Die Stargardt-Erkrankung ist die häufigste Form der erblichen Makuladegeneration. Ein neu entwickeltes, deuteriertes Vitamin A kann im Mausmodell die Anhäufung des toxischen Abfallprodukts Lipofuszin und somit die fatale Netzhautveränderung verhindern.
Bei der Stargardt-Erkrankung gehen die lichtempfindlichen Zellen der Netzhaut im Innern des Auges zu Grunde. Oft verschlechtert sich bei den Betroffenen das Sehvermögen schon in der Jugend so dramatisch, dass sie nicht mehr lesen können. Die Sehzellen im Auge enthalten das lichtempfindliche Pigment Rhodopsin, das bei Lichteinfall in das Auge zerfällt. Dabei können Abfallprodukte entstehen, die im Wesentlichen aus Vitamin-A-Verbindungen bestehen.
Normalerweise werden diese Vitamin-A-Verbindungen durch ein Transport-Molekül aus den Sehzellen entfernt und wiederverwendet. Dabei ist Eile geboten: Die Verbindungen haben die Tendenz, sich zu bis-Retinoiden zusammenzuschließen. In dieser Form werden sie vom Körper nicht mehr normal abgebaut, sondern bilden das toxische Abfallprodukt Lipofuszin – ein Stoff, der auch beim normalen Altern zunehmend anfällt. Wenn sich Lipofuszin aber verfrüht und in hohen Mengen in der Netzhaut ansammelt, werden die Lichtsinneszellen geschädigt und sterben schließlich ab. Bei der Stargardt-Erkrankung ist das Transporter-Molekül aufgrund einer genetischen Veränderung defekt. Es sammeln sich daher mehr bis-Retinoide an. Dadurch lagert sich permanent Lipofuszin in der Netzhaut ab – ein Prozess, der oft schon in jungen Jahren zu schweren Augenschäden führt. Nach Schätzungen ist rund eine von 10.000 Personen betroffen. Eine Therapie gegen die Erbkrankheit gibt es bislang nicht. Zentrale Netzhaut eines Jugendlichen mit Stargardt-Erkrankung: Die hellen Flecken sind Anhäufungen von Lipofuszin. Im zentralen Gesichtsfeld ist die Sehfähigkeit bereits eingeschränkt. ©Arbeitsgruppe Peter Charbel Issa
Die Ergebnisse des internationalen Teams, bestehend aus Augenärzten der Universität Bonn sowie der Universitäten Oxford und Columbia (New York), machen nun aber Hoffnung. Sie untersuchten Mäuse mit einer Mutation in demselben Gen, das auch bei Patienten mit der Stargardt-Erkrankung verändert ist. Sie verabreichten einigen Tieren modifiziertes Vitamin A. Darin wurden bestimmte Wasserstoff-Atome durch Deuterium ersetzt. Deuterium ist ein Wasserstoff-Isotop: Es hat dieselben chemischen Eigenschaften wie normaler Wasserstoff, ist aber etwas schwerer. Dieser Unterschied hat einen positiven Nebeneffekt: Das modifizierte Vitamin A und seine Verbindungen sind längst nicht so kontaktfreudig wie normalerweise und bilden kaum bis-Retinoide. „Wir konnten zeigen, dass sich bei der behandelten Mäusegruppe weniger Lipofuszin anhäufte“, erklärt Prof. Dr. Dr. Peter Charbel Issa von der Universitäts-Augenklinik Bonn. „Die Netzhautveränderungen der Mäuse, die sehr denen bei menschlichen Stargardt-Patienten ähneln, konnten so stark vermindert werden.“ Auch sein Kollege Prof. Robert MacLaren sieht regelmäßig junge Patienten mit Stargardt-Erkrankung. „Das Ergebnis, dass ein einfacher Nahrungsmittelzusatz ihnen möglicherweise helfen kann, ist sehr vielversprechend“, sagt er. Negative Effekte des schweren Vitamins konnten die Forscher in den behandelten Tieren nicht beobachten.
Das entwickelte deuterierte Vitamin A wird bereits klinisch bei Patienten mit Stargardt-Erkrankung getestet. Die Ergebnisse könnten ebenfalls für eine andere Patientengruppe relevant werden: Auch bei altersabhängiger Makuladegeneration (AMD) – der häufigsten Erblindungsursache in Deutschland und anderen westlichen Ländern – sammelt sich Lipofuszin in der Netzhaut an. Modifiziertes Vitamin A könnte für sie ebenfalls neue Hoffnung bedeuten. Charbel Issa mahnt jedoch zur Geduld: „Noch steht der Beweis aus, dass deuteriertes Vitamin A Menschen mit degenerativen Netzhaut-Erkrankungen helfen kann.“ Originalpublikation: Rescue of the Stargardt phenotype in Abca4 knockout mice through inhibition of vitamin A dimerization Peter Charbel Issa et al.; PNAS, doi: 10.1073/pnas.1506960112; 2015