Momentan gibt es keine offizielle Empfehlung, geschweige denn Zulassung für mRNA-Impfstoffe in Schwangerschaft und Stillzeit. Doch werden die Stimmen lauter, dass auch sie gegen Corona geimpft werden können.
Beim Impfen scheiden sich die Geister. Selbst geradlinige Impfbefürworter holen erst einmal tief Luft, wenn es um Impffragen in Schwangerschaft und Stillzeit geht. Auch ist die Erfahrung in der Praxis, dass Schwangere bezüglich eines Impfangebotes eher zurückhaltend sind. Das ist verständlich, denn gerade hier rät man, auf alles zu verzichten, was Mutter oder Kind schaden könnte. Der Nutzen eines in Schwangerschaft oder Stillzeit verabreichten Medikaments muss höher sein als sein potenzielles Risiko. Genauso verhält es sich mit einer Impfung.
Das RKI und die STIKO empfehlen in ihrer gemeinsamen Impf-App ausdrücklich Impfungen auch in der Schwangerschaft. Dabei werde die Mutter vor Infektionskrankheiten oder zumindest schweren Verläufe geschützt. Das wiederum vermindere das Risiko für Fehl- und Frühgeburten, wie sie bei mütterlichen Infektionskrankheiten vermehrt vorkommen. Impfungen gegen Influenza werden ab dem 2. Trimenon ausdrücklich empfohlen, ebenso die Pertussis-Impfung ab der 28. Schwangerschaftswoche. Totimpfstoffe sind in Schwangerschaft und Stillzeit nach einer Risiko-Nutzen-Abwägung prinzipiell möglich.
Lebendimpfstoffe, beispielsweise gegen Masern, Mumps, Röteln und Varizellen sind in der Schwangerschaft kontraindiziert. Eine versehentliche Lebendimpfung kurz vor oder in der Frühschwangerschaft ist jedoch keine Indikation für einen Abbruch, da weltweit bisher kein erhöhtes Risiko für eine kongenitale Fehlbildung durch diese dokumentierten Impfungen festgestellt wurde. Während der Stillzeit können grundsätzlich sowohl Tot- als auch die meisten Lebendimpfstoffe verabreicht werden, eine Ausnahme bildet die Gelbfieberimpfung.
„Zur Anwendung der mRNA-Impfstoffe in der Schwangerschaft und Stillzeit liegen aktuell keine Daten vor, daher empfiehlt die STIKO die generelle Impfung in der Schwangerschaft derzeit nicht. Eine akzidentelle Impfung in der Schwangerschaft ist keine Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch.
Schwangeren mit Vorerkrankungen und einem daraus resultierenden hohen Risiko für eine schwere COVID-19-Erkrankung kann in Einzelfällen nach Nutzen-Risiko-Abwägung und nach ausführlicher Aufklärung eine Impfung angeboten werden.
Die STIKO hält es für unwahrscheinlich, dass eine Impfung der Mutter während der Stillzeit ein Risiko für den Säugling darstellt.“ (Stand: 14. Januar 2021)
Dr. Michael Wojcinski, Sprecher der AG Impfen des Berufsverbands der Frauenärzte, erläutert in einem Informationsschreiben vom 25. Januar noch weitere Details:
„Es gibt weltweit große Erfahrungen mit Totimpfstoffen und Lebendimpfstoffen in Bezug auf Schwangerschaften. Diese Erfahrungen und die Kenntnis, dass Coronaviren auch kein teratogenes Potenzial besitzen, dass die mRNA-Impfstoffe Totimpfstoffe sind und die attenuierten ‚lebenden’ Viren des Vector-Impfstoffes keine Vermehrungsfähigkeit mehr aufweisen, geben uns die weitgehende Sicherheit, dass die verfügbaren COVID-Impfstoffe wie alle anderen Totimpfstoffe zu betrachten sind.
Sollten Vector-Impfstoffe mit replizierenden Viren zur Zulassung gelangen, wären diese in Bezug auf Schwangerschaften natürlich anders zu bewerten, nämlich als bei bestehender Schwangerschaft kontraindizierte Lebendimpfstoffe. Dennoch wird man erst lange Erfahrung im Umgang mit den neuen mRNA- und Vector-Impfstoffen abwarten, bis man sie offiziell zur generellen Anwendung bei Schwangeren freigibt.“
Es seien Hinweise aus nichtklinischen Studien zu den Impfstoffen von Biontech/Pfizer und AstraZeneca von der Regulierungsbehörde für Arzneimittel und Gesundheitsprodukte (MHRA) in dieser Hinsicht überprüft worden. Auch haben die WHO und Aufsichtsbehörden in den USA, Kanada und Europa keine Bedenken bezüglich deren Sicherheit in der Schwangerschaft geäußert.
Es gibt keine Empfehlung, dass ein Mindestabstand zu einer Schwangerschaft nach der Impfung nötig sei. Kinderwunsch ist keine Kontraindikation, ein Schwangerschaftstest muss nicht vor der Impfung durchgeführt werden. Tritt eine Schwangerschaft nach der ersten Dosis ein, sollte die zweite Dosis bis nach der Schwangerschaft verschoben werden. Besteht ein erhöhtes Risiko, kann eine zweite Dosis in Abstimmung mit der Schwangeren erwogen werden. Im Wochenbett darf geimpft werden und die Stillzeit ist dann keine Kontraindikation, wenn ein erhöhtes Risiko besteht.
Die Informationen für die beiden mRNA-Impfstoffe Comirnaty® und Moderna® sind bezüglich Schwangerschaft und Stillzeit identisch:
„Es liegen nur begrenzte Erfahrungen mit der Anwendung von COVID-19 Vaccine Moderna bei Schwangeren vor. Tierexperimentelle Studien ergaben keine Hinweise auf direkte oder indirekte schädliche Wirkungen in Bezug auf Schwangerschaft, embryonale/fötale Entwicklung, Geburt oder postnatale Entwicklung.
Die Verabreichung von COVID-19 Vaccine Moderna während der Schwangerschaft sollte nur erwogen werden, wenn der potenzielle Nutzen mögliche Risiken für die Mutter und den Fötus überwiegt. Es ist nicht bekannt, ob COVID-19 Vaccine Moderna in die Muttermilch übergeht.“
Das New England Journal of Medicine beantwortet die Frage nach einer Corona-Impfung bei schwangeren und stillenden Frauen einen Schritt mehr in Richtung Impfangebot:
Schwangere und stillende Frauen wurden zwar nicht in die COVID-19-Impfstoffstudien aufgenommen und es liegen daher nur begrenzte Daten zur Sicherheit vor. Dennoch rät das CDC dazu, dass auch dieser Personengruppe der Impfstoff angeboten werden sollte. Diese Ansicht vertritt auch das American College of Obstetricians and Gynecologists und die Society for Maternal-Fetal Medicine. Es gäbe keinen theoretischen Grund, warum mRNA-Impfstoffe für die Mutter während der Schwangerschaft, für das Ungeborene oder für einen gestillten Säugling schädlich sein könnten.
Beruhigend sei auch, dass in Versuchen mit trächtigen Ratten, die den Moderna-Impfstoff erhielten, keine Sicherheitsbedenken in Bezug auf die fötale oder embryonale Entwicklung auftraten. Schwangere sollten darüber informiert werden, dass bei ihnen das Risiko eines schweren Verlaufes durch COVID-19 ähnlich erhöht sei wie bei der Influenza.
Die Österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe schreibt in einer Stellungnahme vom 09. Januar 2021:
„Mittlerweile häufen sich die Daten, dass eine Infektion in der Schwangerschaft häufiger als bei nichtschwangeren Frauen schwere Verläufe zeigt. Ein schwerer Erkrankungsverlauf mit Lungenentzündung, stationärer sowie intensivmedizinscher Betreuung war im Durchschnitt bei ungefähr 15 % der erkrankten Schwangeren notwendig, im Vergleich zeigten nicht-schwangere Frauen mit COVID-19 Erkrankung lediglich in ca. 5,8 % einen schweren Verlauf mit Notwendigkeit einer stationären Betreuung. Weiters benötigen 5,7 % aller wegen COVID-19 stationären Schwangeren eine intensivmedizinische Behandlung (in manchen Kohorten noch mehr Patientinnen).
Dies bedeutet eine Risikoerhöhung um den Faktor 1,62 (Odds Ratio 1,62) für die Notwendigkeit einer intensivmedizinischen Betreuung in der Schwangerschaft bei COVID-19 Infektion. Bezüglich des Schwangerschaftsverlaufs besteht kumulativ ein erhöhtes Risiko für eine Frühgeburt von ca. 17 % (Risikoerhöhung um OR 3 im Vergleich zu Schwangeren ohne COVID-19 Infektion, teilweise iatrogen bedingt). Weiters scheint die Präeklampsiefrequenz bei Patientinnen mit durchgemachter Infektion erhöht zu sein aufgrund vaskulärer Mangelversorgung/Veränderungen am Gefäßendothel (bis zu 10,5 %).“
In den klinischen Studien zur SARS-CoV-2-Impfung seien zwar bewusst keine schwangeren oder stillenden Frauen eingeschlossen worden, jedoch gab es unter den Studienteilnehmerinnen vereinzelt Frauen, die unwissentlich schwanger waren. Hier gäbe es derzeit keine bekannten negativen Auswirkungen.
Prinzipiell wird die Impfung in der Schwangerschaft momentan in Österreich nicht empfohlen. Die Entscheidung, ob eine Impfung während einer Schwangerschaft verabreicht wird, soll individuell basierend auf dem persönlichen Risikoprofil der Schwangeren entschieden werden, insbesondere bei Vorerkrankungen.
Eine Aufklärung über das erhöhte Risiko für einen schweren Verlauf der COVID-19 Infektion und die potenziellen Risiken bezüglich des weiteren Schwangerschaftsverlauf sollte erfolgen.
Der Verband israelischer Frauenärzte hat eine Empfehlung zur Impfung schwangerer und stillender Frauen gegen COVID-19 veröffentlicht, nachdem es in Israel eine Reihe schwerer COVID-19-Erkrankungen bei Schwangeren gegeben hatte.
Es werde noch geprüft, ob es sich um einen neuen Trend oder Einzelfälle handele. Israel hat mit durchschnittlich drei Kindern pro Frau die höchste Geburtenrate der westlichen Welt.
Der israelische Gynäkologenverband schrieb dazu: „Die COVID-19-Erkrankung kann während der Schwangerschaft Schaden anrichten, bei Schwangeren einen schwereren Krankheitsverlauf auslösen und Frühgeburten verursachen – deshalb ist es wichtig, sich impfen zu lassen.“ Es werde eine Impfung allen Schwangeren, die dies wünschten, empfohlen. Besonders bei hohem Kontaktaufkommen oder bei Vorerkankungen, die das Risiko für einen schweren Verlauf erhöhen können.
Auch Gili Regev-Jochai, Leiterin der Abteilung für Infektionskrankheiten im Schiba-Krankenhaus bei Tel Aviv, setzt sich für eine solche Empfehlung ein: Es sei ganz klar zu empfehlen, sich impfen zu lassen, ob vor oder während der Schwangerschaft. Der Corona-Impfstoff sei nicht gefährlicher als andere Impfstoffe, die bereits während der Schwangerschaft gegeben werden, zum Beispiel die Grippeimpfung oder die Impfung gegen Keuchhusten.
Auch die Deutsche Gesellschaft für perinatale Medizin (DGPM) hat sich in einer aktuellen Stellungnahme für eine Impfung von Schwangeren und ganz besonders von Frauen mit Kinderwunsch ausgesprochen. Auch hier gelte aber, dass die Patientin umfassend informiert und aufgeklärt werden sollte. Die Entscheidung für oder gegen eine Impfung sollte in enger Abstimmung mit dem betreuenden Arzt und auf Basis einer Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen.
Fazit für die Praxis
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