Ob es um Impfstoffe, Impftermine oder eine Software für alle Gesundheitsämter geht – in Deutschland ruckelt und stockt es. Ist daran auch unser föderalistisches System schuld? Ich finde: in Teilen ja.
China bemüht sich, die Bekämpfung der Corona-Pandemie als Erfolgsgeschichte zu verkaufen. Dazu war – und ist – der Zentralregierung jedes Mittel recht. Während der ersten Wellen wurden sogar Häuser versiegelt, um Menschen in Quarantäne zu nehmen. Wir können uns glücklich schätzen, in einer Demokratie zu leben. Dennoch ist nicht alles Gold, was glänzt. Ich gebe zu: Manchmal stören mich gewisse Aspekte des deutschen Föderalismus. Warum, begründe ich wie folgt.
Nachdem Anfang Januar 2021 der Lockdown verlängert worden ist, begann das föderale Chaos. Das beginnt beim Thema Unterricht. Kultus ist Ländersache: Bayern setzt auf strengere Regelungen während Berlin über eine schrittweise Öffnung von Schulen und Kitas nachdenkt.
In der damaligen Situation mit rasant steigenden Fallzahlen sollte eigentlich jede Maßnahme recht sein, um die Pandemie zu kontrollieren, auch wenn es dazu noch nicht 100 Doktorarbeiten gibt.
Neben Kultus ist auch die Gesundheit in weiten Teilen Ländersache. Der Bund stellt eine „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ fest. Dann folgen Verordnungen der Länder, etwa zur Errichtung von Impfzentren.
Hier geht das Chaos weiter. Um sich anzumelden, müssen Impfwillige telefonisch über 116 117 (schwer zu erreichen) oder über regionale Rufnummern (oft überlastet) einen Termin machen. Mancherorts erhalten sie Einladungen per Post und/oder müssen sich online registrieren. Manche Zentren nahmen im Januar, andere wiederum im Februar ihren Betrieb auf. Bundeseinheitliche Lösungen zur Terminvergabe sucht man vergebens. Zumindest eint alle Bundesländer die Impfstoffknappheit. Angela Merkels „Impfgipfel“ Anfang Februar brachte keinen Durchbruch.
Nicht besser sieht es bei Gesundheitsämtern aus. Sie befinden sich ebenfalls in regionaler Zuständigkeit. Viele Ämter kämpfen nicht nur mit personellen Engpässen, sondern auch mit der Technik. Sie sind trotz mittlerweile sinkender Infektionszahlen weiterhin überfordert, und das Robert Koch-Institut warnt bei Pressekonferenzen regelmäßig vor Meldeverzügen am Wochenende.
Wie kann das sein? Als die erste Corona-Welle über Deutschland schwappte, waren die Lage in den Gesundheitsämtern schnell angepannt. Sie versuchten, mit Bordmitteln Tools zu entwickeln, um Fallzahlen zu erfassen und Kontakte nachzuverfolgen. So entstanden zahlreiche Insellösungen, die untereinander nicht kompatibel sind.
Das wurde auch Jens Spahn schnell klar. Er will dem Chaos ein Ende setzen und eine einheitliche Software in den Gesundheitsämtern einführen. Deswegen förderte er die Weiterentwicklung von SORMAS (Surveillance, Outbreak Response Management and Analysis System), einer Software zum Management von Maßnahmen der Epidemie-Bekämpfung. Mittlerweile gibt es SORMAS-ÖGD-COVID-19, ein Paket für den öffentlichen Gesundheitsdienst.
Laut Bund-Länder-Beschluss sollen bis Ende Februar alle Gesundheitsämter das Programm verwenden, doch viele weigern sich: Sie befürchten Mehraufwand und Datenverluste. Nur bei 111 aller 375 Ämter lief SORMAS zum Jahreswechsel.
Jedes Haus kann solche Entscheidungen selbst treffen – unvorstellbar in Zeiten einer globalen Pandemie. Gesundheitsämter wollen lieber ihre selbstgestrickten Anwendungen weiter verwenden und vernetzen. Etliche Schnittstellen müssten neu programmiert werden. Bis uns das gelingt, haben wir SARS-CoV-2 wahrscheinlich schon besiegt.
Selbstverständlich gehört der Föderalismus zu den fundamentalen Prinzipien Deutschlands. Ich finde aber: Etwas mehr Einfluss der Regierung in Berlin hätte uns in den letzten Monaten ganz gutgetan, um SARS-CoV-2 zu kontrollieren. Bei Pandemien jeder Art ist es wichtig, das Ausbruchsgeschehen lokal oder regional zu erfassen. Es mag zwar einzelnen Landesfürsten, die Corona als willkommenen Wahlkampf-Auftakt sehen, nicht gefallen. Doch wir brauchen einen größeren Ansatz. „Think big“ könnte nicht nur bedeuten, dass die Regierung bundesweit gültige Vorgaben erlässt. Auch Europa muss enger zusammenrücken.
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