Über Mutationen von SARS-CoV-2 erfahren wir ständig Neues. Da kann man leicht den Überblick verlieren. Deshalb für euch unser Monster-Artikel zum Nachschlagen.
Die Sorge vor der Ausbreitung von SARS-CoV-2 hat eine neue Dimension erreicht, seit die neuen Virus-Varianten weltweit im Umlauf sind. Wie wirken sie sich auf die Infektionsrate, auf die Erkrankungsschwere von COVID-19 und insbesondere Impfstoffen gegen COVID-19 aus? Laufend kommen neue Untersuchungen hinzu, die dabei helfen sollen, die Lage besser einzuordnen. Wir haben alle relevanten Informationen über die neuen Virus-Varianten von SARS-CoV-2 zusammengetragen.
In Dänemark kann man derzeit dabei zusehen, wie sich die B.1.1.7-Variante, die erstmals in England entdeckt wurde, rasant ausbreitet und die urspüngliche Linie verdrängt. Dort wird so viel wie in fast keinem anderen Land sequenziert. Im Januar waren dort 13 Prozent der COVID-19-Infektionen auf B.1.1.7 zurückzuführen, im Dezember waren es gerade einmal 0,5 Prozent.
Wahrscheinlich passiert ähnliches auch hierzulande. Eine erste Auswertung von 31.000 Positiv-Proben, die zwischen dem 22. und 29. Januar aus ganz Deutschland sequenziert wurden, hatte eine Quote von rund sechs Prozent ergeben. Dass sich die Variante besser verbreiten kann, scheint mittlerweile als gesichert. Ungeklärt ist bislang, ob B.1.1.7 auch zu schwereren Verläufen führt oder sogar tödlicher ist als die ursprüngliche Corona-Variante. Das wird bereits seit der Entdeckung der Variante diskutiert. Beantworten lässt sich die Frage trotz neuer Untersuchungen noch nicht eindeutig.
Ende Januar hatte die britische Regierung verkündet, dass es Hinweise gebe, dass B.1.1.7 für mehr Todesfälle verantwortlich sei. Grundlage dafür war eine Vorab-Veröffentlichung der New and Emerging Respiratory Virus Threats Advisory Group (bekannt als NERVTAG), einer Beratungsgruppe der britischen Regierung. Sie fanden heraus, dass die durchschnittliche Todesfallrate – der Anteil der Menschen mit bestätigtem COVID-19, die an den Folgen sterben werden – bei Menschen, die mit B.1.1.7 infiziert sind, um etwa 36 % höher ist.
Ein aktueller Preprint kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Darin berechneten die Autoren, dass das Sterberisiko für Personen, bei denen eine Infektion mit der neuen Variante bestätigt wird, um etwa 35 % höher ist. Insbesondere für ältere Männer erhöhe sich das Risiko. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein 85-jähriger Mann stirbt, steige demnach von etwa 17 % auf fast 22 %, wenn er mit dieser Variante infiziert ist.
Die neuesten Ergebnisse seien zwar besorgniserregend, aber um Schlussfolgerungen zu ziehen, „muss noch mehr Arbeit geleistet werden“, so Infektiologin Muge Cevik gegenüber Nature. Zum Beispiel berücksichtigte die neueste Studie nicht, ob Menschen, die mit der Variante infiziert sind, zugrundeliegende Komorbiditäten wie etwa Diabetes haben und deswegen anfälliger sind und ein höheres Sterberisiko haben, sagt sie. Andere Forschergruppen hätten zudem kein erhöhtes Sterberisiko feststellen können. Für eine abschließende Bewertung ist also in der Tat noch viel Arbeit notwendig.
Es gibt noch mehr beunruhigende Neuigkeiten zu B.1.1.7. Kürzlich haben britische Wissenschaftler in insgesamt elf Proben die Variante mit einer zusätzlichen Mutation entdeckt. Dabei handelt es sich um die E484K-Mutation im Spike-Gen, die auch in der südafrikanischen (B.1.351) und brasilianischen (P.1) Variante vorkommt. Da die Linien jeweils ein individuelles Set an Mutationen aufweisen, kann es sich auch nicht um eingeschleppte Varianten aus Südafrika oder Brasilien handeln.
Die Veränderung sei laut Wissenschaftlern des Francis Crick Institute spontan und offenbar mehrfach unabhängig voneinander entstanden. Dies deute darauf hin, dass die britische Variante selbstständig die E484K-Mutation entwickelt hat. Während die Corona-Impfstoffe offenbar bei der B.1.1.7.-Variante weiterhin wirksam sind, zeigt sich bei der mutierten Version ein anderes Bild: Erste Laboruntersuchungen haben ergeben, dass Antikörper aus dem Blut von Menschen, die mit dem Biontech/Pfizer-Vakzin geimpft wurden, diese Variante mit der zusätzlichen E484K-Mutation weniger gut neutralisieren können. Das war auch schon bei Experimenten mit der südafrikanischen Variante festgestellt worden.
Die britische Variante B.1.1.7 wird über verschiedene Mutationen im Spike-Protein und anderen Abschnitten im Genom definiert (u.a. 69-70del, N501Y, A570D, D614G, P681H, T716I, S982A, D1118H). Insgesamt weist die Linie über 20 Mutationen auf. Doch nicht alle haben auch funktionelle Auswirkungen. Insbesondere zwei Mutationen scheinen sich auf das Verhalten des Virus auszuwirken:
Mehr Details zur B.1.1.7.-Linie findet ihr hier.
Die Variante B.1.351 (oder auch 501Y.V2), die erstmals in Südafrika entdeckt wurde, weist wie B.1.1.7. auch die Mutation N501Y auf. Daneben zeichnet sie sich durch die E484K-Mutation aus.
Bei der E484K-Mutation gab es schon erste Laboruntersuchungen, die etwas größere Probleme beim Impfstoff erwarten ließen. Die Mutation steht in Verdacht, eine Immunevasion des Virus zu ermöglichen. In Südafrika und Brasilien scheint mittlerweile einiges dafür zu sprechen: Wie die südafrikanische Gesundheitsbehörde NICD erklärte, könne eine Erstinfektion mit der ursprünglichen Viruslinie nicht sicher vor Reinfektion mit der neuen Varianten schützen.
Auch in Brasilien waren bereits Reinfektionen mit zwei neuen Varianten bekannt geworden. Besorgniserregend erscheint in dem Zusammenhang der Zustand in der brasilianischen Stadt Manaus. Dort schnellen derzeit die Infektions-, Hospitalisierungs- und Todeszahlen in die Höhe, obwohl Screenings im Herbst zeigten, dass etwa 75 Prozent der Bevölkerung bereits infiziert waren. Mittlerweile wird die Zuverlässigkeit dieser hohen Durchseuchungsrate aber von vielen Experten angezweifelt. Ob an dem neuerlichen Manaus-Ausbruch tatsächlich die mutierten Viren schuld sind, müssen weitere Untersuchungen erst noch abschließend zeigen.
In den USA wächst derweil die Sorge vor einer weiteren Mutante. Die sogenannte CAL.20C-Variante ist im Sommer in Kalifornien entdeckt worden und ist inzwischen für mehr als die Hälfte aller Infektionen in Los Angeles verantwortlich. Laut eines aktuellen Preprints könnte CAL.20C für den rasanten Anstieg der Infektionszahlen im Süden des US-Bundesstaates verantwortlich sein.
Die Variante unterscheide sich laut der Autoren durch 5 Mutationen vom Stamm, der derzeit das Infektionsgeschehen in den USA bestimmt. Darunter ist eine L452R-Mutation, die möglicherweise die Infektiösität erhöht. Ob die Variante auch gefährlicher ist, weiß man bislang noch nicht.
Dass sich eine bestimmte Virus-Variante durchsetzt, ist im Laufe der Pandemie schon einmal passiert (siehe Tweet). Eine Variante mit der D614G-Mutation tauchte seit Beginn des Jahres immer wieder in Proben von infizierten Personen aus Europa auf. Bald war sie dort zur dominierenden SARS-CoV-2-Linie geworden und hatte sich auch in den USA, Kanada und Australien durchgesetzt. Inzwischen hat sie die ursprüngliche SARS-CoV-2-Variante weltweit verdrängt.
Im Sommer wurde die Variante namens 20E (EU1) in Spanien entdeckt und breitete sich ebenfalls in ganz Europa aus. 20E scheint allerdings keine Mutationen zu haben, die es übertragbarer machen als frühere Varianten. Vielmehr könnte es einfach zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen sein, vermuten Wissenschaftler, die diese Variante näher untersucht haben.
Durch das Sequenzieren möglichst vieler Proben behalten Forscher im Blick, welche Varianten wo zirkulieren und ob neue Varianten auftauchen. Im Labor ist es aber auch schon möglich, vorherzusagen, welche Mutationen dazu beitragen werden, dass SARS-CoV-2 den Impfstoffen und Therapien entwischen könnte. So können wir uns auf das Entstehen neuer Mutationen vorbereiten, noch bevor sie auftreten.
In einer von Experten begutachteten Studie in Science haben Forscher genau das getan. Darin haben sie alle möglichen Mutationen kartiert, die es SARS-CoV-2 ermöglichen würden, der Behandlung mit drei verschiedenen monoklonalen Antikörpern zu entkommen. Die gute Nachricht: Das Virus benötigt meist mehr als eine Mutation, um sich den Antikörpern komplett entziehen zu können.
Doch was passiert, wenn das Virus wirklich so stark mutiert, dass Impfungen nicht mehr wirken? Dann müssten die Vakzine womöglich ständig aktualisiert werden. Bei den mRNA-Impfstoffen ließe sich das Problem einfach durch die Anpassung der Basensequenz an der entsprechenden Stelle lösen. Allerdings müsste auch diese Impfstoff-Variante erst einmal klinisch untersucht werden, denn die Zulassung gilt nur genau für die derzeit benutzte mRNA.
Der Hersteller Moderna geht davon aus, dass klinische Wirksamkeitsstudien von Impfstoff-Varianten mit Hundert statt Tausend Teilnehmern möglich sein könnten. Dennoch würde es vermutlich von der Entwicklung einer Impfstoff-Variante eines mRNA-Impfstoffs bis zur Erteilung der Marktzulassung etwa fünf Monate dauern. Ähnliches hört man vom Paul-Ehrlich-Institut. Präsident Klaus Cichutek erklärt: „Aus regulatorischer Sicht könnte ein reduziertes Anforderungsprogramm zur Zulassung solcher neuen Impfstoffe auf Basis zugelassener vergleichbarer Impfstoffe genügen.“
Sollten modifizierte mRNAs die Zulassung erhalten, dann bestünde die Möglichkeit, verschiedene mRNAs in einem Impfstoff zu mischen. Einem ähnlichen Prinizip folgt man auch bei Grippevakzinen, die jeweils gegen verschiedene Erregerstämme absichern. So könnte man mit nur einer Impfung gleich gegen verschiedene Varianten geschützt sein. Man darf gespannt sein, wie die Corona-Impfstoffe der nächsten Generation aussehen werden.
Stand des Artikels: 10.02.2021
Bildquelle: Saydung89, pixabay