In einer aktuellen Studie belegen Ulmer Wissenschaftler, dass bei einer Coronainfektion auch das Pankreas betroffen sein kann. Das könnte zu einem längeren Verlauf von COVID-19 führen – und zu Diabeteserkrankungen.
„Bei Patienten mit einer COVID-19-Erkrankung gibt es immer wieder Verläufe, bei denen auch die Regulation des Blutzuckerspiegels gestört ist“, erklärt Prof. Martin Wagner, leitender Oberarzt an der Klinik für Innere Medizin I am Universitätsklinikum Ulm. So treten bei schweren Krankheitsverläufen häufiger Symptome auf, wie sie typischerweise bei Typ-1-Diabetes zu finden sind, der auf Insulinmangel zurückzuführen ist. Die Symptome reichen von Hyperglykämie bis hin zu einer Ketoazidose. „Aktuelle Studien berichten dazu über Verschlechterungen bekannter Diabetes-mellitus-Erkrankungen, aber auch über Fälle von neu aufgetretenem Diabetes nach durchgemachter COVID-19 Erkrankung“, so Studienleiter Prof. Alexander Kleger. Seine Arbeitsgruppe hat sich intensiv mit der Erforschung von Pankreas-Erkrankungen beschäftigt.
In der Ulmer Studie wurde untersucht, wie es bei COVID-19-Patienten zu diesen Diabetes-typischen Symptomen kommen könnte. Dafür haben die Forscher Gewebe aus der Bauchspeicheldrüse mit SARS-CoV-2 in Kontakt gebracht und so herausgefunden, dass sich die Langerhans-Inseln mit dem Coronavirus infizieren lassen. In diesen kleinen, kugelig organisierten Strukturen sitzen die insulinproduzierenden Beta-Zellen. „Diese Beta-Zellen exprimieren bestimmte Eiweißmoleküle, ohne die SARS-CoV-2 die Zellen nicht infizieren kann. Die körpereigenen Proteine TMPRSS2 und ACE2 sind sozusagen das Schloss, über das die Coronaviren mit ihrem Schlüsselprotein Spike in die Zellen eindringen. Daraufhin vervielfältigen sich die Virus-Bausteine, und viele neue infektiöse Viruspartikel werden freigesetzt. Genau das konnten wir auch in den Langerhans-Inseln beobachten“, erklärt Prof.Jan Münch, Studienleiter vom Institut für Molekulare Virologie.
Mit ihren Experimenten konnten die Wissenschaftler zudem aufzeigen, dass sich infiziertes insulinproduzierendes Gewebe in Form und Funktion entscheidend verändert. „Dabei fiel auf, dass die Anzahl der Insulin-Granula reduziert war, in denen die Beta-Zellen das Insulin speichern. Kein Wunder also, dass in diesen Fällen die Ausschüttung dieses lebenswichtigen, Blutzuckerspiegel-regulierenden Hormons gestört war“, so Dr. Janis Müller und Dr. Sandra Heller, die ebenfalls federführend an der Studie beteiligt waren.
Ein weiterer Befund war für das Forscherteam ebenfalls aufschlussreich: Bei Autopsien an verstorbenen COVID-19-Patienten zeigte sich eine SARS-CoV-2-Infektion des Pankreas. „Das Erstaunliche daran: Selbst nachdem in der Lunge keine Virusproteine mehr zu finden waren, konnten diese in der Bauchspeicheldrüse noch nachgewiesen werden, und dies bei unterschiedlich langen Krankheitsverläufen“, sagt Prof.Thomas Barth, der als Pathologe des Universitätsklinikums Ulm an der Studie beteiligt war. Dies deutet möglicherweise darauf hin, dass das Coronavirus nicht nur außerhalb der Lunge aktiv ist und andere Organe infiziert, sondern dass diese Infektionen häufiger und andauernder sind als bisher angenommen.
Die Bauchspeichdrüse produziert nicht nur das Hormon Insulin, sondern setzt auch Verdauungssäfte im Zwölffingerdarm frei. Das Forscherteam hat bei seinen Untersuchungen zur Studie nun ebenfalls entdeckt, dass auch Pankreasgewebe mit Coronaviren infiziert war, das diese Verdauungsenzyme produziert. Welche Relevanz dies für den klinischen Krankheitsverlauf hat, ist noch unklar.
„Bekannt ist bislang, dass aktive COVID-19-Erkrankungen auch von Entzündungen der Bauchspeicheldrüse begleitet werden“, erklärt Kleger. Noch offen ist außerdem die Frage, ob die akut auftretenden Beeinträchtigungen der Insulinproduktion bei COVID-19-Patienten langfristig zu einer Diabetes-Erkrankung führen können. „Auch hier brauchen wir auf jeden Fall weitere Studien“, ist das Forscherteam überzeugt.
Dieser Artikel basiert auf einer Pressemitteilung der Universität Ulm. Die Studie haben wir euch hier und im Text verlinkt.
Bildquelle: Glen Carrie, Unsplash