerksamkeit und auch ohne große Aufgeregtheit haben sich die Vertragsärzte am Beginn der Krise ganz ohne Schutzausrüstung ihrer Hauptaufgabe, der Versorgung ihrer Patienten, weiter gewidmet. Leider gänzlich arm an Schlagzeilen und Fotomotiven.
Anfangs waren es 6 von 7, heute sind es fast 19 von 20 Patienten, die mit SARS-Covid-19 infiziert sind, von Kassenärztinnen und -ärzten behandelt werden. Unspektakulär, diszipliniert, professionell und stets unter dem Risiko, dass sich Mitarbeiterinnen sowie Vertragsärztinnen und -ärzte selbst infizieren und das Gesundheitsamt die Praxisschließung anordnet mit allen wirtschaftlichen Folgen.
Medial besser ausschlachten ließen sich da die großen Anstrengungen, die z. B. Kassenärztliche Vereinigung Hamburg bei der Besorgung von persönlicher Schutzausrüstung unternommen hat. Immerhin gab es da beeindruckende Bilder von Lagerhallen voller Kisten und Palletten.
Dann wurden die Testzentren, die Container an Notfallpraxen und die Impfzentren eingerichtet – und lieferten wieder die gewünschten visuellen Reize.
Die Selbstverständlichkeit, mit der Vertragsärzte sich all diesen Aufgaben stellen, wäre eigentlich eine Meldung wert. Die tausenden freiwilligen Helfer aus der Vertragsärzteschaft, die mit Infektpraxen und Infektsprechstunden, im Notdienst und in den Impfzentren, in Heimen und bei Hausbesuchen alles geben, könnten Schlagzeilen produzieren. Und zwar nicht wegen der schönen Bilder. Sondern die Meldung müsste lauten: „Der Freie Beruf: Wie gut, dass es ihn gibt!“
Denn nichts anderes drückt sich mit dieser Unaufgeregtheit, der Selbstverständlichkeit und der weit über Praxisbelange hinausgehenden freiwilligen Bereitschaft zur Mitarbeit aus, als der Kern unseres Freien Berufs. Dabei geht es nicht um die bestehende Verpflichtung gegenüber den Patienten, die täglich in jeder Praxis, in jeder Patientenbegegnung mit Leben erfüllt wird.
Sondern hier geht es um die (vielen nicht wirklich bewusste) Verpflichtung des Freien Berufs gegenüber der Allgemeinheit, gegenüber der Gesellschaft. In der Pandemie erfüllt sie sich – sichtbar für alle. Sie wird nur nicht explizit wahrgenommen und erwähnt.
Es ist nämlich kein Helfersyndrom, keine von außen auferlegte ethische Verpflichtung, sondern der Markenkern, das innere Wesen unseres besonderen Berufs, der zu dieser selbstverständlichen und völlig freiwilligen Bereitschaft führt. Und es ist eben trotz aller Schwierigkeiten, Komplikationen und Widrigkeiten in der Pandemie immer wieder spürbar, mit welcher Freude und welchem Engagement Ärztinnen und Ärzte ihre innere Verpflichtung, ihren geliebten Freien Beruf ausleben.
Es wäre schön, wenn Gesellschaft und Medien dies auch so wahrnähmen. Wenn Medien auch über diesen Aspekt der Motivation für unser Tun berichten würden. Vielleicht erwarte ich da zu viel, aber es würde sicher helfen zu verstehen, warum wir immer wieder aus unserer Sicht berechtigte, ja selbstverständliche Forderungen stellen, diese aber häufig in eine andere Richtung interpretiert werden; und zwar genau aus Unkenntnis dieses Zusammenhangs.
Die Verpflichtung des Freien Berufs gegenüber der Allgemeinheit, der Gesellschaft, ist nämlich keine Einbahnstraße. Es gibt ebenso die Verpflichtung der Gesellschaft gegenüber dem Freien Beruf. Dabei geht es nicht nur um gesellschaftliche Anerkennung – die hat der Arztberuf. Es geht auch nicht um abendlichen Balkon-Applaus.
Sondern um ganz selbstverständliche Dinge, wie eine Gebührenordnung, die der Verantwortung, der gesellschaftlichen Verpflichtung und der Leistungsfähigkeit dieses Freien Berufs gerecht wird. Die Verpflichtung des Freien Berufs sorgt schon von ganz allein dafür, dass die Gesellschaft mit einer solchen Gebührenordnung nicht überfordert würde.
Wenn die Krise diese großen Zusammenhänge, die uns als Ärzte mit den Menschen verbinden, wieder etwas mehr in den Fokus der Medien und der Politik sowie in das Bewusstsein der Menschen rücken würde, wäre das eine gute Entwicklung. Unsere ärztlichen Verbände und Institutionen haben die Möglichkeit, dabei steuernd einzugreifen, wenn wir kommunikativ an einem Strang ziehen.
Dieser Artikel erschien ursprünglich im Hamburger Ärzteblatt 01/2021.
Der Verband der niedergelassenen Ärzte (Virchowbund) vertritt die niederlassungswilligen, niedergelassenen und ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte aller Fachgebiete. Haus- und Fachärzte erreichen gemeinsam mehr. Die Versorgung von heute ist kooperativ, vernetzt und digital unterstützt. Im Praxisärzte-Blog und auf Twitter präsentieren wir regelmäßig neue Ideen und Tipps.
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