Das Risiko für erneute Schlaganfälle ist höher, wenn nach dem Aufweiten der Hirnblutgefäße nicht nur gerinnungshemmende Medikamente verabreicht, sondern auch Stents eingesetzt werden. Das IQWiG betont erneut, die Behandlung mit intrakraniellen Stents sei ohne Nutzen.
Von den insgesamt vier randomisierten kontrollierten Studien (RCT), die das IQWiG für den Rapid Report im Oktober 2014 analysiert hatte, war die SAMMPRIS-Studie maßgeblich für die Bewertung. In der kürzlich veröffentlichten VISSIT-Studie wurde bei Patienten mit symptomatischer intrakranieller Stenose der Einsatz von Stents plus medikamentöser Therapie mit einer rein medikamentösen Behandlung verglichen. Anders als in der SAMMPRIS-Studie, in der sogenannte Wingspan-Stents (selbstexpandierendes Stentsystem, SES) eingesetzt wurden, erhielten die Studienteilnehmer in der VISSIT-Studie Pharos-Vitesse-Stents (ballonexpandierendes Stentsystem, BES). Nach der Publikation der SAMMPRIS-Daten erfolgte eine ungeplante Datenauswertung in der VISSIT-Studie und daraufhin der Studienabbruch.
Die Publikation der VISSIT-Ergebnisse war für das IQWiG der Anlass, in einem Arbeitspapier zu überprüfen, ob diese das Fazit des Rapid Reports vom vergangenen Jahr infrage stellen. Aus dem Vergleich von VISSIT und SAMMPRIS geht klar hervor: Die Studienergebnisse stimmen in allen wesentlichen Punkten überein und in beiden Studien zeigt sich ein Schaden durch das erhöhte Schlaganfallrisiko. Damit wurde auch die Nutzenbewertung des IQWiG im Jahr 2014 bestätigt – und zwar unabhängig vom Stent-Typ: Schlechtere Ergebnisse für die Stent-Behandlung zeigten sich in beiden Studien insbesondere bei periprozeduralen Schlaganfällen (alle innerhalb von 30 Tagen nach der Behandlung). Keine der Studien konnte Vorteile einer Behandlung mit intrakraniellen Stents darstellen.
Weil in der SAMMPRIS-Studie Patienten mit akuten neurologischen Symptomen (Akutbehandlung) ausgeschlossen waren, wurde vielfach infrage gestellt, ob die Ergebnisse überhaupt auf die Versorgungssituation in Deutschland übertragbar sind. Denn hierzulande würden intrakranielle Stents vorrangig in Akutsituationen eingesetzt. Auch dieser Frage ging das IQWiG in seinem Arbeitspapier nach. Lediglich sechs kleine retrospektive Fallserien geben Auskunft über die Endpunkte Sterblichkeit (Gesamtmortalität) und Schlaganfälle (zerebrovaskuläre Morbidität) bei der Akutbehandlung (≤ 48 h nach Schlaganfall) mit einem Stent bei intrakranieller Stenose in Deutschland: Von den insgesamt 31 Patienten in den Fallserien, die meisten mit eher schlechter Prognose, verstarben 13 (42 %) und bei 11 (35 %) traten mittlere bis schwere Beeinträchtigungen auf. Bei 7 Patienten (23 %) zeigte sich ein günstiges Ergebnis. Mangels aussagefähiger Vergleiche sind diese Daten schwer zu interpretieren. Sie liefern aber keinen Anhalt dafür, dass das intrakranielle Stenting in der Akutbehandlung ganz anders zu bewerten ist als in einer nicht akuten Behandlung. „Es spricht nichts dagegen, dass sich die Ergebnisse aus den bereits bewerteten RCT, in denen Patienten in nicht akuten Situationen untersucht wurden, auf die Akutbehandlung in Deutschland übertragen lassen“, stellt Stefan Sauerland, Leiter des Ressorts Nichtmedikamentöse Verfahren beim IQWiG, fest. „Ob intrakranielle Stents in der Akutbehandlung mehr Nutzen als Schaden mit sich bringen, lässt sich nur in vergleichenden, möglichst randomisierten Studien untersuchen. Dass solche Studien möglich sind, zeigen aktuelle Ergebnisse zum Einsatz von mechanischen Thrombektomieverfahren bei akutem Schlaganfall“, so Stefan Sauerland.
Zehn Fallserien aus Deutschland betrachteten Patienten mit einer Indikation zur Stentbehandlung bei intrakranieller arterieller Stenose. Dabei wurde auch der Anteil der akut behandelten Patienten untersucht, also solchen mit einem Schlaganfall in den letzten 48 Stunden. Bei 40 der insgesamt 299 Patienten (rund 13 %) wurde ein Stent im Rahmen einer Akutbehandlung eingesetzt, also nur bei einem kleineren Teil der Patienten. „Nach diesen Daten wurde die große Mehrzahl intrakranieller Stents nicht ein oder zwei Tage, sondern doch erst mehrere Tage oder Wochen nach einem Schlaganfall eingesetzt“, fasst Institutsleiter Jürgen Windeler zusammen. „Deshalb haben die Ergebnisse der SAMMPRIS- und der VISSIT-Studie eine hohe Bedeutung für die Stent-Behandlung auch in Deutschland.“
In Deutschland werden immer wieder risikoreiche Medizinprodukte verwendet, noch bevor Nutzen und Schaden der Behandlung ausreichend untersucht sind. Kenntnisse über deren Risiken wurden bis dato meist erst nachträglich gewonnen – anhand konkreter Schadensfälle bei Patienten nach der Behandlung – und leider meist außerhalb der Kontrolle in einer Studie. Um ähnliche Probleme wie mit den intrakraniellen Stents künftig zu vermeiden, hat der Deutsche Bundestag am 11. Juni 2015 eine Gesetzesänderung beschlossen: In Zukunft müssen sich neue invasive Behandlungsverfahren, die auf einem Medizinprodukt beruhen, regelhaft einer frühen Nutzenbewertung stellen. Jürgen Windeler begrüßt diese Änderung: „Hätte es das neue Gesetz schon bei Einführung der intrakraniellen Stents gegeben, hätte sich die Verbreitung von schädlichen Behandlungen vermeiden lassen. Und wir wüssten dank guter Studien bereits heute mehr über die Stents in der Akutbehandlung.“