Egal, ob in Folge von Erkrankungen oder Kriegen: Weltweit benötigen viele Menschen Prothesen. Nur ein kleiner Teil der Betroffenen kann sich die Hilfsmittel aber tatsächlich leisten. Diese Lücke schließt e-NABLE: eine Online-Community, an der sich Interessierte weltweit beteiligen.
Endlich kann Maeli (4) mit ihrem Roller toben oder Gegenstände vom Boden aufheben. Das Mädchen aus Forest Hills, Michigan, kam ohne linken Unterarm zur Welt. „Für eine typische Handprothese zahlen Sie in den USA mehr als 10.000 Dollar“, weiß John Schull, Wissenschaftler am Rochester Institute of Technology (RIT) – viel Geld für die Eltern. Doch Hilfe naht: Jugendliche einer Highschool aktivierten kurzerhand ihren 3D-Drucker. Mit Hilfe von e-NABLE (Enabling the Future), einer webbasierten Community, produzierten sie für das kleine Mädchen eine Prothese.
Maelis Schicksal teilen rund eine Milliarde Menschen weltweit. Aufgrund von Unfällen, Erkrankungen oder Behinderungen benötigen sie Prothesen. Doch das nötige Kleingeld fehlt, von Infrastrukturen ganz zu schweigen. Hier sind Ingenieure gefragt. Bereits in 2013 hat Schull mehrere Anfragen bekommen. Nach ersten Experimenten erkannte er das Potenzial von 3D-Druckern und veröffentlichte seine Resultate online. User reagierten begeistert – und Schull gründete e-NABLE: ein virtuelles Netzwerk, das freiwillige Helfer und Patienten zusammenbringt. Unterstützung kommt von Ingenieuren, Ärzten, Studenten, Lehrern, aber vor allem interessierten Laien mit einem 3D-Drucker. Zentrale Labors oder Büros gibt es nicht; viele User arbeiten von Europa und Nordamerika aus. Sie haben Zugriff auf etwa 300 Geräte und konnten schon mehr als 1.500 Handprothesen anfertigen. Sie erreichen nicht die Präzision professioneller Hersteller. Auch handelt es sich eher um Werkzeuge als um voll funktionsfähige Prothesen. Kinder balancieren, greifen Gegenstände wie Trinkflaschen, gehen schwimmen oder halten Fahrradlenker. Finger bewegen sich nicht einzeln; es bleibt bei simplen Greiffunktionen. Damit nicht genug: Die Tools können lediglich mit ein paar Kilogramm belastet werden – für Klettergerüste sind sie beispielsweise ungeeignet. Unorthodoxe Testverfahren sollen dazu beitragen, die Stabilität zu optimieren. Da gehören Stürze aus größeren Höhen zum Tagesgeschäft. Trotz einiger Defizite hat das System klare Vorteile. John Schull: „Inklusive der Materialien bezahlen Patienten weniger als 50 Dollar.“ Patienten profitieren auch von deutlich geringeren Wartezeiten im Wochenbereich.
Zu den Details: Benötigen Patienten eine künstliche Hand, geben sie der Community im ersten Schritt weitere Informationen und müssen Sicherheitsrichtlinien zustimmen. Schließlich befindet sich das Projekt noch in der Betaphase. Wichtig: Damit die Prothese später funktioniert, ist eine Beweglichkeit von 30 Grad im Gelenk erforderlich. Wer Patienten unterstützen möchte, meldet sich ebenfalls online an und produziert testweise ein Handmodell, bevor echte Anfragen bearbeitet werden. Entsprechende Daten veröffentlicht John Schull unter Creative Commons-Attribution-Share Alike, BSD- sowie GNU GPL V3-Lizenzen. Mit der Web App Handomatic gelingt es, Messdaten einzugeben, geeignete Prothesen sowie Druckdateien für 3D-Printer auszuwählen. Schull hat zusammen mit Kollegen auch Hardwaretipps und Ratschläge für die Praxis zusammengestellt, sollten Interessierte einen neuen Drucker erwerben. Mit Fusion 360 steht zudem eine cloudbasierte Software zur Modellierung bereit. Sind Handabdrücke erforderlich, gibt die Website ebenfalls Tipps. Nach getaner Arbeit verschicken Community-Mitglieder die Prothese an Patienten und dokumentieren alles im Portal. Wer sich mit anderen Interessierten austauschen möchte, hat auf Konferenzen die Möglichkeit.
Um das Projekt weiter voranzubringen, erhält die e-NABLE-Community Foundation jetzt Unterstützung über „Google Impact Challenge: Disabilities“. Rund 600.000 US-Dollar will der Suchmaschinengigant in das Netzwerk stecken, damit deutlich mehr Prothesen im 3D-Druck entstehen. Schull sieht darüber hinaus Chancen, sein Modell auf andere Bereiche mit weltweiten Versorgungslücken zu übertragen. Darüber hinaus könnte es gelingen, Firmen mit ins Boot zu holen. Jetzt beteiligt sich auch 3D Systems: ein Partner, der 3D-Technologien entwickelt.
Jenseits von e-NABLE tut sich ebenfalls einiges. Lu XiYi, Studentin an der chinesischen Nankai University, will erreichen, dass 3D-Prothesen nicht nur funktionieren, sondern Empfindungen übertragen. Sie hat eine temperaturempfindliche Hand auf Basis von Sensoren entwickelt. Nähert sich die künstliche Hand starken Hitzequellen, wird ein spürbarer elektrischer Impuls ausgelöst. Gleichzeitig stoppen Bewegungsvorgänge – das Pendant zum Fallenlassen heißer Gegenstände durch unsere Finger. Nach diesem kleinen, aber entscheidenden Schritt versucht XiYi, weitere Gefühle über elektronische Bauteile zu übertragen. In den nächsten Jahren ist mit weiteren bezahlbaren Innovationen zu rechnen.